Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie eine Familie den Unterricht zuhause meistert

Pandemie Shpresa Kara ist während des Heimunterr­ichts eine wichtige Stütze für Tochter Anisa. Doch damit die achtjährig­e Augsburger­in in Ruhe lernen kann, muss die ganze Familie zusammenrü­cken – Serie (4)

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Wenn um 9 Uhr der Schulunter­richt im Wohnzimmer der Familie Kara im Augsburger Stadtteil Hochfeld beginnt, braucht Tochter Anisa (8) vor allem Ruhe. Die Drittkläss­lerin geht auf die Kerschenst­einerGrund­schule im Hochfeld – und wie alle ihre Klassenkam­eraden verfolgt sie derzeit den Unterricht online. Eine Situation, die nicht ganz einfach ist für die fünfköpfig­e Familie mit einem Säugling, die in einer Drei-ZimmerWohn­ung auf 75 Quadratmet­ern wohnt. Nicht nur die räumlichen Verhältnis­se bringen immer neue Herausford­erungen mit sich, denen sich Mama Shpresa Kara jeden Tag aufs Neue stellen muss.

Familie Kara, das sind neben Shpresa und Anisa Kara noch Papa Mahmut, Schwester Miray, sechs Jahre, und der kleine Aren, neun Monate alt. Schon ohne Corona ist die Wohnung eng und längst sucht die Familie eine neue. Doch seit das Wohnzimmer jeden Vormittag zum Klassenrau­m wird, muss die Familie richtig eng zusammenrü­cken. „Ich versuche mit dem kleinen Aren leise zu sein, solange der Unterricht läuft“, erzählt die Mutter. Doch auch ein Baby hat seine Bedürfniss­e – und wenn es hungrig ist oder eine frische Windel braucht, gibt es Geschrei. „Dann versteht Anisa oft ihr eigenes Wort nicht mehr und den Lehrer schon gar nicht“, bedauert die Mutter.

für die sechsjähri­ge Schwester, die noch nicht zur Schule geht, bedeutet Anisas Homeschool­ing Einschränk­ungen. Sie muss im Kinderzimm­er bleiben und sich dort leise beschäftig­en. Wann immer es geht, verbringt die Mutter dort Zeit mit ihr und dem Baby. „Ich kann Miray schlecht zwei Stunden alleine im Zimmer sitzen lassen“, findet sie. Die jüngere Tochter müsse gerade stark zurückstec­ken. „Aber sie ist jetzt so alt, dass sie das versteht“, glaubt die Mutter.

Shpresa Kara ist IT-Spezialist­in in einem Labor und gerade in Elternzeit. Ein Glücksfall, wie sie findet, denn so kann sie sich um die Kinder kümmern und Anisa nach Kräften unterstütz­en. Obwohl die Achtjährig­e nicht viel Hilfe zu benötigen scheint, zumindest was die Bedienung der Technik anbelangt. Souverän handhabt sie Mamas Laptop, weiß, wie man Kamera und Mikrofon an- und wieder ausschalte­t und auch mit der Software Microsoft Teams, auf der der Online-Unterricht stattfinde­t, kommt sie bestens zurecht. „Durch meinen Beruf ist der Computer für sie etwas Selbstvers­tändliches, das macht alles leichter“, findet die Mutter.

Wenn es um Lerninhalt­e geht, muss die Mama aber regelmäßig mit ran. „In der dritten Klasse kommen viele neue Lerneinhei­ten dran, die sie sich noch nicht alleine erarbeiten kann“, sagt sie. Gerade waren es Würfelnetz­e, die Mutter und Tochter gemeinsam ausknobeln mussten. „Der Lehrer ist unheimlich engagiert und gibt sich Mühe, aber er kann natürlich nicht jedem Kind den Stoff individuel­l erklären“, findet Kara. Sie hat mittlerwei­le den Lehrplan der dritten Klasse gegoogelt und achtet darauf, dass die Tochter in etwa auf dem geforderte­n Niveau bleibt. „Ich mache mir natürlich Sorgen, ob die Kinder am Ende eine gute Schulbildu­ng beAuch kommen – schließlic­h geht das jetzt schon ziemlich lange“sagt die Mutter.

Als Elternspre­cherin weiß Shpresa Kara, welche Herausford­erungen der Online-Unterricht für viele Familien mit sich bringt. Noch immer hat nicht jede Familie einen Laptop oder Computer daheim – und selbst wenn mehr Geräte zur Verfügung wären, könnten wohl nicht alle Familien mit der Technik umgehen. Die Schule unterstütz­e die Eltern nach Kräften – zum Umgang mit Microsoft Teams beispielsw­eise gebe es mittlerwei­le einen einfachen Leitfaden, der die Grundzüge des Programms erklärt.

„Die Lehrer sind unheimlich engagiert und drucken beispielsw­eise die notwendige­n Unterlagen für die Schüler aus“, weiß Kara. Sie hat mittlerwei­le einen Farbdrucke­r angeschaff­t, der das Arbeiten für die Tochter noch einmal erheblich vereinfach­e. „Solche Kosten müssen die Eltern natürlich selber tragen, da gibt es keine Zuschüsse“, weiß die Mutter. Anisa hat sichtlich Spaß, wenn sie am Laptop dem Englischun­terricht folgt und die vielen Fenster mit ihren Klassenkam­eraden auf dem Bildschirm sieht. Doch den persönlich­en Kontakt kann auch die beste Kamera nicht ersetzen. Wenn irgendwann wieder richtiger Unterricht stattfinde­n kann, freut sie sich vor allem auf ihre Freundinne­n, erzählt die Achtjährig­e.

„Ich bin traurig, weil die Kinder so lange ihre Freunde nicht sehen können“, sagt auch Mutter Shpresa Kara. Dass bald alles wieder normal sein wird, glaubt sie nicht. „Da bin ich realistisc­h – das wird sich noch hinziehen“, ist sie überzeugt.

 ?? Foto: Sophia Huber ?? Shpresa Kara und ihre achtjährig­e Tochter Anisa gehen gemeinsam den Unterricht­s‰ stoff der Drittkläss­lerin durch. Wegen Platzmange­ls lernt Anisa im Wohnzimmer der Familie.
Wir begleiten die Kerschenst­einerSchul­e durch diese Schulwoche, die eigentlich eine Ferienwoch­e gewesen wäre. Am Freitag berichten wir, wie der Schülerspr­echer die Situation sieht.
Foto: Sophia Huber Shpresa Kara und ihre achtjährig­e Tochter Anisa gehen gemeinsam den Unterricht­s‰ stoff der Drittkläss­lerin durch. Wegen Platzmange­ls lernt Anisa im Wohnzimmer der Familie. Wir begleiten die Kerschenst­einerSchul­e durch diese Schulwoche, die eigentlich eine Ferienwoch­e gewesen wäre. Am Freitag berichten wir, wie der Schülerspr­echer die Situation sieht.

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