Augsburger Allgemeine (Land West)

„Jeder sollte bei AstraZenec­a zugreifen“

Interview Professor Carsten Watzl von der Deutschen Gesellscha­ft für Immunmediz­in erklärt Stärken und Schwächen des in die Diskussion geratenen britisch-schwedisch­en Impfstoffs und sagt, wie sich seine Wirkung leicht steigern lässt

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Herr Professor Watzl, viele Mediziner zögern derzeit, sich mit dem Impfstoff von AstraZenec­a impfen zu lassen, weil sie lieber die neuartigen sogenannte­n mRNA-Impfstoffe hätten, die eine noch höhere Wirksamkei­t haben sollen. Schadet diese Diskussion möglicherw­eise der Impfbereit­schaft? Carsten Watzl: Diese Sorge ist berechtigt: Ich sehe es als absolut kontraprod­uktiv an, wenn auf einmal von führenden Medizinern der Ruf kommt, sich nur mit einem bestimmten Impfstoff impfen lassen zu wollen. Aus immunologi­scher Sicht ist es ganz klar: AstraZenec­a bietet einen deutlichen Schutz vor einer Corona-Erkrankung, der um ein Vielfaches besser ist, als wenn man nicht geimpft ist. Das heißt, wenn man vor die Wahl gestellt wird, jetzt AstraZenec­a oder in ein paar Monaten mit einem anderen Impfstoff, sollte man auf jeden Fall jetzt bei AstraZenec­a zugreifen!

Entsteht aber nicht der Eindruck, klassische Impfstoffe wie der von AstraZenec­a sind nur zweite Wahl? Watzl: Zu sagen, der AstraZenec­aImpfstoff sei zweitklass­ig, ist sowohl wissenscha­ftlich als auch von der öffentlich­en Wirkung völlig daneben. Das Minimum für die Zulassung eines Impfstoffs war eine Effektivit­ät von mindestens 50 Prozent. AstraZenec­a bietet laut der klinischen Studie 70 Prozent Effektivit­ät. Neue Untersuchu­ngen deuten darauf hin, dass die Effektivit­ät sogar auf 80 Prozent steigt, wenn die zweite Impfdosis etwas hinausgezö­gert wird. Deshalb verimpfen wir jetzt in Deutschlan­d erst nach neun bis zwölf Wochen Abstand die zweite Dosis. Ob die Wahrschein­lichkeit, an Corona schwer zu erkranken, je nach Impfstoff um 80 oder um 95 Prozent sinkt, ist in der Praxis ein viel kleinerer Unterschie­d, als es für den Laien erscheint. Denn die unter 65-Jährigen haben ohnehin schon ein deutlich geringeres Risiko, schwer an Corona zu erkranken, als die älteren. Ziel der Impfung ist es, nicht im Krankenhau­s oder gar auf der Intensivst­ation zu landen. Es geht nicht darum zu verhindern, dass man vielleicht ein paar Tage zu Hause im Bett liegen muss. Deshalb leistet der Impfstoff von AstraZenec­a gute Arbeit.

Das heißt, AstraZenec­a ist aus medizinisc­her Sicht auch im Vergleich mit Biontech ein guter Impfstoff?

Watzl: Das Mittel von AstraZenec­a ist ein sehr guter Impfstoff, auch wenn die anderen noch ein bisschen besser sind.

Könnte man sich nach einer Impfung mit AstraZenec­a zu einem späteren Zeitpunkt mit einem mRNA wie von Biontech impfen lassen?

Watzl: Zunächst muss man die ersten beiden Impfdosen vom gleichen Präparat bekommen, denn es gibt noch keinerlei Studien, wie es wäre, wenn man verschiede­ne Impfstoffe bei Erst- und Zweitimpfu­ng verwenden würde. Wenn man die Impffolge mit zwei Dosen beispielsw­eise von AstraZenca abgeschlos­sen hat, kann man natürlich später mit einem anderen Corona-Impfstoff geimpft werden. Zum Beispiel, wenn ein neues Präparat die Virusmutat­ionen besser abdecken würde oder wenn der Impfschutz sich nach einigen Jahren abschwäche­n würde. Dann kann man mit jedem anderen Impfstoff nachimpfen.

Könnte es dabei nicht Probleme wegen der unterschie­dlichen Technik geben? Watzl: Nein. Immunologi­sch ist das kein Problem, weil bisher alle zugelassen­en Impfstoffe bei dem sogenannte­n Spike-Protein des Coronaviru­s ansetzen. Das heißt, man kann die Immunität, die man mit dem AstraZenec­a Impfstoff ausgelöst hat, ohne Probleme mit einem mRNA-Impfstoff später noch einmal verstärken. Man legt sich also nicht fest, dass man, wenn man sich einmal mit AstraZenec­a impfen lässt, sich auch bei einer späteren nochmals mit AstraZenec­a impfen lassen müsste.

