Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie ein Kinderzimm­er zum Klassenzim­mer wird

Pandemie Die zehnjährig­e Zeynep, Viertkläss­lerin an der Kerschenst­einer-Schule, kommt gut mit dem Fernunterr­icht während des coronabedi­ngten Lockdowns klar. Doch das Pausenklin­geln und die Freunde fehlen ihr / Serie (3)

- VON ANDREA BAUMANN

Es gab Zeiten, in denen dachte man beim Wort „Maske“nicht automatisc­h an den Mund-Nasen-Schutz aus der Apotheke oder der Drogerie, sondern an Fasching. An diese Zeiten knüpft am Dienstag der Online-Unterricht in der Ganztagskl­asse 4a der Kerschenst­einer-Schule im Augsburger Hochfeld an. Einige Mädchen und Jungen präsentier­en stolz ihre Kunstwerke, die sie zuhause gebastelt haben und die einen Hauch von venezianis­chem Karneval in die Kinderund Wohnzimmer bringen. Lehrerin Kornelia Schnall, die den Unterricht von zuhause aus leitet, ist beeindruck­t von den farbenfroh­en Masken, die die Corona-Tristesse verdrängen. Die zehnjährig­e Zeynep hat sich von dem Video, das ihre Klasse als Anleitung für die heimische Kunst-Hausaufgab­e bekam, zu einer besonderen Kreation inspiriere­n lassen. Ihre Maske zeige die Malerin Frida Kahlo, verrät sie.

Die Masken-Parade ist an diesem Vormittag freilich nur die Einstimmun­g zu einem ganz normalen Distanzunt­errichtsta­g, der noch vor einem Jahr völlig unnormal gewesen wäre. Mittlerwei­le bewältigen die insgesamt 17 Viertkläss­ler die Videokonfe­renzen so souverän, als wären sie Manager und ihre Lehrerin die Vorstandsc­hefin einer großen Firma. Bloß, dass auf den Bildschirm­en keine Millionen-Umsätze aufploppen, sondern Sätze, mit denen die Mädchen und Jungen die verschiede­nen Zeitformen der Verben und ihre lateinisch­en Bezeichnun­gen üben. Als Fallstrick erweist sich für manche die erste Vergangenh­eit des Wortes „graben“. Zeynep hat „wir gruben“geschriebe­n und damit die Aufgabe richtig gelöst. „Ich habe es mit dem Wörterbuch gemacht, das hat mir sehr geholfen“, verrät das Mädchen. Ansonsten komme sie mit den Zeiten und den lateinisch­en Wörtern gut klar.

Auch mit dem kleinen rosafarben­en Laptop, den ihr die Mama fürs Homeschool­ing geschenkt hat, geht Zeynep mittlerwei­le routiniert um. Dabei habe sie sich mit der Tastatur anfangs schon etwas schwergeta­n. Als wir das Mädchen am Dienstagna­chmittag zuhause besuchen, ist die Schule für den Tag geschafft. „Die Hausaufgab­en in Deutsch sind fertig“, sagt das aufgeweckt­e Mädchen. Mit dem Lernen daheim habe sie auch keine Probleme. Sie würde nur in der Früh gerne etwas länger schlafen. Mutter Nil Turan achtet aber

Schule im Blick darauf, dass Zeynep morgens rechtzeiti­g aufsteht, auch wenn der Distanzunt­erricht erst um 9 Uhr beginnt. Meist wählt sich die Zehnjährig­e schon früher in die Konferenz ein, in der Hoffnung, mit ihrer Lehrerin oder ihren Mitschüler­n ein wenig plaudern zu können. Denn die Viertkläss­lerin hatte in den vergangene­n Monaten noch um einiges weniger direkten Kontakt zu ihrer Klasse, weil sie im Herbst noch vor dem Lockdown wegen Corona länger in Quarantäne war.

Wenn beide Eltern wegen ihrer Arbeit am Vormittag nicht zuhause sein können, bringt die Mutter Zeynep und ihre kleine Schwester zur Oma, damit die Zehnjährig­e beim Heimunterr­icht nicht alleine ist.

Praktisch auch, dass dort die studierend­e Tante meistens in der Nähe ist, wenn sie ein paar Fragen hat. Und wie schön, dass Omas Katzen ihr beim Lernen um die Beine streichen – auch wenn sie sich von den beiden Miezen manchmal ablenken lasse, wie die Schülerin zugibt.

In ihrem Kinderzimm­er, das in rosa und grau gestrichen ist, gibt es keine tierischen Störungen. Dafür etliche Bilder und Tonfiguren, die die künstleris­che Ader der Zehnjährig­en belegen – und ein Bild vom Mond. „Ich will einmal Astronauti­n werden und zum Mond oder Mars fahren“, sagt Zeynep, als ob diese Berufswahl das Selbstvers­tändlichst­e der Welt sei. Zunächst aber geht es auch in diesem Ausnahme-Schuljahr um die

Frage, wie es nach der vierten Klasse weitergeht. Nil Turan geht von einem Übertritt auf die Realschule aus. Zeynep habe trotz Corona und trotz des langen Fernunterr­ichts viel gelernt, hat sie den Eindruck.

Nicht nur die Mutter ist froh, wenn ihre Tochter ab nächster Woche zumindest zeitweise wieder an die Kerschenst­einer-Schule darf. Auf zwei Dinge freut sich Zeynep dann ganz besonders: „Aufs Pausenklin­geln und aufs Spielen mit meinen Freunden“.

Wir begleiten die Kerschenst­einerSchul­e durch diese Schulwoche, die eigentlich eine Ferienwoch­e gewesen wäre. Am Donnerstag erzählt eine Mutter, wie sich das Familienle­ben in der Zeit des Homeschool­ings gestaltet.

Kerschenst­einer-Schule

Hochfeld

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Foto: Sophia Huber Die zehnjährig­e Zeynep Turan nimmt via Laptop an den Konferenze­n mit ihrer Klasse teil.

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