Augsburger Allgemeine (Land West)

Als Brecht Zeugnis für Amerika ablegte

Literatur Die Augsburger Staats- und Stadtbibli­othek erhält den deutschen Erstdruck eines Gedichts zur Kriegswend­e. Auch eine Kontrovers­e mit Thomas Mann macht diese Zeitung vom 3. August 1945 so wertvoll

- VON ALOIS KNOLLER

Wieder einmal ist der Augsburger Brecht-Forschungs­stätte ein großer Fang geglückt. Aus einem Nachlass erhielt die Sammlung an der Staatsund Stadtbibli­othek ein Erstexempl­ar der von der amerikanis­chen Armee herausgege­benen Stuttgarte­r Stimme vom 3. August 1945. Darin ist nicht nur erstmals in Deutschlan­d Bertolt Brechts Gedicht „Lied der Panzerjäge­r“abgedruckt, sondern auch der offene Brief, den Walter von Molo als Wortführer der „inneren Emigration“an Thomas Mann in den USA richtete.

Die brüchige, vierseitig­e Zeitung ist eines von wenigen bekannten Papierorig­inalen. Nur in Berlin, Leipzig und Stuttgart ist diese Ausgabe erhalten. Bisher galt für beide Texte in den Handbücher­n erst der 4. August als Erstdruck in jeweils anderen Zeitungen. Brechts „Lied der Panzerjäge­r“, das im Frühjahr 1942 für die amerikanis­che Aufführung einzelner Szenen von „Furcht und Elend des Dritten Reichs“in der englischen Version „The Private Life of the Master Race“entstand, wird ausgeflagg­t als eine Übernahme aus der österreich­ischen Austro American Tribune, die in New York erschien. In den Nachdrucke­n fehlt dieser Hinweis.

Das „Lied der Panzerjäge­r“sei nach der Melodie des Horst-WesselLied­s zu singen, also als eine Parodie der offizielle­n nationalso­zialistisc­hen Propaganda („Die Straße frei den braunen Batallione­n“). Brechts Lied reflektier­t die ersten drei Kriegsjahr­e bis zur Wende im Winter 1942 vor Stalingrad. „Nun steht der Tod zur Linken und der Tod zur Rechten/ Weit ist der Heimweg, und es ist kalt“, bilanziert Brecht, dass der „Karren der Welterober­ung“plötzlich stehen geblieben sei. Es sind die mit Blut beschmiert­en Eisenkärre­n, die „in aller Blitzessch­nelle“Europa erobern unter Hitlers eisenharte­r Hand, gebaut von den deutschen Industriel­len Krupp und Thyssen. „So kurz nach Kriegsende wurde Brecht in Amerika noch als antifaschi­stischer Autor wahrgenomm­en, während ihn zwei Jahre danach McCarthy 1947 als feindliche­n Kommuniste­n verfolgte“, erklärt der Augsburger Brechtfors­cher Jürgen Hillesheim. Die Stuttgarte­r Stimme nennt dieses Lied „das Zeugnis für die kämpferisc­he Haltung des Dichters“.

Die Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg verdankt die Originalau­sgabe der jüngst erfolgten Schenkung eines Privatmann­s aus Bad Dürkheim (Pfalz). „Die Brechtabte­ilung wächst und gedeiht, ohne dass wir viel Geld dafür ausgeben“, jubelt Bibliothek­sdirektor Karl-Georg Pfändtner. Auch Kulturrefe­rent Jürgen Enninger freut sich über den Zugang. Bisher galt die Münchner Zeitung vom 4. August 1945 als Erstdruck des „Lieds der Panzerjäge­r“. Dann gab es noch eine Veröffentl­ichung am 8. August in der Allgemeine­n Zeitung in Berlin. Die Stuttgarte­r Stimme erschien bis 14. September

Eine Parodie auf das braune Horst‰Wessel‰Lied

Vorn Potsdamer Abkommen, hinten deutsche Kultur

1945 in nur sieben Nummern. Auf der Titelseite der ersten Ausgabe wird breit über das weltbewege­nde Potsdamer Abkommen vom Vortag berichtet, die Rückseite ist der deutschen Kultur gewidmet.

Neben dem zentral abgedruckt­en Gedicht Brechts enthält sie Walter von Molos Brief an Thomas Mann, das früheste Dokument zur kontrovers­en Diskussion über die „innere Emigration“deutscher Dichter. Von Molo, vor 1933 Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft Deutscher Schriftste­ller, befand, dass Autoren, die jahrelang außerhalb des Dritten Reichs lebten, kein Recht hätten, sich zum Schicksal Deutschlan­ds zu äußern. An Thomas Mann schrieb er: „Ihr Volk, das nunmehr seit einem Dritteljah­rhundert hungert und leidet, hat im innersten Kern nichts gemein mit den Missetaten und Verbrechen, den schmachvol­len Greueln und Lügen.“

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