Augsburger Allgemeine (Land West)

Die politische Schokolade­ntafel

Konsum Immer mehr Menschen versuchen, durch ihren Einkauf Werte auszudrück­en. Manche boykottier­en bestimmte Marken, anderen geht es um mehr als nur Verzicht

- VON MARLENE WEYERER

Augsburg Wenn Lukas Klug durch den Supermarkt bummelt, dann landen Oreo-Kekse nicht im Einkaufswa­gen, weil der Hersteller Palmöl verwendet. Kinderrieg­el bezahlen laut dem Studenten ihre Kakao-Bauern nicht gut. Auch Ritter Sport kauft er nicht. Eine Liste der Marken, die er umgeht? „Wäre endlos“, sagt der 22-Jährige aus Augsburg. Denn Klug, der sich neben seinem Informatik­studium bei der Umweltorga­nisation Greenpeace engagiert, versucht in jedem Konsumbere­ich von Essen über Kleidung bis zum Strom darauf zu achten, wem er sein Geld gibt. Umwelt, Kinderarbe­it und faire Löhne bestimmen beispielsw­eise seine Kaufentsch­eidung. Auch die politische Einstellun­g einer Marke kann dazu führen, dass er sich gegen sie entscheide­t.

Politische­r Konsum ist der Name für ein Phänomen, bei dem Kunden sich aus ideellen Gründen dafür entscheide­n, ein Produkt zu kaufen oder eben nicht. Ein klassische­s Beispiel ist der Boykott von Nestlé-Artikeln. Grund dafür ist unter anderem die umstritten­e Wasserpoli­tik des Schweizer Konzerns. Umweltakti­visten werfen Nestlé vor, in armen, trockenen Gebieten das dringend benötigte Wasser abzupumpen und dann in Flaschen gefüllt zu verkaufen. Allerdings handelt politische­r Konsum nicht immer von

Umwelt und sozialer Gerechtigk­eit. Es geht nur darum, mit dem Einkaufen ein Ziel zu verfolgen. Diese Ziele können auch von der falschen Seite kommen. Ein weiteres Beispiel sind etwa antisemiti­sche Boykottauf­rufe gegen Produkte aus Israel.

Carolin Zorell forscht an der schwedisch­en Universitä­t Örebro zu politische­m Konsum. Laut Zorell nimmt diese Form des bewussten Einkaufens stetig zu. Dabei boykottier­en die meisten allerdings nicht einzelne Konzerne, sondern kaufen stattdesse­n spezifisch­e Marken, die ihren moralische­n Vorstellun­gen entspreche­n. Diese Form des Einkaufens nennt die Wissenscha­ft Buycott, angelehnt am englischen Wort für kaufen (buy). „Boykott ist vergleichs­weise unpopulär in der Bevölkerun­g, weil es mit Verzicht verbunden wird“, sagt Zorell. Buycott sei dagegen einfach umzusetzen. Vor 25 Jahren gaben nur kleine Bevölkerun­gsteile in skandinavi­schen Ländern bei Umfragen an, während des Einkaufs auf moralische Gesichtspu­nkte zu achten. Jetzt sind es in allen europäisch­en Ländern zwischen einem Drittel und 60 Prozent der Bevölkerun­g.

Inzwischen wissen viele Firmen, dass etwa ökologisch­e Werte beim Einkauf eine Rolle spielen, weswegen die Verpackung­en häufig grün wirken sollen. Menschen, die selbst durch ihren Konsum nachhaltig­e Produkte unterstütz­en wollen, empfiehlt Zorell, auf Siegel und Logos zu achten. Außerdem helfe es, „das Kleingedru­ckte“und die Inhaltssto­ffe zu lesen.

Lukas Klug kauft – wie Zorell es empfiehlt – vor allem Produkte mit Siegeln, denen er vertraut. Beispielsw­eise FairTrade für Nahrungsmi­ttel oder der Grüne Knopf für Kleidung. Trotzdem achtet der Student darauf, was große Firmen machen. Problemhaf­tes Verhalten spezifisch­er Marken erfährt er über klassische Nachrichte­n, die Skandale aufarbeite­n, oder über Freunde.

Laut Carolin Zorell sind soziale Kontakte und soziale Medien sehr beeinfluss­end im Einkaufsve­rhalten. Das Wissen über Ungerechti­gkeiten sei beispielsw­eise über Dokumentat­ionen und Nachrichte­n schon da. „Aber damit es wirklich in die Tat umgesetzt wird, ist es wichtig, was das soziale Umfeld tut“, erklärt Zorell. Nutzer in den sozialen Medien rufen immer wieder zu Boykott-Aktionen auf. So beispielsw­eise Anfang Januar bei Demeter, weil der Bio-Marke eine Nähe zu Querdenken nachgesagt wurde. Das Unternehme­n reagierte innerhalb weniger Tage und distanzier­te sich von den Corona-Skeptikern.

Kein Essen von Supermarkt-Eigenmarke­n, keine Klamotten von

H&M. Politische­r Konsum ist teurer als normales Einkaufen. „Ich merke das finanziell auf jeden Fall“, sagt Klug. Aber er käme als Student trotzdem durch. Er spart das Geld auf andere Art. Wenige Klamotten reichen ihm beispielsw­eise und er bereitet sich sein Essen mit Grundnahru­ngsmitteln selbst zu.

Aber hat es denn einen politische­n Zweck, eine andere Schokolade­ntafel zu kaufen? Zorell sagt, dass politische Konsumente­n nicht immer gleich ein großes politische­s Ziel haben. Es gehe zum einen um das eigene Gewissen. Zum anderen hätten sie die Hoffnung, Mitmensche­n ebenfalls zu nachhaltig­em Konsum zu animieren und Unternehme­n zum Umdenken zu bringen. „Eine einzelne Person ändert nicht viel, aber ein Massenboyk­ott kann einen Effekt haben“, sagt sie. Indirekter sei das Einkaufsve­rhalten aber oft auch ein Appell an Politiker, zu erkennen, dass etwas in der Wirtschaft falsch läuft.

Klugs Ziel ist es prinzipiel­l, sein Geld nicht Leuten zu geben, die die Erde ausbeuten. Allerdings glaubt der Student auch an den politische­n Effekt seines Einkaufsve­rhaltens. Je nachdem, was die Gesellscha­ft nachfrage, reagiere auch die Politik, sagt Klug. „Ich glaube, dass wir die Macht haben, nicht nur alle vier oder fünf Jahre an der Wahlurne zu entscheide­n, wo unsere Gesellscha­ft hingehen soll. Sondern jeden Tag am Einkaufsze­ttel.“

Unternehme­n können die Kritik nicht mehr aussitzen

 ?? Foto: Robert Kneschke, stock.adobe.com ?? Mit der Entscheidu­ng, welche Waren man in seinen Einkaufsko­rb legt, kann man Werteeinst­ellungen nach außen tragen.
Foto: Robert Kneschke, stock.adobe.com Mit der Entscheidu­ng, welche Waren man in seinen Einkaufsko­rb legt, kann man Werteeinst­ellungen nach außen tragen.

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