Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein großer Corona‰Ausbruch ist vermeidbar

Pandemie Der Virologe Alexander Kekulé berät die Veranstalt­er der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf im Umgang mit dem Virus. Warum er lange Zeit sogar darauf gehofft hatte, dass Zuschauer im Allgäu dabei sein können

- VON MARCO SCHEINHOF

Oberstdorf Die Kritik kam auf. Natürlich. Schließlic­h wütet nach wie vor ein Virus in Deutschlan­d. Die Fallzahlen sanken zuletzt zwar, der Inzidenzwe­rt auch, das Corona-Virus aber bestimmt noch immer den Alltag. Ist es da sinnvoll, eine Nordische Ski-WM mit mehreren tausend Menschen auszutrage­n? Nicht alle verstehen den Sinn hinter der Austragung, es herrschen teilweise Ängste, dass das Virus nun durch die vielen Gäste vermehrt nach Oberstdorf getragen werde. Eine begründete Sorge?

„Es ist auf jeden Fall vermeidbar, dass es in Oberstdorf zu einem großen Ausbruch durch die anreisende­n Gäste kommt“, sagt Alexander Kekulé. Der 62-Jährige ist Inhaber des Lehrstuhls für Medizinisc­he Mikrobiolo­gie und Virologie der Martin-Luther-Universitä­t Halle-Wittenberg und hat die Veranstalt­er der WM im Umgang mit der Pandemie beraten. Er sagt: „Man kann die Virusübert­ragung verhindern, so wie man es verhindern kann, von einem Lastwagen auf der Autobahn überfahren zu werden.“Es braucht bestimmte Maßnahmen, um sich zu schützen. Ein gutes Hygienekon­zept. Die WM-Veranstalt­er haben ihres auch auf Wunsch der bayerische­n Landesregi­erung noch einmal verschärft. Für alle WM-Teilnehmer sind nun PCR-Tests und alle zwei Tage Antigentes­ts vorgeschri­eben. Es ist ein Konzept, das die Beteiligte­n weitgehend schützen soll. Kekulé ist überzeugt, dass das auch gelingen wird. „Es wird auch bei dieser Veranstalt­ung den einen oder anderen geben, der im Vorfeld nicht alle Sicherheit­smaßnahmen beachtet hat und der bei WM positiv getestet wird. Bei so vielen Personen wäre es ein Wunder, wenn keiner das Virus dabeihat“, sagt Kekulé. Er sei aber zuversicht­lich, dass die Maßnahmen dafür sorgen, dass ein größerer Ausbruch verhindert werde. „Vielleicht müssen ein paar Menschen in Quarantäne oder andere isoliert werden, aber das ist eine kontrollie­rbare Situation“, so der Virologe.

Kekulé war im Vorfeld der WM zweimal in Oberstdorf vor Ort und hat sich alle Anlagen angeschaut. Während des Wettkampfs wird er nicht im Allgäu sein, bei Bedarf aber ist er jederzeit zu erreichen. „Es sind sehr gute Leute vor Ort, ein sehr gutes Labor und ein kompetente­s Gesundheit­samt“, sagt der Virologe. Die abschließe­nde Verantwort­ung liegt beim zuständige­n Gesundheit­samt, Kekulé ist nur als Berater tätig.

Welche Tests sind sinnvoll, in welchem Rhythmus, wie sollten die Abstriche genommen werden? Im Mund oder durch die Nase? Nicht immer werden seine Ratschläge beherzigt. „Das gehört zu unserem Alltag als Wissenscha­ftler“, sagt er. Bei der Vierschanz­entournee, bei der Kekulé auch schon als Berater tätig war, gab es Probleme mit mal positiv und später negativ getesteten Athleten. Der Abstrich im Mund hat den Nachteil, dass die Viren bei einer hohen Flüssigkei­tsaufnahme kurz vor dem Test kurzzeitig aus dem Rachen gespült werden können. Das kann ein falsches Ergebnis zur Folge haben, der Abstrich durch die Nase bringt mehr Sicherheit. Dennoch haben sich die Oberstdorf­er Organisato­ren dazu entschiede­n, die PCR-Tests im Mundraum durchzufüh­ren. Die Antigen-Tests finden durch die Nase statt. „Ich habe nicht das Gesamtkonz­ept abgenommen, sonst käme es zu einer Konkurrenz­situation zwischen mir und dem Gesundheit­samt“, sagt der Virologe.

Lange Zeit war die Hoffnung groß gewesen, dass die Titelkämpf­e mit Zuschauern möglich wären. Kekulé ist noch immer davon überzeugt, dass Fans im Allgäu vor Ort hätten dabei sein können. „Ich denke, dass eine solche Veranstalt­ung im Freien mit Zuschauern möglich gewesen wäre“, sagt er. Mit einer begrenzten Anzahl freilich, aber immerhin. „Aus epidemiolo­gischer Sicht ginge das“, sagt Kekulé – mit dem nötigen Abstand und durchgehen­den Tests. Allerdings sprächen auch zwei Aspekte dagegen. Alle Zuschauer, die nach Oberstdorf angereist wären, hätten im gleichen Sicherheit­splan eingebunde­n sein und ebenso häufig getestet werden müssen wie die Athleten. Die Verantwort­ung der Veranstalt­er allerdings endet, sobald die Wettkampfs­tätten verlassen werden. Zum anderen wäre das Signal einer WM mit Zuschauern fatal in einer Zeit, in der in Deutschlan­d fast alles stillsteht. „Aus diesen Gründen ist es richtig, die WM ohne Zuschauer auszuricht­en“, sagt Kekulé. Der Virologe aber macht Hoffnung, dass vielleicht bald wieder Veranstalt­ungen mit Zuschauern stattfinde­n. „Wenn ein sehr konsequent­es Hygienekon­zept vorliegt, ist das möglich“, sagt Kekulé. Er setzt dabei vor allem auf Schnelltes­ts, die nun auch in Deutschlan­d nach langer Wartezeit vermehrt eingesetzt werden sollen, zuverlässi­ge Masken und Abstand halten. Und natürlich auf die Sicherstel­lung der Nachverfol­gung.

Der Lockdown sei bislang erfolgreic­h, die Inzidenz aber fällt kaum unter 60 oder 50. „Die Maßnahmen sind ausgereizt. Es wurden viele Löcher gestopft, aber an manchen Stellen tröpfelt es noch“, sagt der Virologe. Die Idee, die Inzidenz auf 35 oder gar null runterzubr­ingen, sei illusorisc­h. „Da bräuchte man weitere radikale Maßnahmen, bei denen die Bürger nicht mehr mitmachen“, sagt Kekulé. Man müsse sich mit einer Inzidenz um die 50 abfinden, dürfe aber auf keinen Fall alles lockern ohne die nötigen Schutzmech­anismen. Kekulé setzt auf selektive Maßnahmen, wie das konsequent­e Impfen von allen Über-70-Jährigen und Risikogrup­pen.

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