Augsburger Allgemeine (Land West)
Augsburger Dschihadist wird in Syrien getötet
Extremismus Ein junger Mann radikalisiert sich in der Salafisten-Szene Augsburgs und zieht für seinen Glauben mit einer Terrormiliz in den „Heiligen Krieg“. Dort, im Hexenkessel Nordsyriens, wird er jetzt selbst zum Opfer
Ein weiches Gesicht, dunkelblonde Haaren im Undercut, über dem Bild ein schwarzer Rand und der Schriftzug „Mehmet Ö. erreichte die Gnade Gottes“. Die Traueranzeige erschien in der Nacht zum 8. Februar auf der Facebookseite der Kammgarn-Selimiye-Moschee im Augsburger Textilviertel. Das Design trug das offizielle Logo des Ditib-Dachverbandes, dem die Moschee angehört. Doch Mehmet Ö. war ein Islamist. Und er war einer jener Augsburger Salafisten, die sich über die 2016 verbotene Koranverteilaktion „Lies!“als Gruppe formierten, radikalisierten und sich dem dschihadistischen Krieg in Syrien anschlossen – oder dieses zumindest versuchten. Das bayerische Landeskriminalamt gibt auf Anfrage keine Daten zu Ö. preis, auch der Verfassungsschutz äußert sich auf Anfrage nicht zum Zeitpunkt von Ausreise, Aufenthaltsort oder Ableben des Mannes.
Doch eine Recherche unserer Zeitung in syrischen Onlinemedien und Telegram-Kanälen zeigt: An diesem Sonntag starb ein deutscher Dschihadist in Nordsyrien. Das Bild eines Toten macht die Runde. Es hat Ähnlichkeit mit früheren Bildern von Ö., die der Redaktion vorliegen. Das Foto zeigt einen bleichen Mann, die
Augen geschlossen, der Mund leicht geöffnet, Kopf und Körper in weiße Tücher gehüllt. Der dunkelblonde Vollbart reicht bis auf die Brust, auf der Nase zeugt eine offene Wunde von Gewalt. Eine ehemalige Schulkameradin Ö.s aus der Rotes-Tor-Mittelschule bestätigt die Ähnlichkeit. Der Tote wird als „Abu Yunus al Almani“bezeichnet, ein Alias-Kampfname, wie ihn sich Dschihadisten in Syrien zulegen. Als Todeszeitpunkt wird der frühe Abend des 7. Februar angegeben. Auch dies passt zum Zeitpunkt der Moscheekondolenz sowie zu den öffentlich geteilten
Posts der beiden Geschwister von Ö. auf ihren Facebookseiten.
Laut der arabischsprachigen Nachrichtenseite Step News soll Abu Yunus in der Stadt Jisr al-Shughour westlich von Idlib nach dem Abendgebet von zwei maskierten Männern auf einem Geländemotorrad erschossen worden sein. „Der Deutsche Yunus ist türkischer Herkunft und besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit“, heißt es dort. Er sei „vor einigen Jahren“nach Syrien gekommen und zunächst der Terror-Miliz Hurras al din („Religionswächter“) beigetreten, einer Untergruppe der berüchtigten Al-Qaida-nahen Hay’at Tahrir al-Sham (HTS). Die „Religionswächter“habe er jedoch im letzten Jahr verlassen. Er sei, so heißt es weiter, schon wenige Tage vor seinem Tod nur knapp einer Bombe entkommen, die in seinem Auto explodierte.
Abu Yunus, der Deutsche, war kein unbeschriebenes Blatt. In syrischen Medien wird er als „Amir al Almani“(deutscher Kommandeur) bezeichnet. Auch dem ehemaligen irakischen Energieminister ist sein Tod eine öffentliche Erwähnung wert. Den Informationen des dänischen Nahost-Experten Tore Hamming zufolge befehligte Mehmet Ö. eine Fraktion aus türkischen und deutschen Terroristen in der Provinz Idlib. „Seine Miliz kollaborierte über Jahre sowohl mit HTS als auch mit den ‘Religionswächtern’ und der Turkestan Islamic Party. Meine Quellen vermuten, dass das Attentat Folge persönlicher Rivalitäten zwischen Abu Yunus und anderen Führern war“, so Hamming. Angesprochen auf die intensive Berichterstattung syrischer Medien erklärt auch der renommierte Islamwissenschaftler und Gutachter Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Das spricht für einige Prominenz.“
Mehmet Ö. ist nicht der einzige Augsburger, dessen Spuren bei den etwa 2000 Terroristen der HTS zu finden sind. Im letzten Jahr wurde vor dem Münchener Oberlandesgericht ein Augsburger zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Laut dem Urteil stammte der deutsche Konvertit Mohamed H. aus der hiesigen „Lies!“-Gruppe und brach 2017 nach Syrien auf, um sich an Waffen ausbilden zu lassen und auf der Seite der HTS gegen das syrische Regime zu kämpfen. Er nahm zwei weitere junge Männer der Augsburger Salafistengruppe mit, einen Türkischund einen Afghanischstämmigen. Das Trio wurde jedoch kurz vor der syrischen Grenze vom türkischen Militär festgenommen. Ihre Reise, das „sichere Haus“im türkischen Hatay und die endgültige Unterbringung in einem „deutschen Haus“in Idlib, so erklärte der Angeklagte vor Gericht, sei über einen Kontakt in Idlib organisiert worden – einen HTS-Terroristen und Freund der „Lies!“-Szene aus Augsburg.
Der bayerische Verfassungsschutz teilt auf Anfrage mit, er beobachte im Raum Augsburg „Einzelpersonen“, die dem Salafismus zugerechnet werden. Laut Erkenntnissen der Kriminalpolizei Schwaben Nord liegt die Zahl islamistischer Gefährder im „unteren einstelligen Bereich, wobei sich fast alle dieser Personen im Ausland aufhalten“.
Die ehemalige Mitschülerin Mehmet Ö.s kritisiert, dass die Moschee sein Bild und eine Traueranzeige veröffentlichte. „Für einen Terroristen!“, empört sich die Frau, die selbst Muslimin ist. Er setze ein Zeichen des Mitgefühls für die Familie, erklärt hingegen der Vorsitzende der Kammgarn-Moschee, Ali Akçe, auf Nachfrage. „Die Eltern und Geschwister sind schon vier Jahrzehnte mit unserer Moschee verbunden“, erklärt Akçe. Auch Mehmet Ö. besuchte seinerzeit die Gebetszeiten und Veranstaltungen des Vereins, erhielt jedoch etwa 2014 Hausverbot. „Wir mussten unsere Jugendlichen vor ihm schützen“, so Akçe.