Augsburger Allgemeine (Land West)
„Ich hab’s gesagt, so wird es kommen“
Interview Der Verbrecher Thomas Drach ist wieder in Haft. Wie sein Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma darüber denkt
Herr Reemtsma, 1996 waren Sie 33 Tage in der Gewalt von Thomas Drach. Ihr Entführer kam 2013 nach 14 Jahren und sechs Monaten Gefängnis frei. Jetzt sitzt er wieder in Haft, ihm werden drei Raubüberfälle zur Last gelegt. Sie haben mal geschrieben: „Nie tat es mir gut, irgendetwas über die Entführer zu hören oder zu lesen.“Gilt das noch?
Jan Philipp Reemtsma: In gewissem Sinne gilt das noch. Denn wissen Sie, ich habe mich damals als Nebenkläger vor Gericht mit meinem Anwalt für eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Ich habe gesagt, dass dieser Mensch, wenn er vor Gericht stand, Thomas Drach, in seinem Leben nichts weiter gemacht hat, als kriminelle Handlungen zu begehen. Er weiß gar nicht, wie man anders durchs Leben kommt. Er hat buchstäblich nie etwas anderes getan. Und es war klar, dass das, was er tat, immer gefährlicher für andere Menschen wurde. Seine Idee war, einmal so viel Geld zusammenzubekommen, dass er entweder einen luxuriösen Lebensabend hat oder das als Startkapital verwendet für ein weiteres, noch größeres Verbrechen. Das ist ihm alles misslungen. Er hat dieses Lösegeld offensichtlich nicht mehr, er muss weitere Verbrechen begehen. Und er wird immer älter und ungeduldiger und gefährlicher. Das hat sich jetzt gezeigt. Aber es ist keine große Befriedigung, in einer solchen Sache recht behalten zu haben. Ich kann nur mit Schulterzucken sagen: Ja, ich hab’s gesagt, so wird es kommen. Genauso ist es gekommen.
Haben Sie noch Rachegefühle? Sie haben mal geschrieben, dass es dem Opfer guttut, Rachegefühle zu haben. Reemtsma: Ja, es tut ihm schlecht, solche Gefühle zu unterdrücken. Aber ich habe auch immer gesagt, dass es keinen Ort gibt für diese Rachegefühle, keinen legitimen Ort. Zudem befriedigt es einen ja nicht – in eigener Sache nicht –, wenn jemand soundsoviele Jahre im Gefängnis sitzt, und freut sich darüber. Rachefantasien
sind solche von persönlicher Vergeltung, man triumphiert über den anderen. Das sind aber alles Fantasiespiele, die haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun.
Sie haben geschrieben, dass Sie als Entführungsopfer den Wunsch hatten,
Reemtsma: Ich habe über einen momentanen Affekt geschrieben. Es ist gut, wenn man solche Affekte nicht verleugnet. Aber das ist auch alles.
Reemtsma: Da ist eigentlich nichts offengeblieben. Das Einzige, was man nicht weiß, was ich nicht weiß: Wo ist das Lösegeld geblieben? Wahrscheinlich haben seine Kumpane ihn teilweise darum betrogen, das ist irgendwo verschleudert worden, versickert, bei Geldwäsche verloren gegangen. Darüber wird man vermutlich nichts herausfinden. Vielleicht doch. Na gut, dann wird man sehen. Aber sonst? Was dieses Verbrechen angeht, ist nichts unklar.
Im zu erwartenden Prozess würde sicherlich auch die Vorgeschichte von Drach erörtert werden. Wenn jemand
Sie noch einmal als Zeuge laden wollte, würden Sie das machen?
Reemtsma: Wenn ich in dieser Sache geladen würde, müsste ich kommen.
Und dann würden Sie Ihre Zeugenpflicht gern erfüllen oder würden Sie mit vielen inneren Widerständen da hingehen?
Reemtsma: Ich würde mich sicher nicht darauf freuen, das noch mal zu machen. Das ist eine psychisch anstrengende Angelegenheit, etwas, was einem sehr nahegeht, noch mal vor irgendeinem Publikum auszubreiten. Aber was gemacht werden muss, muss gemacht werden.
Der Hamburger Multimillionär und Soziologe Jan Philipp Reemtsma, 68, ist Erbe des Zigarettenherstellers Philipp F. Reemtsma. 1996 wurde er entführt. Nach 33 Tagen angeket tet in einem Keller kam er gegen Zahlung eines Lösegeldes von umge rechnet 15 Millionen Euro frei.