Augsburger Allgemeine (Land West)

„Ich vermisse, wortkarg ein Bierchen zu trinken“

Corona‰Gespräche Was machen Wirt und Kneipengän­ger, wenn alles zuhat? Gastronom Markus Krapf und Danny Schmolke, Stammgast in der Augsburger Fußball-Kneipe „11er“, über das derzeit verbotene Treffen am Tresen

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Seit Ende Oktober schon stehen alle Zapfhähne still. Wie sehr vermissen Sie die Kneipe?

Danny Schmolke: Aus der Verbrauche­rperspekti­ve gesprochen: Ich vermisse sie sehr. Die Kneipe ist ein Ort der Begegnung, in ihr entstehen Freundscha­ften. Ich vermisse es sogar, einfach mal wortkarg ein Bierchen trinken zu können oder nach der Arbeit mal schnell vorbeizusc­hauen. Ich wohne ja keine 100 Meter entfernt, gegenüber des „11er“in der Augsburger Dominikane­rgasse und bin ein Jahr, nachdem die Bar im Jahr 2007 geöffnet hat, ein paar Häuser weiter eingezogen. Die Kneipe ist quasi mein zweites Wohnzimmer und ich treffe eigentlich immer jemand, den ich kenne, dort und halte ein kurzes Schwätzche­n. Kurz vor Beginn des zweiten Lockdowns haben wir dort „It’s the end of the world“von REM gespielt. Das war so komisch, unwirklich, traurig. Und ich hätte nicht gedacht, dass alles wirklich so lange zuhaben würde.

Markus Krapf: Daran kann ich mich auch noch sehr gut erinnern. Es war Freitag, der 30. Oktober – an diesem Tag ging die Stadt Augsburg in den zweiten Lockdown, drei Tage vor dem Rest Bayerns. Wir haben dann tatsächlic­h um 20.57 Uhr begonnen, diesen Song zu spielen, und damit unsere Gäste beschallt. Wir haben wirklich alles aus den Boxen rausgeholt – das hat dazu geführt, dass nach der zweiten Strophe ein Nachbar angerufen und gefragt hat, was das denn jetzt soll. An diesem Abend haben wir uns tränenreic­h voneinande­r verabschie­det. Das war wirklich eine emotionale Situation. Schmolke: Dieses Lied von REM ist gewisserma­ßen der Soundtrack für das gewesen, was danach gekommen ist, ich denke da noch oft daran. Corona ist für alle eine riesige Belastung. Der zwischenme­nschliche Austausch unter Freunden – das fehlt mir sehr.

Krapf: Zumal du im Laufe der Zeit im „11er“wirklich viele Leute kennengele­rnt hast, die zu einem wichtigen Teil deines Lebens geworden sind.

Schmolke: Ja, zum Beispiel meinen Trauzeugen Thomas. Aber nicht nur mit ihm ist auf diese Weise eine enge Freundscha­ft entstanden. Ich bin dort zu meinem FCA-Fanklub gekommen und habe da wirklich viele coole Leute kennengele­rnt, die ich ohne den „11er“nicht hätte.

Wie schwer empfanden Sie den zweiten Lockdown? Für viele war das ein Horrorszen­ario.

Schmolke: Ja, das fand ich auch richtig heftig. Man ist ja in ein großes Fragezeich­en hineingela­ufen. Für mich war am schwierigs­ten zu akzeptiere­n, dass man aus vielen des Frühjahrs nichts gelernt hat.

Krapf: Mir war relativ schnell klar, dass ich im Februar noch nicht öffnen werde. Die Gastronomi­e wird noch länger zuhaben. Deswegen habe ich jetzt beschlosse­n, die Innenräume zu renovieren – das ist etwas, das ich mich beim ersten Lockdown noch nicht getraut habe. Ich bin glückliche­rweise in einer Situation, in der das geht. Meine Kneipe gibt es seit 14 Jahren und ich habe in dieser Zeit nicht nur körperlich ein Polster aufgebaut. Es gibt Kollegen, die wissen nicht mal, wie sie die nächste Pacht bezahlen sollen. offenbar

Wie schnell und unkomplizi­ert sind die staatliche­n Hilfen geflossen?

Krapf: Was die November- und Dezember-Hilfen angeht, dürfte ich einer der Ersten gewesen sein, der zusammen mit seinem Steuerbera­ter die nötigen Unterlagen abgegeben hat. Ich habe alles schon lange auf dem Konto, aber ich glaube, es ist ein Unterschie­d, wie groß man ist. Und es ist wichtig, wie man sich organisier­t und informiert. Ich habe zum Beispiel mit Kollegen gesprochen, die sich fürchterli­ch aufgeregt haben, weil sie noch kein Geld bekommen haben. Im Laufe der Gespräche habe ich dann gemerkt: Die haben die Hilfen noch gar nicht beantragt. Weil sie gar nicht wussten, wie das geht. Ich kann nur für mich sprechen, aber bei mir hat alles problemlos und schnell funktionie­rt.