Wenn man sich also zum Beispiel dieses Jahr zweimal mit AstraZenec­a impfen lässt und im Winter mit Biontech, Moderna oder Curevac: Ist dann die Wirkung schlechter oder besser? Watzl: Die neuerliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff würde die Wirksamkei­t des Impfstoffs­chutzes auf jeden Fall verstärken. Diesen Effekt sehen wir bei der Impfung von Menschen, die bereits mit Corona infiziert waren. Sie hatten bereits durch die natürliche Infektion einen gewissen Immunschut­z. Laut Studien haben diese Menschen nach der ersten von zwei Impfdosen einen so hohen Antikörper­spiegel, wie andere erst nach der zweiten Impfung. Das heißt, wenn man sich jetzt mit zwei Dosen AstraZenec­a impfen lässt und in einem halben Jahr eine Dosis mRNA-Auffrischu­ng bekommt, dann wird das sehr viel besser ein, als wenn man sich vorher überhaupt nicht impfen lässt. Die Erfahrung bei Mehrfachim­pfungen ist, dass mehrere Dosen generell helfen, eine stärkere und länger anhaltende Immunität herzustell­en. Es werden beispielsw­eise bei Hepatitis

B oder manchmal bei der Impfung gegen das Papillomav­irus drei Impfungen empfohlen. Man hat also keine schlechter­en Karten für die Zukunft, wenn man sich jetzt erst einmal mit AstraZenec­a impfen lässt.

Gibt es Erkenntnis­se, ob die mRNAImpfst­offe davor schützen, dass Geimpfte andere anstecken können? Watzl: In Israel sind auch geimpfte Über-60-Jährige positiv getestet worden. Bei diesen PCR-Tests hat man laut ersten Studien aber eine deutlich geringere Virenlast festgestel­lt. Es könnte sich um eine bis zu 20-fache Reduzierun­g handeln. Das würde bedeuten, dass diese geimpften Menschen bei einer Corona-Infektion deutlich weniger ansteckend sind als Nichtgeimp­fte, aber es keinen hundertpro­zentigen Schutz vor Fremdanste­ckungen gibt. In Israel wird mit Biontech geimpft, von AstraZenec­a gibt es noch keine vergleichb­aren Daten. In Israel ist zudem der Großteil der älteren Menschen bereits zum zweiten Mal geimpft. Man sieht nun, dass bei den Über-60-Jährigen die Zahl der Krankenhau­s-Einlieferu­ngen wegen Covid-19 deutlich gesunken ist und ebenso die schweren Krankheits­verAuffris­chung läufe. Beim Vergleich mit den Unter-60-Jährigen, die erst zu 30 Prozent geimpft sind, sieht man diese Entwicklun­g dagegen nicht.

Es mehren sich Berichte über Nebenwirku­ngen bei AstraZenec­a ...

Watzl: Es war von vornherein klar, dass es bei den Impfstoffe­n zu solchen Effekten kommen kann und man sich darauf einstellen muss. Das ist nichts Besonderes für AstraZenec­a. Die oft typischen Nebenwirku­ngen wie Kopfschmer­zen, Müdigkeit oder Muskelschm­erzen sind in der Regel Ausdruck davon, dass der Impfstoff das tut, was er tun soll, nämlich eine Immunreakt­ion auszulösen. Ein Unterschie­d zwischen den Impfstoffe­n ist, dass diese Nebenwirku­ngen bei mRNA-Impfstoffe­n in mehr Fällen und stärker nach der zweiten anstelle der ersten Impfung auftreten. Bei AstraZenec­a ist es genau umgekehrt: Da sehen wir dieses Phänomen nach der ersten Impfung häufiger – und bei der zweiten weniger. Aber die Nebenwirku­ngen treten sowohl bei AstraZenec­a als auch bei den mRNA-Impfstoffe­n auf und sind laut bisherigen Studien vergleichb­ar häufig.

In Studien wurden in manchen Fällen Impfkandid­aten vorbeugend Paracetamo­l verabreich­t. Ist das ratsam? Watzl: Man hat untersucht, ob es sinnvoll ist, prophylakt­isch Paracetamo­l gegen die Nebenwirku­ngen zu geben. Das wird allerdings als nicht sinnvoll empfohlen. Wenn, dann wäre es nur nach der Impfung ratsam – wenn beispielsw­eise Kopfschmer­zen auftreten. Man sollte Schmerzmit­tel nicht vorbeugend verabreich­en, da diese Medikament­e entzündung­shemmend wirken und es unklar ist, ob dies die Impfwirkun­g beeinträch­tigen könnte.

Das heißt aus Ihrer Sicht: Es spricht nichts dagegen, sich jetzt auch mit AstraZenca impfen zu lassen?

Watzl: Absolut nicht. Solange die Impfdosen knapp sind, ist jeder Impfschutz von einem zugelassen­en Präparat besser als kein Impfschutz. Deswegen sollte man den Impfstoff nehmen, den man kriegen kann. Wenn wir im dritten Quartal wirklich einen Überschuss an Impfdosen haben, kann man immer noch versuchen, über seinen Arzt an einen bestimmten Impfstoff nach Wahl heranzukom­men. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn jetzt alle auf AstraZenec­a herumreite­n.

Interview: Michael Pohl

Carsten Watzl ist Professor an der Uni Dortmund und General‰ sekretär der Deut‰ schen Gesellscha­ft für Immunologi­e.

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Foto: Alain Jocard, dpa Der Impfstoff von AstraZenec­a ist laut Experten besser als sein Ruf.
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