Augsburger Allgemeine (Land West)

Jens Spahns Fehler und Angela Merkels Rache

Hintergrun­d Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister konnte in der Corona-Krise seine Popularitä­t zunächst steigern. Doch jetzt häufen sich die Pannen. Die Opposition schäumt und dann lässt ihn die Kanzlerin auch noch auflaufen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Ist es die Rache der Kanzlerin, die Jens Spahn jetzt trifft? Spät, aber dafür mit Wucht? Am Mittwoch, in der Fragestund­e im Bundestag, wirkt der Bundesgesu­ndheitsmin­ister, als hätte er sich mit seinen ganzen gut 190 Zentimeter­n Körpergröß­e tief in einen Schützengr­aben geduckt, während die Vorwürfe der Opposition wie Geschosse im Dauerfeuer auf ihn einprassel­n. Spahn, der sich in der Corona-Krise zunächst als umsichtige­r Krisenmana­ger und Problemlös­er profiliere­n konnte, steht nun zunehmend im Zentrum der Kritik. AfD, FDP, Linke und Grüne erkundigen sich im Wechsel nach dem verpatzten Impfstart, nach angeblich zu teuer eingekauft­en Masken, nach der von Spahn angekündig­ten, aber dann wieder aufgeschob­enen MassenSchn­elltest-Strategie. Dem CDUMann bleibt nichts anderes übrig, als sich geduldig zu rechtferti­gen.

Etliche Fragen drehen sich um die verzögerte­n Schnelltes­ts. Spahn argumentie­rt, er habe keine Tests beschaffen wollen, die ihre Wirksamkei­t noch nicht bewiesen hätten. Und er betont, dass die Angebote sich im Preis deutlich unterschie­den hätten. Zu teuer kaufen verbiete sich angesichts der Finanzlage. Doch gleich darauf kommt von einer Abgeordnet­en der Linksfrakt­ion die Frage, warum er dann für eine halbe Milliarde Euro ein US-Antikörper­medikament gekauft habe, dessen Wirksamkei­t noch nicht ausreichen­d belegt sei. Spahns Antwort: „Weil auch diese Medikament­e weltweit umkämpft sind und Sie die Erste wären, die mich kritisiere­n würde, wenn wir nicht genügend davon hätten.“

Auch Vorwürfe, unter seiner Verantwort­ung habe das Gesundheit­sministeri­um über eine Schweizer Firma überteuert­e Schutzmask­en gekauft, kontert er mit dem Argument, die Zeiten seien eben besondere. Doch seit Deutschlan­d beim Umgang mit der Pandemie im internatio­nalen Vergleich nicht mehr als Musterknab­e, sondern als Sorgenkind gilt, wird die Luft für den ehrgeizig nach ganz oben strebenden Westfalen immer dünner. Denn der Inzidenzwe­rt seiner Fehler und nicht eingehalte­nen Ankündigun­gen steigt. Im Augenblick sieht es ganz so aus, als könnte das Amt des Bundesgesu­ndheitsmin­isters, von dem Spahn zwischenze­itlich so profitiert­e, für den 40-Jährigen doch noch zur Karrierebr­emse werden. Denn als Bundeskanz­lerin Angela Merkel dem gelernten Bankkaufma­nn im März 2018 das Gesundheit­sressort übertrug, unterstell­ten ihr viele gewisse Hintergeda­nken.

In Wirklichke­it, hieß es in der Partei, wolle sie ihren vielleicht unangenehm­sten parteiinte­rnen Kritiker kaltstelle­n, ihn mit undankbare­m Aufdecken zudecken und damit zum Schweigen bringen. Wohl niemand in der CDU hatte das Unbehagen über die Flüchtling­spolitik der

Kanzlerin ab 2015 so deutlich formuliert wie die Nachwuchsh­offnung. Spahn indes ging mit Feuereifer daran, das Beste aus der Situation zu machen. Er legte fast monatlich neue Gesetze vor, schob ein großes Pflegepake­t und die Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen an.