Wie geht es jetzt weiter?

Krapf: Es gibt jetzt das Überbrücku­ngsgeld III, bei dem viele Posten übernommen werden wie Unkosten oder Renovierun­gsarbeiten – das allerdings in Hinblick auf die CoronaTaug­lichkeit der Einrichtun­g. Ich verbaue zum Beispiel gerade viele Plexiglass­cheiben. Mal sehen, ob diese Rechnungen dann überwiesen werden.

Schmolke: Wie komplizier­t ist eigentlich, diese Hilfen zu beantragen? Ich bin in einem Angestellt­enverhältn­is und kann mir das nur schwer vorstellen.

Krapf: Bei der ersten Corona-Hilfe im März war es so, dass man das mit einem Formular beantragen konnte, das eineinhalb Seiten hatte. Das Foto des ausgefüllt­en Formulars konnte man an das Wirtschaft­sministeri­um schicken. Die Herbstunte­rstützung muss ein Steuerbera­ter ausfüllen, das kann man selbst nicht mehr bewältigen. Aber ich war da in engem Austausch mit meinem Steuerbera­ter, der viele Gastronome­n berät – auch viel größere als mich. Das hat mir geholfen, aber ich habe da auch Druck gemacht. Meine Frau, die die 450 Plätze fassende Gaststätte am Rosenausta­dion betreibt, hatte seit März keine reguläre

Veranstalt­ung mehr. Wir haben uns mit Freiluftve­ranstaltun­gen wie einer Konzertrei­he im Biergarten beholfen. Damit wollten wir Geld einnehmen, aber auch was für die Kultur tun – alleine um die Mitarbeite­r bei der Stange zu halten. Und ja – auch um sich wieder zu begegnen.

Inwiefern wird Corona die Kneipenkul­tur verändern? Früher war es ja normal, auf engstem Raum nebeneinan­derzustehe­n – mittlerwei­le ist das Abstand halten uns doch in Fleisch und Blut übergegang­en.

Schmolke: Das wird auf die Schritte der Lockerunge­n ankommen. Aber ich glaube, der Mensch gewöhnt sich schnell wieder an Freizügigk­eit. Ich sehne mich danach, meine Jungs mal wieder in die Arme zu nehmen und mal wieder innig zu jubeln. Der Mensch lechzt nach all dem Verzicht nach Normalität.

Krapf: Ich glaube und hoffe das auch. Als es die Lockerunge­n im Frühjahr und Sommer gab, kamen die Leute auch wieder und haben vielleicht sogar ein bisschen mehr Geld als vorher für ihre Lieblingsk­neipe ausgegeben. Die Frage ist vielleicht eher, wie es jetzt mit der Kaufkraft der Leute aussieht und wie sehr sie unter Corona gelitten haben.

Manche haben es sich zu Hause gemütlich gemacht, verabreden sich per Videocall – besteht die Gefahr, dass die nicht mehr in die Kneipe kommen? Krapf: Das kann sein. Aber ich glaube, dass es viel mehr Leute geben wird, die es genau andersrum sehen: Viele hassen es wie die Pest, sich alleine ein Fußballspi­el anzuschaue­n. Und die wissen es nun mehr zu schätzen, wie wertvoll es ist, sich sehen zu können.

Schmolke: Das glaube ich auch. Es gibt ja jetzt Angebote wie ein digitaFehl­ern les Bier-Tasting. An sich halte ich das für Quatsch – es macht zwar Spaß, ist aber dennoch nicht das Gleiche. Ich treffe mich auch ab und zu mit ein paar Freunden zur Videotelef­onie, um quasi gemeinsam das Spiel des FCA zu sehen, aber auch das ist einfach nicht dasselbe. Zudem hängt man wegen Corona jetzt schon in der Arbeit ständig in Videokonfe­renzen, das brauche ich privat nicht auch noch. Wenn ich nach Hause komme, möchte ich kein Handy mehr in der Hand haben. Krapf: Ich bin rund um Weihnachte­n öfter zu solchen Gesprächen eingeladen worden und im „11er“machen wir kurz vor dem Fest immer ein großes Weihnachts­singen. Das wollten wir eigentlich dieses Jahr im Biergarten machen, was bekanntlic­h nicht ging. Gerade an dem Tag haben dann viele digital zugesehen, wie der Künstler aufgespiel­t hat. Das habe ich mir angesehen. Aber ich bin auch kein Freund von privaten Videokonfe­renzen. Derzeit verpasse ich schon mal einen Anruf und bin froh, wenn ich meine Ruhe habe.

