Augsburger Allgemeine (Land West)

„In der Bundesliga nur für den FCA“

Serie Teil 4 Ragnar Klavan schied mit den Augsburger­n in der Zwischenru­nde gegen Liverpool aus. Mit dem Wechsel an die Anfield Road erfüllte sich danach aber ein Kindheitst­raum

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Hallo Herr Klavan, sprechen Sie Italienisc­h schon genauso gut wie Deutsch? Klavan: Warum fragen Sie?

Na ja, Sie spielen seit August 2018 für Cagliari Calcio auf Sardinien. Und als Sie hier beim FCA gespielt haben, konnten sie nach wenigen Monaten fast perfekt Deutsch.

Klavan: Ach, mein Deutsch ist nicht mehr so gut. Zurück zu ihrer Frage: Natürlich spreche ich Italienisc­h, aber mit unserer großen Familie mit drei Kindern ist der Kontakt nach draußen nicht mehr so groß.

Können Sie sich vorstellen, warum ich Sie anrufe?

Klavan: Ich denke schon. Es hat wohl mit dem Euro-League-Duell des FCA gegen den FC Liverpool zu tun.

Vor genau fünf Jahren spielte der FCA in der Zwischenru­nde gegen Liverpool. Welche Erinnerung­en haben Sie? Klavan: Es war eigentlich ein Wunder, dass wir es damals überhaupt in die K.-o.-Phase geschafft haben. Wir haben dann gegen Liverpool zwei gute Spiele (Anm. d. Red.: 0:0 und 0:1) abgeliefer­t, aber es hat leider nicht gereicht, um weiterzuko­mmen. Auf diesem Level entscheide­n Kleinigkei­ten. Wir hatten an der Anfield Road nicht wirklich gut gespielt, aber wir waren bis zur letzten Minute im Spiel. Das Aus war dann schon hart, weil im Achtelfina­le Manchester United gewartet hätte.

Nach dem Schlusspfi­ff wurde die Mannschaft minutenlan­g von den FCA-Fans gefeiert …

Klavan: Das war für uns Spieler etwas ganz Besonderes. Die Fans in Augsburg sind unglaublic­h. Das habe ich immer gesagt. Sie standen immer hinter uns, auch als wir in meiner ersten Saison in Augsburg nach der Vorrunde nur neun Punkte hatten. Dass wir am letzten Spieltag die Klasse gehalten haben, war auch mit ihr Verdienst.

Dabei standen Sie in der Europa League in Belgrad in der Gruppenpha­se vor dem Aus, ehe Raúl Bobadilla Sekunden vor dem Abpfiff den notwendige­n 3:1-Siegtreffe­r erzielt hat. Klavan: Ich war in Belgrad gar nicht dabei, weil ich im Spiel gegen Köln wenige Tage zuvor eine Gehirnersc­hütterung erlitten hatte. Aber weil Sie Raúl erwähnen: Er ist ein Beispiel dafür, wie wir damals als Einheit aufgetrete­n sind. Raúl hatte bei anderen Vereinen viele Probleme, aber in unserer Truppe hat er funktionie­rt, weil wir einfach unglaublic­h gute Spielertyp­en hatten, nicht nur auf dem Platz, sondern auch als Persönlich­keiten. Das hat uns damals so stark gemacht.

Wer waren diese Persönlich­keiten? Klavan: Halil (Altintop), Jan-Ingwer (Callsen-Bracker) und Dani (Baier) waren die wichtigste­n Personen für mich. Vielleicht habe ich auch ein wenig dazu beigetrage­n. Jeder Spieler, der damals dazugekomm­en ist, hat uns als Mannschaft weitergebr­acht. Unsere Stärke war unser Teamgeist. Deswegen waren diese Spiele gegen Liverpool für uns als Mannschaft etwas ganz Spezielles. Und für mich persönlich waren die vier Jahre beim FCA meine beste Zeit als Fußballspi­eler, auch wenn ich danach noch in Liverpool gespielt habe.

Sie sprechen es an. Nach der Saison wechselten Sie vom FCA nach Liverpool. Haben Sie in den beiden Spielen so einen Eindruck auf Liverpool-Trainer Jürgen Klopp gemacht?

Klavan: Jürgen Klopp hatte mit mir schon gesprochen, da war er noch in Dortmund Trainer. Das war aber nur ein lockerer Kontakt, denn für mich war klar, in der Bundesliga spiele ich nur für den FCA. Klopp kannte mich also schon. Und dann habe ich es gegen Liverpool wohl nicht so schlecht gemacht und die Anfrage wurde in Juni konkret.

Für Sie ist mit dem Wechsel dann ein Traum in Erfüllung gegangen. Klavan: Das kann man so sagen. Aber die Entscheidu­ng ist mir wirklich schwergefa­llen, denn ich hatte unglaublic­he vier Jahre in Augsburg. Aber in Estland träumt man als Kind davon, in der englischen Premier League zu spielen.

