Augsburger Allgemeine (Land West)

Die WM der Gegensätze

Cortina d’Ampezzo Unten im Ort beginnt das Leben gerade wieder zu pulsieren. Oben am Berg herrscht ein strenges Regiment

- VON ANDREAS KORNES

Cortina d’Ampezzo Es ist eine WM der Gegensätze. Unten beginnt das Leben gerade wieder zu pulsieren, oben herrscht ein strenges Regiment. Unten ist Cortina d’Ampezzo. Das kleine italienisc­he Städtchen liegt herrlich inmitten der steil zerklüftet­en Dolomiten. Einst war es Kulisse für einen James-Bond-Film. Roger Moore war 1981 in tödlicher Mission unterwegs und vollführte waghalsige Skimanöver, um seinen motorisier­ten Häschern zu entkommen.

Wer fast genau 40 Jahre später aus einem monatelang­en Lockdown nach Cortina d’Ampezzo kommt, fühlt sich erst einmal überforder­t, fast schon unwohl. Zahlreiche Menschen flanieren durch die Fußgängerz­one, stehen in Gruppen zusammen und plaudern. Mit Maske, immerhin. Auf dem Hauptplatz steht ein riesiges rot-weißes Eichhörnch­en. Zwei Kinder in Faschingsk­ostümen posieren davor und lassen sich von ihren Eltern fotografie­ren. Über den Dächern hängen die Flaggen der 71 teilnehmen­den Nationen. Die Sonne scheint von einem stahlblaue­n Himmel. Auf den Dächern türmt sich der Schnee meterhoch. Welch Idyll, fast schon kitschig.

Seit kurzem dürfen in Venetien einige Geschäfte wieder öffnen, tagsüber auch Cafés und Restaurant­s. Schon immer will man mondän sein in Cortina d’Ampezzo. Schick. Teuer. Ein bisschen dekadent, auch wenn von einigen der herrschaft­lichen Hotels der Putz abblättert. Die Damen tragen Pelz. Die Herren auch. Dazu ein Espresso in der Sonne, gerne auch schon vormittags einen Aperol Spritz. Diese Nähe sollte aber meiden, wer für die alpine Ski-WM akkreditie­rt ist. Denn die findet weiter oben am

Berg statt. Die kleine Straße dorthin ist gesperrt für den Verkehr. Nur Shuttle-Busse dürfen hinauf und transporti­eren die wenigen Privilegie­rten. Rund 600 Menschen umfasst der gesamte WM-Tross. Athleten natürlich, Betreuer, Helfer und Journalist­en. Sie alle unterliege­n einem strengen Protokoll. Zwei negative PCR-Tests und ein negativer Schnelltes­t vor Ort sind nötig, um überhaupt in diese Blase hineinzudü­rfen. Einmal drin, herrscht quasi überall Maskenpfli­cht. Außerdem stehen alle drei Tage weitere Schnelltes­ts auf dem Programm.

Man sagt, der Mensch gewöhne sich an alles, erlebe er es nur oft genug. Es fällt schwer, das zu glauben, wenn einem ein komplett vermummter Helfer das Teststäbch­en bis zum Anschlag in die Nase schiebt und am Scheitelpu­nkt angekommen beginnt, das Gerät diverse Male hin und her zu drehen. Das Ergebnis gibt es 20 Minuten später per SMS aufs Handy. Negativ.

Am Eingang des Pressezent­rums steht eine Schleuse, durch die jeder muss, der das Gebäude betritt. Sie misst vollautoma­tisch die Körpertemp­eratur, dann strömt ein geruchlose­r Nebel aus vier Düsen an der Decke und beseitigt angeblich alle Viren, die sich an die Außenhülle des Benebelten geklammert haben. Anfangs mussten alle durch die Schleuse. In der zweiten Woche scheint das nur noch eine Empfehlung zu sein. Und auch die kleinen Piepser, die warnend erklingen, kommt man jemandem näher als eineinhalb Meter, sind auf wundersame Weise verstummt. Es scheint, als verlasse man sich ganz auf die Teststrate­gie.

Zudem die verschiede­nen Blasen keinen Kontakt miteinande­r haben. Einzige Ausnahme bildet die Mixed-Zone. Nur hier treffen Athleten und Journalist­en aufeinande­r. Über zwei Zäune hinweg werden durch die Masken hindurch Fragen gerufen und Antworten gegeben. Alles gedämpft, manchmal kaum zu verstehen. Eine ganz besondere WM eben. Wie die anderen Weltmeiste­rschaften dieses Winters auch. Zum Beispiel die der Biathleten in Pokljuka. Oder die der nordischen Diszipline­n ab nächster Woche in Oberstdorf. In Cortina d’Ampezzo ist am Wochenende Schluss. Darauf einen Aperol Spritz. Oder doch lieber ein stilles Wasser im Pressezent­rum.

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Foto: dpa Plakate mit Skifahrern sind im Zentrum des Bergdorfes Cortina d’Ampezzo zu se‰ hen.

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