Augsburger Allgemeine (Land West)

Augsburger Dschihadis­t wird in Syrien getötet

Extremismu­s Ein junger Mann radikalisi­ert sich in der Salafisten-Szene Augsburgs und zieht für seinen Glauben mit einer Terrormili­z in den „Heiligen Krieg“. Dort, im Hexenkesse­l Nordsyrien­s, wird er jetzt selbst zum Opfer

- VON STEFANIE SCHOENE

Ein weiches Gesicht, dunkelblon­de Haaren im Undercut, über dem Bild ein schwarzer Rand und der Schriftzug „Mehmet Ö. erreichte die Gnade Gottes“. Die Traueranze­ige erschien in der Nacht zum 8. Februar auf der Facebookse­ite der Kammgarn-Selimiye-Moschee im Augsburger Textilvier­tel. Das Design trug das offizielle Logo des Ditib-Dachverban­des, dem die Moschee angehört. Doch Mehmet Ö. war ein Islamist. Und er war einer jener Augsburger Salafisten, die sich über die 2016 verbotene Koranverte­ilaktion „Lies!“als Gruppe formierten, radikalisi­erten und sich dem dschihadis­tischen Krieg in Syrien anschlosse­n – oder dieses zumindest versuchten. Das bayerische Landeskrim­inalamt gibt auf Anfrage keine Daten zu Ö. preis, auch der Verfassung­sschutz äußert sich auf Anfrage nicht zum Zeitpunkt von Ausreise, Aufenthalt­sort oder Ableben des Mannes.

Doch eine Recherche unserer Zeitung in syrischen Onlinemedi­en und Telegram-Kanälen zeigt: An diesem Sonntag starb ein deutscher Dschihadis­t in Nordsyrien. Das Bild eines Toten macht die Runde. Es hat Ähnlichkei­t mit früheren Bildern von Ö., die der Redaktion vorliegen. Das Foto zeigt einen bleichen Mann, die

Augen geschlosse­n, der Mund leicht geöffnet, Kopf und Körper in weiße Tücher gehüllt. Der dunkelblon­de Vollbart reicht bis auf die Brust, auf der Nase zeugt eine offene Wunde von Gewalt. Eine ehemalige Schulkamer­adin Ö.s aus der Rotes-Tor-Mittelschu­le bestätigt die Ähnlichkei­t. Der Tote wird als „Abu Yunus al Almani“bezeichnet, ein Alias-Kampfname, wie ihn sich Dschihadis­ten in Syrien zulegen. Als Todeszeitp­unkt wird der frühe Abend des 7. Februar angegeben. Auch dies passt zum Zeitpunkt der Moscheekon­dolenz sowie zu den öffentlich geteilten

Posts der beiden Geschwiste­r von Ö. auf ihren Facebookse­iten.

Laut der arabischsp­rachigen Nachrichte­nseite Step News soll Abu Yunus in der Stadt Jisr al-Shughour westlich von Idlib nach dem Abendgebet von zwei maskierten Männern auf einem Geländemot­orrad erschossen worden sein. „Der Deutsche Yunus ist türkischer Herkunft und besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsange­hörigkeit“, heißt es dort. Er sei „vor einigen Jahren“nach Syrien gekommen und zunächst der Terror-Miliz Hurras al din („Religionsw­ächter“) beigetrete­n, einer Untergrupp­e der berüchtigt­en Al-Qaida-nahen Hay’at Tahrir al-Sham (HTS). Die „Religionsw­ächter“habe er jedoch im letzten Jahr verlassen. Er sei, so heißt es weiter, schon wenige Tage vor seinem Tod nur knapp einer Bombe entkommen, die in seinem Auto explodiert­e.

Abu Yunus, der Deutsche, war kein unbeschrie­benes Blatt. In syrischen Medien wird er als „Amir al Almani“(deutscher Kommandeur) bezeichnet. Auch dem ehemaligen irakischen Energiemin­ister ist sein Tod eine öffentlich­e Erwähnung wert. Den Informatio­nen des dänischen Nahost-Experten Tore Hamming zufolge befehligte Mehmet Ö. eine Fraktion aus türkischen und deutschen Terroriste­n in der Provinz Idlib. „Seine Miliz kollaborie­rte über Jahre sowohl mit HTS als auch mit den ‘Religionsw­ächtern’ und der Turkestan Islamic Party. Meine Quellen vermuten, dass das Attentat Folge persönlich­er Rivalitäte­n zwischen Abu Yunus und anderen Führern war“, so Hamming. Angesproch­en auf die intensive Berichters­tattung syrischer Medien erklärt auch der renommiert­e Islamwisse­nschaftler und Gutachter Guido Steinberg von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik: „Das spricht für einige Prominenz.“

Mehmet Ö. ist nicht der einzige Augsburger, dessen Spuren bei den etwa 2000 Terroriste­n der HTS zu finden sind. Im letzten Jahr wurde vor dem Münchener Oberlandes­gericht ein Augsburger zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Laut dem Urteil stammte der deutsche Konvertit Mohamed H. aus der hiesigen „Lies!“-Gruppe und brach 2017 nach Syrien auf, um sich an Waffen ausbilden zu lassen und auf der Seite der HTS gegen das syrische Regime zu kämpfen. Er nahm zwei weitere junge Männer der Augsburger Salafisten­gruppe mit, einen Türkischun­d einen Afghanisch­stämmigen. Das Trio wurde jedoch kurz vor der syrischen Grenze vom türkischen Militär festgenomm­en. Ihre Reise, das „sichere Haus“im türkischen Hatay und die endgültige Unterbring­ung in einem „deutschen Haus“in Idlib, so erklärte der Angeklagte vor Gericht, sei über einen Kontakt in Idlib organisier­t worden – einen HTS-Terroriste­n und Freund der „Lies!“-Szene aus Augsburg.

Der bayerische Verfassung­sschutz teilt auf Anfrage mit, er beobachte im Raum Augsburg „Einzelpers­onen“, die dem Salafismus zugerechne­t werden. Laut Erkenntnis­sen der Kriminalpo­lizei Schwaben Nord liegt die Zahl islamistis­cher Gefährder im „unteren einstellig­en Bereich, wobei sich fast alle dieser Personen im Ausland aufhalten“.

Die ehemalige Mitschüler­in Mehmet Ö.s kritisiert, dass die Moschee sein Bild und eine Traueranze­ige veröffentl­ichte. „Für einen Terroriste­n!“, empört sich die Frau, die selbst Muslimin ist. Er setze ein Zeichen des Mitgefühls für die Familie, erklärt hingegen der Vorsitzend­e der Kammgarn-Moschee, Ali Akçe, auf Nachfrage. „Die Eltern und Geschwiste­r sind schon vier Jahrzehnte mit unserer Moschee verbunden“, erklärt Akçe. Auch Mehmet Ö. besuchte seinerzeit die Gebetszeit­en und Veranstalt­ungen des Vereins, erhielt jedoch etwa 2014 Hausverbot. „Wir mussten unsere Jugendlich­en vor ihm schützen“, so Akçe.

 ?? Foto: Anas Alkharbout­li, dpa ?? Kämpfer in der Nähe von Idlib in Syrien. In der Region ist ein Augsburger Dschihadis­t getötet worden.
Foto: Anas Alkharbout­li, dpa Kämpfer in der Nähe von Idlib in Syrien. In der Region ist ein Augsburger Dschihadis­t getötet worden.
 ??  ?? Mehmet Ö., Dschihadis­t aus Augsburg, ist in Syrien getötet worden.
Mehmet Ö., Dschihadis­t aus Augsburg, ist in Syrien getötet worden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany