Augsburger Allgemeine (Land West)
Die WM der Gegensätze
Cortina d’Ampezzo Unten im Ort beginnt das Leben gerade wieder zu pulsieren. Oben am Berg herrscht ein strenges Regiment
Cortina d’Ampezzo Es ist eine WM der Gegensätze. Unten beginnt das Leben gerade wieder zu pulsieren, oben herrscht ein strenges Regiment. Unten ist Cortina d’Ampezzo. Das kleine italienische Städtchen liegt herrlich inmitten der steil zerklüfteten Dolomiten. Einst war es Kulisse für einen James-Bond-Film. Roger Moore war 1981 in tödlicher Mission unterwegs und vollführte waghalsige Skimanöver, um seinen motorisierten Häschern zu entkommen.
Wer fast genau 40 Jahre später aus einem monatelangen Lockdown nach Cortina d’Ampezzo kommt, fühlt sich erst einmal überfordert, fast schon unwohl. Zahlreiche Menschen flanieren durch die Fußgängerzone, stehen in Gruppen zusammen und plaudern. Mit Maske, immerhin. Auf dem Hauptplatz steht ein riesiges rot-weißes Eichhörnchen. Zwei Kinder in Faschingskostümen posieren davor und lassen sich von ihren Eltern fotografieren. Über den Dächern hängen die Flaggen der 71 teilnehmenden Nationen. Die Sonne scheint von einem stahlblauen Himmel. Auf den Dächern türmt sich der Schnee meterhoch. Welch Idyll, fast schon kitschig.
Seit kurzem dürfen in Venetien einige Geschäfte wieder öffnen, tagsüber auch Cafés und Restaurants. Schon immer will man mondän sein in Cortina d’Ampezzo. Schick. Teuer. Ein bisschen dekadent, auch wenn von einigen der herrschaftlichen Hotels der Putz abblättert. Die Damen tragen Pelz. Die Herren auch. Dazu ein Espresso in der Sonne, gerne auch schon vormittags einen Aperol Spritz. Diese Nähe sollte aber meiden, wer für die alpine Ski-WM akkreditiert ist. Denn die findet weiter oben am
Berg statt. Die kleine Straße dorthin ist gesperrt für den Verkehr. Nur Shuttle-Busse dürfen hinauf und transportieren die wenigen Privilegierten. Rund 600 Menschen umfasst der gesamte WM-Tross. Athleten natürlich, Betreuer, Helfer und Journalisten. Sie alle unterliegen einem strengen Protokoll. Zwei negative PCR-Tests und ein negativer Schnelltest vor Ort sind nötig, um überhaupt in diese Blase hineinzudürfen. Einmal drin, herrscht quasi überall Maskenpflicht. Außerdem stehen alle drei Tage weitere Schnelltests auf dem Programm.
Man sagt, der Mensch gewöhne sich an alles, erlebe er es nur oft genug. Es fällt schwer, das zu glauben, wenn einem ein komplett vermummter Helfer das Teststäbchen bis zum Anschlag in die Nase schiebt und am Scheitelpunkt angekommen beginnt, das Gerät diverse Male hin und her zu drehen. Das Ergebnis gibt es 20 Minuten später per SMS aufs Handy. Negativ.
Am Eingang des Pressezentrums steht eine Schleuse, durch die jeder muss, der das Gebäude betritt. Sie misst vollautomatisch die Körpertemperatur, dann strömt ein geruchloser Nebel aus vier Düsen an der Decke und beseitigt angeblich alle Viren, die sich an die Außenhülle des Benebelten geklammert haben. Anfangs mussten alle durch die Schleuse. In der zweiten Woche scheint das nur noch eine Empfehlung zu sein. Und auch die kleinen Piepser, die warnend erklingen, kommt man jemandem näher als eineinhalb Meter, sind auf wundersame Weise verstummt. Es scheint, als verlasse man sich ganz auf die Teststrategie.
Zudem die verschiedenen Blasen keinen Kontakt miteinander haben. Einzige Ausnahme bildet die Mixed-Zone. Nur hier treffen Athleten und Journalisten aufeinander. Über zwei Zäune hinweg werden durch die Masken hindurch Fragen gerufen und Antworten gegeben. Alles gedämpft, manchmal kaum zu verstehen. Eine ganz besondere WM eben. Wie die anderen Weltmeisterschaften dieses Winters auch. Zum Beispiel die der Biathleten in Pokljuka. Oder die der nordischen Disziplinen ab nächster Woche in Oberstdorf. In Cortina d’Ampezzo ist am Wochenende Schluss. Darauf einen Aperol Spritz. Oder doch lieber ein stilles Wasser im Pressezentrum.