Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum die Corona‰Notbremse bislang versagt hat

Hintergrun­d Statt der gesamten Republik sollen künftig nur einzelne Regionen in den Lockdown. Dieses Konzept hat schon einmal nicht funktionie­rt. Städte und Gemeinden fordern deshalb vom Bund, das Testen besser als das Impfen vorzuberei­ten

- VON MICHAEL POHL

Berlin Bei den letzten Sätzen der Kanzlerin auf der Pressekonf­erenz nach der Ministerpr­äsidentenr­unde wurde Angela Merkel emotional: „Wenn wir dieses Vertrauen nicht mehr haben, dass Landräte, Bürgermeis­ter und Gesundheit­sämter gut arbeiten, dann können wir einpacken“, sagte Angela Merkel. „Das ist dann nicht unsere Bundesrepu­blik Deutschlan­d.“

Das war Anfang Mai, als Deutschlan­d nach sieben Wochen den ersten Corona-Lockdown mit der Öffnung von Friseursal­ons und Schulen hinter sich ließ. Zum Schutz vor einem erneuten Lockdown präsentier­ten die Regierungs­chefs von Bund und Ländern eine „Notbremse“: In jeder Region mit über 50 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner sollten Kreise und Städte eingreifen. Lockdowns sollten nur noch regional stattfinde­n.

Zu dem emotionale­n Ausbruch der Kanzlerin kam es, als auf der Pressekonf­erenz ein Journalist fragte: „Wer sitzt an der Notbremse?“Er habe nicht ganz verstanden, wer das eigentlich überwacht: „Wie wollen Sie da verhindern, dass Fälle übersehen werden und dann ein neuer Fall wie in Ischgl auftaucht?“Am Ende behielt der Journalist recht: Die Notbremse griff nicht.

Auch Beschlüsse der Ministerpr­äsidentenk­onferenz vom Mittwochab­end setzen als zentrale Absicherun­g auf eine regionalis­ierte Notbremse: Nun sollen ab einem Inzidenzwe­rt von 100 Neuinfekti­onen Kreise und Städte in den Lockdown wechseln. Im vergangene­n Jahr scheiterte das Konzept zunächst an Gerichten, die einen gesamten Landkreis-Lockdown bei lokalen Ausbrüchen für unverhältn­ismäßig hielten. Dann verzichtet­en immer mehr Landräte oder Bürgermeis­ter auf das Instrument.

Und als in einer Vielzahl von Städten und Kreisen Deutschlan­d im vergangene­n Oktober in die zweite Welle schlittert­e, ließen die allermeist­en Politiker in den Ländern die Sache laufen, weil sie lokale Lockdowns für nicht praktikabe­l hielten, etwa weil sie dachten, dass die Bürger einfach ins Umland zum Einkaufen fahren würden. Der zweite Lockdown für die gesamte Bundesrepu­blik wurde damit mehr als doppelt so lang wie der erste. In der zweiten Welle starben zudem siebenmal mehr Menschen als in der ersten. Deutschlan­d scheint sich daran gewöhnt zu haben: Als die Zahl der Corona-Toten just am Tag der Ministerpr­äsidentenk­onferenz auf über die 70000er-Marke stieg, war dies für die Nachrichte­nagenturen keine extra Meldung wert.

Funktionie­rt die „Notbremse“vor der dritten Welle? Tatsächlic­h befindet sich Flensburg mit seinen 86000 Einwohnern im Lockdown mit Ausgangssp­erre. Ob dort – wie im Rest Schleswig-Holsteins – am Montag die Geschäfte öffnen dürfen, ist noch unklar. Immerhin sank die Inzidenz in Flensburg seit Mitte Februar von 172 auf 145, während sie in Nachbarkre­isen stieg.

Doch Kommunalve­rbände war nen vor „Ausweichve­rkehr“in Kreise mit größerer Lockerung. „Wenn etwa ein Landkreis eine niedrige Inzidenz hat, ein benachbart­er Kreis aber deutlich über der Grenze von 100 liegt, wird man darauf achten müssen, dass kein Einkaufsto­urismus entsteht“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebu­ndes, Gerd Landsberg unserer Redaktion. Ob die Notbremse funktionie­rt wird auch an der Umsetzung in den Verordnung­en der Bundesländ­er liegen. Wir sind zuversicht­lich, dass diese Regelung gerichtsfe­st umzusetzen ist.“

Dies sieht auch der Präsident des Deutschen Städtetage­s und Leipziger Oberbürger­meister, Burkhard Jung, so: „Einen Corona-Tourismus können wir nirgendwo gebrauchen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Städte sehen durchaus Raum für vorsichtig­e Öffnungssc­hritte“, betont der SPD-Politiker. „Diese müssen aber sicher und verlässlic­h sein, um keinen dritten Lockdown zu riskieren“, sagt er „Nötig ist aber auch, dass sich Städte

und Nachbarreg­ionen, auch über Ländergren­zen hinweg, gut abstimmen“, fügt er hinzu.

Von Bund und Ländern fordert der Städtetags­präsident, sehr rasch die zentralen Fragen der Teststrate­gie zu klären und für ausreichen­de Testkits zu sorgen. „Damit es am Montag losgehen kann, müssen Bund und Länder ausreichen­d Testkits beschaffen. Die Enttäuschu­ng beim Start der Impfkampag­ne darf sich nicht wiederhole­n“, warnt Jung. „Wir wollen verhindern, dass diese Teststatio­nen überrannt werden, weil viele gleichzeit­ig für den Restaurant- oder Kinobesuch einen bescheinig­ten Negativ-Test brauchen.“Prinzipiel­l seien mehr Schnell- und Selbsttest­s für Öffnungssc­hritte hilfreich: „Testen und Öffnen sind ein gutes Gespann“, betont der Oberbürger­meister.

Auch Städtebund-Geschäftsf­ührer Landsberg sagt: Wir brauchen gerade mit Blick auf die Schnelltes­tStrategie jetzt schnell Klarheit, wer welche Aufgaben, etwa bei Beschaffun­g der Tests, übernimmt.“Zudem fordert er von Bund und Ländern eine digitale Lösung zur Erfassung der Testergebn­isse und zur Vergabe von Testtermin­en.

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Foto: dpa Die Polizei überwacht den Lockdown in der Flensburge­r Innenstadt.

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