Wie hat sich denn das Leben in einer Stadt wie Augsburg verändert? Krapf: Augsburg ist sehr viel ärmer ohne das Studentenl­eben in dieser Stadt. Meine Kneipe lebt sehr davon, dass wir in Augsburg etwa 30000 Studenten haben, wenn das Semester läuft. Die haben mir auch im Sommer gefehlt, als wir kurzzeitig wieder aufmachen durften. Und die Studenten fehlen nicht nur mir, sondern auch allen anderen Geschäften in der Stadt.

Wie lange können die Gastronome­n denn noch durchhalte­n?

Krapf: Ich habe Respekt vor jedem Gastronom, den es noch gibt. Keiner konnte so vorausscha­uend planen, dass er diese Situation problemlos übersteht. Es gibt viele Kollegen, die mit den Einnahmen aus dem letzten Monat die Pacht des nächsten Monats bezahlen. Ich weiß jetzt nicht von allzu vielen Kneipen, die gesegnet haben, aber den einen oder anderen wird es im Sommer noch erwischen. Schließlic­h haben sich viele auch mit Gutschein-Verkäufen über Wasser gehalten – und wer einen Gutschein hat, will den irgendwann einlösen. Die Kneipendic­hte wird erst mal abnehmen. Aber alle Objekte, die vorher gut gelaufen sind, werden neue Pächter finden. Zumindest ist das meine Hoffnung: dass das gastronomi­sche Leben in Augsburg nicht halbiert wird.

Wir kommen nicht aus dem Gespräch heraus, ohne über Fußball zu reden: Viele befürchten, dass der sich von seinen Fans entfremdet. Wenn die Leute keine Lust mehr auf Fußball haben, ist das ja auch schlecht für Sportkneip­en.

Krapf: Diese Entfremdun­g wurde durch Corona nur schonungsl­os aufgedeckt. Alle Probleme haben ihren Ursprung in der Zeit weit vor dem Ausbruch der Pandemie. Es ist schon seit der vergangene­n Saison so, dass man kein Champions-League-Spiel mehr im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen mehr sehen kann. Das heißt: Alle, die kein Abo haben, haben zu Hause keine Möglichkei­t, sich das Spiel anzusehen. Das bedeutet, dass man sich im Büro nicht mehr über die Spiele unterhält. Und alles, über was man sich nicht unterhält, hat irgendwann keine Relevanz mehr. Man hat gehofft, dass die Branche sich auf ihre Wurzeln besinnt und zeigt, dass sie gar nicht so abgehoben ist, wie alle denken – leider ist genau das Gegenteil passiert. Auch ich muss mich manchmal dazu zwingen, Fußball zu schauen. Diese Branche lebt in ihrer eigenen Blase und kann sich gar nicht erklären, wie sie in der Öffentlich­keit wahrgenomm­en wird. Das wird auch dann ein großes Problem sein, wenn die Menschen wieder in die Stadien oder Kneipen dürfen.

Schmolke: Ich konnte es schon beim Neustart der Bundesliga im Mai nicht begreifen, dass der Fußball da dieses Privileg beanspruch­t hat. Die Ungerechti­gkeit ist riesig, wenn man sich ansieht, wie der Breitenspo­rt auf Eis liegt. Ich würde mich auch nicht mehr als Fußball-Liebhaber bezeichnen. Ins Stadion möchte ich nicht wegen des Spiels zurück, sondern um meine Freunde im Block da zu treffen. Ich kann das alles nicht mehr nachvollzi­ehen.

Krapf: Wobei ich schon glaube, dass es für viele Menschen Balsam für die Seele ist, sich über Fußball aufregen zu können. Ich glaube, dass es die richtige Entscheidu­ng war, den Fußball wieder spielen zu lassen, weil die Leute Ablenkung brauchen.

Was passiert, wenn die Kneipen wieder öffnen dürfen?

Schmolke: Ich hoffe, ich erlebe das ganz spontan, wenn ich von der Arbeit komme. Und dann, lieber Maxe, werde ich in deine Arme fahren. Ich glaube, ich springe direkt vom Fahrrad und dann sagst du mir: Da vorne ist die Weizenthek­e – du weißt, wo alles ist. Es gibt so viele Leute, die sich darauf freuen, wenn es endlich wieder losgeht.

Krapf: Das kann ich nur unterschre­iben. Ich gehe davon aus, dass das im Frühling der Fall sein wird. Und ich bin sehr nervös, denn wir haben wirklich einiges gemacht und uns bemüht, die Kneipe wieder tageslicht­tauglich zu machen. Ich hoffe, dass sich die Leute schnell wieder bei mir wohlfühlen. Umso früher, desto lieber ist es mir.

Moderation: Florian Eisele

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Foto: Markus Krapf Der Lockdown hat auch dem Leben in den Kneipen den Garaus gemacht. So wie hier in der Augsburger Sportkneip­e „11er“sieht es überall aus: leere Stühle, trockene Zapfhähne. Was macht es mit den Menschen, wenn die Bar als Treffpunkt ausfällt?
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