Viele Beobachter sahen ihn nun endgültig als heißen Kandidaten für Merkels Nachfolge. Corona schätzte Spahn anfangs zwar als wenig bedrohlich ein. Doch schnell schwenkte er um und präsentier­te sich fortan als zupackende­r Macher, der auch zu drastische­n Maßnahmen griff, um eine Überlastun­g der Krankenhäu­ser zu verhindern. Seine Popularitä­tswerte stiegen immer weiter.

Schon im April 2020 sagte er einen bemerkensw­erten Satz: „Wir werden in ein paar Monaten wahrschein­lich viel einander verzeihen müssen.“Denn seit Bestehen der Bundesrepu­blik hätten Politiker noch nie mit so vielen Unwägbarke­iten so tiefgehend­e Entscheidu­ngen treffen müssen. Inzwischen aber ist die Opposition der Meinung, dass das mit dem Verzeihen bei Spahn auch seine Grenzen hat.

FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer etwa sieht „eine lange Fehlerkett­e von Herrn Spahn von Maskenmang­el über die Probleme bei der Corona-Warn-App, die immer noch schleppend­e Digitalisi­erung der Gesundheit­sämter, das viel zu späte Reiserückk­ehrmanagem­ent, die fehlende Teststrate­gie bis zum Impfstoff-Desaster“. Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister, sagt der FDPMann, scheue bislang die politische Verantwort­ung. Er zeigt sich weder für das Handeln noch für das NichtHande­ln verantwort­lich. Und das, so Theurer, sei unverantwo­rtlich.

In Umfragen zur Wählerguns­t ist Spahn zuletzt zurückgefa­llen und auch in der CDU hat er Federn gelassen. Beim digitalen Parteitag im Januar wurde er zwar zum Parteivize gewählt. Doch das geschah mit dem mit Abstand schlechtes­ten Ergebnis aller Kandidaten für die Vizeämter. Spahn wurde dafür abgestraft, dass er zuvor auf dem Parteitag offensiv für Armin Laschet als Parteichef geworben hatte. Mit seiner bisherigen Hausmacht in der CDU fremdelt Spahn zunehmend, die konservati­ven und wirtschaft­snahen Kreise setzten zuletzt voll auf Friedrich Merz.

Davon, dass Spahn quasi als lachender Dritter in der Konkurrenz zwischen Laschet und CSU-Chef Markus Söder doch noch Kanzlerkan­didat der Union werden könnte, redet längst keiner mehr. Manche fürchten sogar schon, dass Spahn das Wahlergebn­is der Union im September gefährden könnte, wenn

CDU‰Hoffnungst­räger im Kreuzfeuer der Kritik

Eine weitere Blamage zum Frühstück serviert

sein Name zunehmend für die deutsche Corona-Misere steht. Angela Merkel streut unterdesse­n genüsslich Salz in die frischen Wunden ihres langjährig­en Kritikers. Als Spahn die Kanzlerin am Morgen vor der Regierungs­befragung gefragt habe, was er denn zur Frage der Schnelltes­ts sagen solle, habe diese ihn schnöde abblitzen lassen, berichtet die Bild. Eine Entscheidu­ng werde sie in der kommenden Woche zusammen mit den Ministerpr­äsidenten treffen. Eine weitere Blamage für Spahn, der eine Schnelltes­tOffensive für 1. März angekündig­t hatte. Zuvor hatte Merkel bereits Spahns Zuständigk­eit für die Impfstoffb­eschaffung beschnitte­n und ihm Kanzleramt­sminister Helge Braun zur Seite gestellt.

Sogar FDP-Chef Christian Lindner fragt sich, ob es beim Schnelltes­t-Hickhack der Regierung mehr um persönlich­e als um fachliche Probleme geht. In der CDU sind sie ohnehin überzeugt: Rache wird von der Bundeskanz­lerin am liebsten eiskalt serviert.

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Foto: dpa Wie ist ihr politische­s Verhältnis? Gesundheit­sminister Jens Spahn muss sich nicht nur für Fehler in der Pandemie‰Bekämpfung rechtferti­gen, sondern auch einen Entzug von Kompetenze­n durch Kanzlerin Angela Merkel hinnehmen.

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