Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Sitzende am Senkelbach

Kunst im öffentlich­en Raum Franz Bernhards Skulptur aus Corten-Stahl und Bongossi-Holz. Ein kühner Zug in die Höhe vor der Augsburger Agentur für Arbeit

- VON GÜNTER OTT

Die Museen sind geschlosse­n, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten – unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlich­en Raum vor, die sich auf einem Spaziergan­g erkunden lassen.

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Es fällt auf, dass viele der öffentlich­en Skulpturen Franz Bernhards vor Arbeitsämt­ern Platz gefunden haben. Das ist so in Braunschwe­ig, Villingen, Aachen, Lübeck, Mainz, Saarbrücke­n – und in Augsburg. Offensicht­lich hat sich hier vielerorts der Kunstsinn einer Behörde niedergesc­hlagen. Mit einer gewissen Logik insofern, als hier „Arbeiten“vor dem Arbeitsamt stehen (heute heißt es Agentur für Arbeit). Zitat Bernhard: „Was in unserer Zeit Kunst war, werden die nächsten Generation­en entscheide­n. Ich möchte ihnen nicht vorgreifen, deshalb nenne ich meine Skulpturen Arbeiten.“

Das ist so bescheiden wie richtig gesagt. Der 1934 in Neuhäuser/ Tschechosl­owakei geborene Künstler, der Bildhauere­i bei Wilhelm Loth und Fritz Klemm in Karlsruhe studierte, war von 1972 bis zu seinem Tod 2013 im pfälzische­n Jockgrim ansässig. Bernhard, gelernter Schreiner und Schlosser, versteht sich aufs Handwerk. Seine Kunst lebt aus der Materialit­ät von Holz und Eisen bzw. Corten-Stahl bei den öffentlich­en Arbeiten. Sie tragen nicht selten die Erinnerung an bäuerliche Gerätschaf­ten weiter, fügen sich aus Gliedern und Gelenken, aus Bögen und Winkeln, die den Rost ebenso vorzeigen wie Schweißnäh­te und Schraubenk­öpfe.

Aus dem in der Schiffswer­ft Braun in Speyer getätigten Herstellun­gsprozess, der sich vom Konstrukti­onsplan über Segmentier­ungsschabl­onen, von statischen Berechnung­en, dem Zuschnitt der Stahlteile, ihrer Verbindung bis hin zur endgültige­n Aufstellun­g erstreckt – aus diesem Werksatz erstehen Haltungen wie Liegen, Lehnen, Sitzen und Aufsteigen. Sie markieren die Nahtstelle zur menschlich­en Anatomie. So kommt es, dass Bernhard seine Skulpturen auch als „Fi

(bzw. Köpfe) und als „anthropomo­rphe Zeichen“bezeichnet. Wobei die Körperanal­ogie teils so stark abstrahier­t ist, dass die Tektonik und Dynamik der Skulpturen den menschlich­en Bezug eher verbirgt, als preisgibt.

In dieser Hinsicht macht es die Skulptur in Augsburg dem Betrachter nicht allzu schwer. Aufs Erste springt die Dreiteilig­keit ins Auge. Sie lässt sich – der Einfachhei­t halber – durchaus als Fuß, Rumpf und Kopfteil ansprechen. In diese Richtung weist auch der Titel: „Große Sitzende“(1990).

Die Körpernähe und die Körperfern­e demonstrie­ren zwei Statements des Künstlers. Das eine: „Von Anfang an war für mich Bildguren“ hauerei ohne Menschenbi­ld undenkbar.“Das andere: „Ich gestalte Übergänge. Ich mache Dinge. Meine Dinge greifen in den Raum. Ich gestalte Räume.“Die Augsburger Sitzende, schön gelagert am Senkelbach auf einem Rasenstück mit lockerem Baumbestan­d, „verkörpert“eine Bewegungse­nergie, die aus der Vertikalen zu einem kühnen, steil in die Luft gestellten Höhenzug ansetzt. Sie mutet an wie eine auseinande­rgeklappte, sich öffnende Materialge­stalt.

Die auf zwei Steinen aufruhende Arbeit schwebt knapp über dem Boden. Stabilisie­rt erscheint sie durch zwei nahezu rechtwinkl­ig abgespreiz­te Schenkel, der eine stumpf endend, der andere spitz zulaufend und am Boden aufsitzend. Der Blick wandert die Längsachse entlang, die in einer stark verwinkelt­en Diagonale nach oben führt zu dem in einer Stahlfassu­ng gehaltenen, vierkantig­en Balken aus witterungs­beständige­n Bongossi-Holz. Er endet stumpf (mit einer Eisenkappe) in rund fünf Metern Höhe.

Die Nahsicht verrät, wie sehr Innenund Außenneigu­ngen, gegenläufi­ge Richtungse­nergien, Kippeffekt­e und aus der Achse gedrehte Schrägen der Stabilität der „Großen Sitzenden“zuwiderlau­fen. Zumal sich – wie so oft bei den Arbeiten Franz Bernhards – beim Herumgehen völlig überrasche­nde Perspektiv­en offenbaren. (Manchmal so sehr, dass man meint, eine neue Arbeit vor sich zu haben, wie es etwa bei der „Augsburger Schwester“, der „Großen Sitzenden“(1991) vor der Polizeista­tion in Mainz-Hechtsheim, der Fall ist.)

Doch trotz aller Schrägen, Bögen, Winkel und Instabilit­äten: Der so entschiede­ne, exponierte Schub in die Höhe macht die Augsburger Arbeit zu einem Verspreche­n.

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Foto: Ulrich Wagner Franz Bernhards „große Sitzende“vor der Agentur für Arbeit in Augsburg.

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