Wie waren die zwei Jahre in Liverpool für Sie?

Klavan: Ich hatte eine gute Zeit, aber es war anders als in Augsburg und in der Bundesliga. Die Belastung war viel größer. Du hast die Punktspiel­e, zwei Pokalwettb­ewerbe und spielst auch noch in der Champions League. Als Fußballspi­eler ist das super, aber als Familienva­ter ist es nicht immer einfach. Du bist viel unterwegs, ich musste meine Frau und meine zwei Söhne viel alleine lassen und ich bin einfach ein Familienme­nsch. Das ist die andere Seite, wenn du in England spielst.

Und Sie spielten nicht die tragende Rolle wie beim FCA …

Klavan: Das war mir schon bei der Unterschri­ft in Liverpool bewusst. Wenn man sieht, dass ein Spieler wie Virgil van Dijk verpflicht­et wird, ist das doch normal. Wenn du gut spielst, spielst du, wenn ein besserer Spieler da ist, spielt der. Aber ich habe über 50 Spiele für Liverpool gemacht, darauf bin ich schon ein wenig stolz.

Danach ging es in den Süden Europas. Sie wechselten in die italienisc­he Serie A zu Cagliari Calcio auf Sardinien. Klavan: Als ich die Chance bekommen habe, auch noch in der Serie A zu spielen, musste ich das machen. Ich habe lange in Holland gespielt, in Deutschlan­d und in England. Dass ich dann noch den italienisc­hen Fußball kennenlern­en durfte, ist für mich eine tolle Erfahrung. Aber für mich ist nicht nur der Fußball wichtig, sondern auch das Leben in einem fremden Land, die Sprache, die Kultur. Das sauge ich alles auf.

Sportlich läuft es in dieser Saison aber nicht sehr gut. Ihr Team hat 13 Spiele in Folge nicht gewonnen und steht auf einem Abstiegspl­atz.

Klavan: Wir haben gut begonnen, durchleben aber jetzt eine schwierige Phase. Das gibt es aber im Fußball. Wir haben eine gute Mannschaft, es kommen wieder bessere Zeiten.

Sie konnten aber zuletzt auch nicht viel dazu beitragen. Ihr letztes Spiel für Cagliari haben Sie am 16. Dezember bestritten …

Klavan: Für mich persönlich ist es auch eine schwierige Saison. Ich habe mich mit einigen Verletzung­en rumgeplagt und dann wurde ich kurz vor Weihnachte­n noch positiv auf das Coronaviru­s getestet.

Hatten Sie Symptome?

Klavan: Nein, gar nicht. Wir werden alle drei Tage getestet. Und plötzlich ruft mich unser Doktor an, ich sei „positivo“. Ich konnte es erst gar nicht glauben, weil ich völlig symptomfre­i war. Aber danach stand ich 14 Tage unter Quarantäne.

Und wie ging es ihrer Frau und den Kindern?

Klavan: Die wurden nicht infiziert und sind dann am 21. Dezember nach Hause nach Estland geflogen. Ich war dann zwar über Weihnachte­n alleine. Aber das war besser so. Ich bin alleine mit dem Virus besser klargekomm­en, habe alle Serien auf Netflix geschaut, Bücher gelesen. Aber jetzt ist es natürlich schwierig, wieder ins Team zu kommen.

Ihr Vertrag läuft am Saisonende aus. Was passiert dann?

Klavan: Ich weiß es nicht. Ich bin jetzt 35. Diese Saison verläuft nicht schön. Ich schaue jetzt mal, was die nächsten drei, vier Monate bringen. Wenn alles gut geht, mache ich vielleicht weiter, wenn nicht, dann nicht. Ich weiß es einfach noch nicht. Aber es ist doch auch irgendwie schön, wenn das Leben nicht schon durchgepla­nt ist.

Interview: Robert Götz

● Ragnar Klavan, 35, kam im Juli 2012 vom AZ Alkmaar zum FC Augsburg und blieb bis zum 20. Juli 2016 beim Bundesligi­sten. Er ab‰ solvierte 125 Punktspiel­e für den FCA und erzielte dabei vier Tore. 2016 wechselte er zum FC Liverpool, 2018 zu Cagliari Calcio. Dort auf Sardi‰ nien lebt er zusammen mit seiner Frau Lili und seinen Söhnen Ro‰ mer, 8, und Ronan, 6.

 ?? Foto: Siegfried Kerpf ?? Für Ragnar Klavan (Mitte) waren die beiden Spiele in der Zwischenru­nde der Europa League 2015/16 gegen den FC Liverpool der Türöffner in die Premier League. Der Este wechselte nach der Saison zum 19‰fachen englischen Meister.
Foto: Siegfried Kerpf Für Ragnar Klavan (Mitte) waren die beiden Spiele in der Zwischenru­nde der Europa League 2015/16 gegen den FC Liverpool der Türöffner in die Premier League. Der Este wechselte nach der Saison zum 19‰fachen englischen Meister.

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