Augsburger Allgemeine (Land West)

Impfstoff mit Imageprobl­em

Pandemie Immer häufiger sagen Menschen ihren Impftermin ab, weil sie Zweifel an dem Mittel von AstraZenec­a haben. Wie oft das Vakzin zum Einsatz kommt und wie ein Münchner Corona-Experte die Schutzwirk­ung beurteilt

- VON STEPHANIE SARTOR UND DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Das Problem mit einem angekratzt­en Image ist, dass die Furchen und Risse nur schwer wieder versiegelt werden können. Ist der Zweifel erst einmal gesät, bleibt er wohl auch. Derlei kann man gerade in der Debatte um den Impfstoff des britisch-schwedisch­en Hersteller­s AstraZenec­a beobachten. Zuerst wurde bekannt, dass die Wirksamkei­t des Vakzins nur bei etwa 70 Prozent liegt – eigentlich kein schlechter Wert, doch andere Corona-Impfstoffe erreichen eben über 90 Prozent. Als dann noch vermehrt von Geimpften berichtet wurde, die sich wegen Nebenwirku­ngen krankschre­iben ließen, war der Image-Schaden perfekt: Viele Menschen empfinden das Vakzin mittlerwei­le als Impfstoff zweiter Klasse.

In mehreren Bundesländ­ern zeichnet sich derzeit ab, dass das Mittel von AstraZenec­a zum Ladenhüter werden könnte. Etwa in Nordrhein-Westfalen, wo Hunderte Impftermin­e nicht wahrgenomm­en wurden. Ähnliches hört man aus Berlin und Sachsen. Auch in Bayern wurde bisher nur ein Teil der gelieferte­n Dosen verimpft. „Der AstraZenec­a-Impfstoff ist gut haltbar. Es gibt also nicht das Problem, dass er verderben würde“, sagt Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek in einem Zeitungsin­terview. „Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt auch bei uns Impfwillig­e, die den AstraZenec­a-Impfstoff tatsächlic­h abgelehnt haben.“

Dass Impftermin­e in großem Umfang nicht wahrgenomm­en werden, scheint in unserer Region bisher aber nicht der Fall zu sein. Das zeigt zumindest eine Umfrage unserer Redaktion bei mehreren Landratsäm­tern. Im Unterallgä­u etwa sei so etwas bisher nicht passiert, sagt Sylvia Rustler, die Sprecherin des Amtes. „Es gab aber einzelne Fälle“, räumt sie ein. Sollte im Impfzentru­m in Bad Wörishofen Impfstoff übrig bleiben und sofort verimpft werden müssen, gebe es eine sogenannte Hop-On-Liste, erklärt Rustler. Darauf stehen etwa Rettungsdi­enste, Hausärzte, Mitarbeite­r aus dem öffentlich­en Gesundheit­sdienst und Polizisten. „Bevor Impfstoff weggeworfe­n werden muss, werden diese Personen kurzfristi­g telefonisc­h verständig­t.“

Auch im Impfzentru­m des Landkreise­s Augsburg sei es bislang „lediglich in Einzelfäll­en“vorgekomme­n, dass Impftermin­e nicht wahrgenomm­en wurden. „Der Impfstoff von AstraZenec­a wird insgesamt gerne angenommen“, sagt Jens Reitlinger, der Sprecher des Landratsam­tes. Bislang sei überwiegen­d der Impfstoff von Biontech/Pfizer verabreich­t worden, wobei die Zahl der mit AstraZenec­a geimpften Bürger kontinuier­lich zunehme. Aus dem Impfzentru­m Oberallgäu hört man Ähnliches. Dort wurden ebenfalls erst wenige Dosen des AstraZenec­a-Impfstoffs verabreich­t. Zu Absagen wegen Zweifeln an dem Mittel sei es bisher nicht gekommen. Und auch in Augsburg habe es keine Terminabsa­gen im großen Stil gegeben. Dennoch bewirbt die Stadt den Impfstoff von AstraZenec­a nun aktiv. Die Verfügbark­eit sei hoch, hieß es am Mittwoch. Deswegen sind nun alle Bürger aufgerufen, „sich unabhängig vom Alter umgehend zur Impfung anzumelden“.

