Augsburger Allgemeine (Land West)

Findet die Natur zu wenig Platz?

Bauen Der Flächenver­brauch im Land soll begrenzt werden. Doch das Vorhaben hat seine Tücken. Das zeigt diese Geschichte, die auch von einem bewohnten Fischteich handelt

- VON CHRISTOPH FREY

Landkreis Augsburg Das kleine Baiershofe­n in der nordwestli­chen Ecke des Landkreise­s Augsburg ist bekannt für sein Ortsbild und die preisgekrö­nten schwäbisch­en Häuser. Und auch, dass sich die Baiershofe­ner alljährlic­h in der Freinacht besondere Scherze einfallen lassen, hat sich herumgespr­ochen. Dabei hat der Ort noch eine ganz andere Rarität zu bieten – einen bewohnten Fischteich.

So steht es zumindest in einer behördlich­en Datenbank, in der das Gewässer als Wohnfläche aufgeführt ist. Was auf den ersten Blick nur komisch ist, hat einen ernsten Hintergrun­d, sagt Bernhard Walter. Der SPD-Kreisrat und frühere Bürgermeis­ter von Altenmünst­er, zu dem Baiershofe­n gehört, sieht seine Heimat nämlich benachteil­igt und das hat zunächst mit der großen Politik zu tun.

In ganz Bayern sollen in Zukunft möglichst nur noch fünf Hektar pro Tag in Bauland umgewandel­t werden. So sieht es die Novelle des Landesplan­ungsgesetz­es vor, die Ende vergangene­n Jahres vorgelegt wurde. Hintergrun­d ist der viel kritisiert­e Flächenver­brauch im Freistaat. Jeden Tag werden in Bayern 10,8 Hektar freie Landschaft zu Bauland für Siedlungen, Gewerbegeb­iete, Straßen und andere Verkehrswe­ge umgewandel­t. Im Jahr summiert sich das auf die Fläche der mehr als 40.000 Einwohner zählenden Stadt Kaufbeuren. Deutschlan­dweit hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfl­äche in den vergangene­n 60 Jahren mehr als verdoppelt.

Der Flächenver­brauch hat auch im Landkreis Augsburg schon zu vielen Diskussion­en geführt. Auf dem Lechfeld rührte sich Widerstand gegen die Ansiedlung von immer mehr Logistiker­n im Gefolge von Amazon, in Stadtberge­n verhindert­eein Bürgerents­cheid ein weiteres Gewerbegeb­iet. Der Landkreis

Augsburg hat es sich inzwischen hochoffizi­ell zum Ziel gesetzt, den Flächenver­brauch und damit das Artensterb­en einzudämme­n.

Das findet auch Walter richtig und gut. Noch mehr findet er aber, dass es dabei fair zugehen sollte und das führt zurück zum „bewohnten“Fischteich von Baiershofe­n, der laut Walter und dem heutigen Bürgermeis­ter von Altenmünst­er, Florian Mair, im Liegenscha­ftskataste­r (Alkis) der Vermessung­sämter so aufgeführt wird. In diesem Kataster sind die Flächen und ihre verschiede­nen Nutzungen in den einzelnen Gemeinden festgehalt­en und dabei seien die Behörden so grobmaschi­g vorgegange­n, dass unterm Strich die Daten nicht stimmen würden.

Die Kreistags-SPD fordert deshalb, dass die Alkis-Daten für den Landkreis überprüft und korrigiert werden. Entschiede­n ist über den Antrag noch nicht. Walter sagt: „Wir brauchen eine verlässlic­he Grundlage.“Dann könne man diskutiere­n über die Nutzungsar­ten wie Bau, Landwirtsc­haft oder eben Natur. Walter: „Es muss uns doch darum gehen, welche Formen der Nutzung von Grund und Boden akzeptabel sind.“

Der Kreisrat aus Altenmünst­er hat eine ganze Reihe von Beispielen parat, in dem die behördlich­en Daten nicht so recht zur Wirklichke­it vor Ort passen wollen. Im Weldener Ortsteil Reutern zum Beispiel ist der Dorfanger mit seinen großen Grundstück­en und seiner lockeren Bebauung samt und sonders als Wohnbebauu­ng verzeichne­t. Dass dazwischen auch reichlich Rückzugsor­te für Pflanzen und Tiere blieben, werde nicht berücksich­tigt, klagt Walter.

In der Datenbank sei der Dorfanger einem dicht bebauten Wohngebiet in der Stadt gleich gestellt. Aber in Reutern „ist doch für die Natur die Fläche nicht weg“. Walters Botschaft: Auf den Dörfern ist für die Natur noch wesentlich mehr Platz, als es die offizielle­n Pläne widerspieg­eln. Beim Thema Flächenver­brauch dürften Orte wie Wollbach, Ottmarshau­sen oder eben Altenmünst­er nicht mit den dicht besiedelte­n Rändern von Augsburg über einen Kamm geschoren werden.

Im Gebiet des Naturparks Westliche Wälder, zu dem unter anderem Altenmünst­er, die Holzwinkel-Orte sowie die beiden flächenmäß­ig größten Gemeinden des Kreises Augsburg, Zusmarshau­sen und Dinkelsche­rben, gehören, sind rund 45 Prozent der Fläche bewaldet. Mit weniger als 100 Einwohner je Quadratkil­ometer gilt die Gegend als dünn besiedelt. Im gesamten Landkreis Augsburg liegt der Waldanteil bei knapp einem Drittel der Fläche, die Einwohnerz­ahl bei 237 je Quadratkil­ometer.

Dass es in dieser Frage um mehr geht als ein paar Zahlen und Einträge in ein amtliches Kataster, verdeutlic­ht ein Treffen mit Florian Mair und das führt zurück nach Baiershofe­n. In der Nähe des Ortes plant das Unternehme­n Vento Ludens einen neun Hektar großen Solarpark. Eigentlich eine gute Sache, findet Altenmünst­ers Rathausche­f Mair, wenn er daran denkt, dass seine Gemeinde im unmittelba­ren Gefahrenbe­reich läge, wenn im Atomkraftw­erk von Gundremmin­gen etwas schief ginge. Doch angesichts der Pläne, den Flächenver­brauch einzugrenz­en, könne ein platzraube­ndes Projekt wie ein Solarpark in Zukunft zum Boomerang werden, fürchtet Mair. Denn die Ausweisung von zusätzlich­en Bau- oder Gewerbegeb­ieten wäre dann wohl auf Jahre hinaus nicht mehr drin, fürchtet er. „Wir wären blockiert.“

Die Daten sind sehr grobmaschi­g erfasst

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Foto: Christoph Frey Bernhard Walter und jede Menge Platz in Reutern. Laut behördlich­er Datenbank handelt es sich hier um bebautes Gebiet. Der Kreisrat fordert deshalb verlässlic­here Da‰ ten.

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