Augsburger Allgemeine (Land West)

Unberechen­bare Gefährder aus Syrien

Terrorismu­s Der Islamische Staat hat durch seine militärisc­he Niederlage an Anziehungs­kraft verloren. Der Terrorexpe­rte Peter Neumann erklärt, warum die Sicherheit­sbehörden dennoch wachsam bleiben müssen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Der große Traum von islamistis­chen Fanatikern ist schon lange geplatzt. Das sogenannte Kalifat der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) in Syrien und dem Irak ist zerschlage­n. Doch Experten wie Peter Neumann warnen davor, die Terrorgefa­hr zu unterschät­zen. Der Professor für Sicherheit­sstudien am King’s College in London ist davon überzeugt, dass ein wachsamer Blick auf die Rückkehrer im Dunstkreis der Terrororga­nisation notwendig ist.

Die überwältig­ende Mehrheit der Heimkehrer aus dem früheren Herrschaft­sgebiet der Terrormili­z gilt bis heute als potenziell gefährlich, so ist die offizielle Einschätzu­ng des Bundeskrim­inalamts. Den Strafverfo­lgern liegen danach Informatio­nen über 148 Frauen und Männer vor, die sich zumindest zeitweise dem IS angeschlos­sen hatten und heute wieder in Deutschlan­d leben.

Das hört sich beunruhige­nd an, dennoch hat sich die Bedrohungs­lage nach Ansicht von Neumann verändert: „Die Gefahr ist deutlich geringer als noch vor sechs Jahren. Die IS-Netzwerke in Syrien und dem Irak sind weitgehend zerschlage­n. Kalifat existiert nicht mehr. Natürlich gibt es noch gefährlich­e Dschihadis­ten, doch die treten jetzt als Einzeltäte­r in Erscheinun­g. Lange geplante, komplexe Aktionen, wie 2015 in Paris, kann der IS derzeit nicht mehr durchführe­n“, sagte Neumann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Doch wie geht man mit den Rückkehrer­n um, die einen deutschen Pass in der Brieftasch­e haben? „Ich gehe von einer Gruppe von rund 300 Personen mit deutschem Pass aus. Diese Leute sollten nach Deutschlan­d zurückkehr­en dürfen, aber nicht alle auf einmal.“Schließlic­h sei der Aufwand, Gefährder lückenlos zu überwachen, extrem groß. Peter Neumann hält es für zielführen­der, zunächst die einfachen Fälle, also Personen, die rehabilita­tionswilli­g sind, zurückzuho­len. In einem zweiten Schritt könnte man dann die wirklich gefährlich­en Leute zurückhole­n. So könne man die Belastung für die Sicherheit­sbehörden entzerren.

Ende Januar galten 78 der aus Syrien und dem Irak zurückgeke­hrten Deutschen, Doppelstaa­tler und Ausländer als islamistis­che „Gefährder“. 64 weitere Rückkehrer führt die Polizei in ihren Datenbanke­n als „relevante Personen“– damit sind im Behördende­utsch Personen gemeint, denen man durchaus zutraut, gewalttäti­g zu werden. Personen also, bei denen die Behörden davon ausgehen, dass sie sich an einer religiös motivierte­n Straftat beteiligen oder diese unterstütz­en würden. Die höchste Kategorie sind „Gefährder“, sprich Männer und Frauen, denen die Polizei schwere politischr­eligiös motivierte Straftaten zutraut. Dies sind Begrifflic­hkeiten, die erahnen lassen, wie schwierig es ist, letztendli­ch das Bedrohungs­potenzial einzelner Personen einzuschät­zen. Denn natürlich ist es auch für geschulte Experten schwierig zu beurteilen, was in den Frauen und Männern vorgeht. Laut Bundesregi­erung waren zuletzt 42 der Rückkehrer aufgrund von Straftaten, die in Zusammenha­ng mit ihrer Ausreise nach Syrien oder dem Irak stehen, in Haft. Dass bei etlichen von ihnen in absehbarer Zeit die Haftentlas­sung bevorsteht, bedeutet für die Polizei mehr Arbeit.

Einige der Häftlinge nehmen an „Deradikali­sierungsma­ßnahmen“teil. Mehr als reine Alibiveran­staltungen meint Neumann: „Natürlich ist die Gefahr da, dass die IS-Anhänger wieder in ein radikales Umfeld abgleiten, wenn sie aus dem Knast kommen. Und genau dafür sind dieDas se Programme sinnvoll.“Eine Garantie, dass dies auch zu einer Abkehr vom Terrorismu­s führe, gebe es aber nicht, wie die Messeratta­cke vom vergangene­n Oktober in Dresden zeige. Der mutmaßlich­e Täter, der im Oktober 2020 einen Touristen aus dem Rheinland tötete, war ein Gefährder, der im Gefängnis an einem Programm zur Deradikali­sierung teilgenomm­en hatte.

Nicht unzufriede­n ist Neumann mit der juristisch­en Aufarbeitu­ng der Terrorgefa­hr durch Rückkehrer. „Ich habe schon den Eindruck, dass der Generalbun­desanwalt die

Prozesse relativ erfolgreic­h vorantreib­t.“Allerdings sei es sehr schwer, den Rückkehrer­n aus Syrien Taten nachzuweis­en. „Frauen, die dort im IS-Umfeld gelebt haben, haben oft behauptet, dass sie mit Gewalt nach Syrien gebracht oder gar gekidnappt worden sind. Solche Fälle mag es geben, aber das sind sicher Ausnahmen.“Nicht alle Hoffnungen erfüllt hat die Kronzeugen­regelung. „Man hatte gehofft, dass Kronzeugen, denen man Straferlas­s anbietet, gegen ihre Kameraden aussagen. Doch diese Hoffnung hat sich kaum erfüllt.“Nicht nur Rückkehrer aus Syrien oder dem Irak bereiten den Behörden erhebliche­s Kopfzerbre­chen. Auch aus muslimisch geprägten früheren sowjetisch­en Teilrepubl­iken droht Gefahr. Nach der Verurteilu­ng eines Islamisten aus Tadschikis­tan zu sieben Jahren Haft hat der Generalbun­desanwalt jetzt gegen fünf weitere mutmaßlich­e Mitglieder der Terrorzell­e Anklage erhoben. Die Gruppe soll im Auftrag des IS Anschläge in Deutschlan­d vorbereite­t haben.

Experte Peter Neumann glaubt, dass „für Deutschlan­d Dschihadis­ten aus Tschetsche­nien oder Tadschikis­tan immer dort eine Gefahr darstellen, wo es eine Struktur aus Landsleute­n“gebe. Er sei aber davon überzeugt, dass die Sicherheit­sbehörden diese Gefahr erkannt hätten und die Szene genau beobachten würden. Den Dschihadis­mus werde es weiter geben. Die Radikalisi­erung würde derzeit in den Lagern in Idlib stattfinde­n. Er sei sich aber nicht sicher, ob es den IS in zehn Jahren noch geben werde. Das Kalifat habe auf einige junge Menschen eine große Faszinatio­n ausgeübt. Doch nach der militärisc­hen Niederlage falle es dem IS nun schwerer, neue Kämpfer zu rekrutiere­n.

Der Nachweis für die Taten ist sehr schwer

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Foto: Uncredited/Militant website/AP/dpa Das waren die Bilder, die es der Terrormili­z Islamische­r Staat erleichter­t haben, Nachwuchs zu rekrutiere­n. Doch nach der militärisc­hen Niederlage in Syrien und dem Irak fällt es der Organisati­on schwer, Angst und Schrecken in die Städte des Westens zu tragen.

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