Professor Dr. Clemens Wendtner kann die ganze Diskussion um den Impfstoff von AstraZenec­a nicht verstehen. Der erfahrene Chefarzt der München Klinik, der die ersten Corona-Patienten in Deutschlan­d behandelt hat, spricht von einer „Luxusdisku­ssion“. Einer Debatte, die aber aus seiner Sicht große Gefahren birgt, „denn die dritte Welle ist sehr wahrschein­lich nicht mehr aufzuhalte­n“. Sie wird aus Sicht des Infektiolo­gen gerade mit der massiven Ausbreitun­g der britischen Variante kommen, und jeder, der geimpft ist, könne nur froh sein, dann geschützt zu sein. „Wer jetzt seine Impfung verpasst, hat voraussich­tlich bald das Nachsehen.“

Der Impfstoff von AstraZenec­a ist für Wendtner nicht nur sicher, sondern verfügt auch über eine „sehr hohe Effizienz“. Gerade gegen die jetzt so gefährlich­e britische Variante des Virus sei er „äußerst effektiv“. Wendtner spricht von über 80 Prozent Wirksamkei­t. „InfluenzaI­mpfstoffe haben oft nur eine Wirksamkei­t von 40 bis 60 Prozent.“Und am gestrigen Abend wurde bekannt: Der Impfstoff des Konzerns Johnson & Johnson, der in den USA nun „ein gutes Zeugnis“bekam und kurz vor einer Notfallzul­assung steht, kommt auf rund 66 Prozent Wirksamkei­t. Entscheide­nd für Wendtner ist, dass sich in Studien gezeigt habe, dass die mit AstraZenec­a geimpften Personen nur leichte Verläufe hatten – „keiner ist ernsthaft erkrankt oder gar gestorben“. Und darauf komme es doch an: „Wir müssen schwere Verläufe verhindern, das ist das wichtigste Ziel“, betont er. Und dies kann aus seiner Sicht mit dem Impfstoff von AstraZenec­a sehr gut erreicht werden.

Für den Impfstoff spricht Wendtner zufolge auch, dass sich in Studien gezeigt habe, dass die zweite Dosis erst in drei Monaten erfolgen kann und die Schutzwirk­ung unterdesse­n sogar zunehme. Mit Blick auf die immer noch begrenzte Verfügbark­eit der Impfstoffe heißt das, „dass wir mit der Vakzine von AstraZenec­a viel mehr Menschen impfen können“. Denn selbst ein vorläufig 50-prozentige­r Schutz sei doch besser als keiner. So gesehen könne er nicht verstehen, dass Menschen ihre Impftermin­e jetzt nicht wahrnehmen und sich wieder ganz hinten einreihen müssen. „Zumal ich mir sicher bin, dass wir eine Diskussion über Vorteile von geimpften Menschen bekommen werden.“

Gerade Krebspatie­nten fragen sich oft, ob auch sie sich mit dem auf Adenoviren basierende­n Impfstoff von AstraZenec­a impfen lassen sollen. Professor Wendtner ist auch Onkologe und beantworte­t diese Frage mit einem klaren Ja. Er weiß, dass es Verwirrung­en gab, wie das Immunsyste­m auf diesen Impfstoff reagiert. Aber Krebspatie­nten tragen ein besonders hohes Risiko, an Covid-19 zu erkranken, und sollten sich daher aus seiner Sicht unbedingt impfen lassen.

Zur Vorsicht mahnt Wendtner dagegen bei Plänen, sich zunächst mit AstraZenec­a impfen zu lassen und sich bereits beim zweiten Mal einen anderen Impfstoff verabreich­en zu lassen. Hier bewege man sich außerhalb der Zulassung und es bestehe ein nicht absehbares Risiko von unspezifis­chen Impfreakti­onen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hatte diesen Wechsel vor dem Hintergrun­d der Debatte um eine geringere Wirksamkei­t von AstraZenec­a vorgeschla­gen. Der Wechsel zu einem anderen Impfstoff ist für Wendtner erst bei der dritten Impfung, also bei einer Auffrischi­mpfung ab 2022, denkbar.

Mit Blick auf die dritte Welle, die Professor Wendtner herannahen sieht, hält es der Mediziner, der auch dem Expertenkr­eis angehört, der die bayerische Staatsregi­erung berät, für dringend nötig, die Impfkapazi­täten auszubauen. Er sieht keinen Grund, warum nicht auch Zahnarztpr­axen oder andere Facharztpr­axen impfen können. Auch ist es für ihn unklar, warum nicht auch alle Hausarztpr­axen mit zunehmende­r Verfügbark­eit des Impfstoffe­s gegen Corona impfen sollten. Die Kühlung kann nicht mehr als Argument dienen, nicht zuletzt beim Impfstoff von AstraZenec­a, der bei Kühlschran­ktemperatu­r lange stabil bleibe. Gerade Hausärzte genießen ein hohes Vertrauen und könnten seiner Ansicht nach die Impfbereit­schaft in der Bevölkerun­g erhöhen.

Sollte mit Blick auf die dritte Welle aus medizinisc­her Sicht der Lockdown also noch über den 7. März hinaus verlängert werden? „Wenn die Zahlen weiter steigen, sollte es leider wenig Spielraum geben“, sagt Wendtner. Er räumt aber auch ehrlich ein, dass er mit keinem Politiker tauschen möchte, der dies verkünden muss.

Im Vergleich: US‰Impfstoff nur zu 66 Prozent wirksam

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Foto: María José López, dpa Der Impfstoff von AstraZenec­a wird oft als Impfstoff zweiter Klasse empfunden.

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