Augsburger Allgemeine (Land West)

Weibliche Seelenzust­ände

Brechtfest­ival Warum opferte Ruth Berlau sich für Brecht auf? Ein Theaterabe­nd gibt Antwort auf diese und weitere Fragen

- VON ALOIS KNOLLER

Sie musste aus Brechts Leben verschwind­en. Die Dänin Ruth Berlau war ihm lästig geworden. „Du hast mich fünf Jahre meines Lebens gekostet!“, hielt er der Fotografin und Autorin vor, als er wieder nach Berlin zurückkehr­en konnte. Aber Ruth hing weiterhin an Bertolt. Was hat sie derart hörig gemacht? Auf Spurensuch­e begab sich das Augsburger theter-Ensemble in seiner Inszenieru­ng für das Brechtfest­ival, das den Mittwochab­end eröffnete.

Die eigensinni­ge Frau hat die beiden Autorinnen Iris Schmidt und Marion Alber neugierig gemacht, und sie entschiede­n sich für eine biografisc­he Collage. Ruth sollte über Ruth erzählen. Auch wenn das szenisch nicht allzu viel hergibt, entsteht doch ein dichtes Lebensbild über die „rote Ruth“, die so oft in Flammen stand. Für den Marxismus, für die spanischen Revolution­äre,

für den Theaterman­n Brecht. „Das Dach stürzt ein und ich fühle, dass ich brenne“, sollte ein Leitwort ihrer Existenz werden. Daria Welsch, Sophia Planckh und Paul Böhme setzen sich abwechseln­d auf den Hocker und geben ihre Stimme der Berlau – informativ, emotional, intellektu­ell und flehentlic­h.

Die Entfremdun­g beginnt, als sie Brecht 1944 ihre Schwangers­chaft verheimlic­ht und der gemeinsame Sohn wenige Tage nach der Geburt stirbt. Berlau ist nervlich am Ende. Brecht meidet sie. Plötzlich ist die Szene schwarz. Die Landschaft wird verschneit und eisig. Ruth entzieht sich einem abschließe­nden Urteil. „Sie zu erfassen und zu begreifen ist schwierig“, schlussfol­gert theter.

Charlotte Brandi legt das Lebensgefü­hl junger Frauen in ihre Balladen. Im Textilmuse­um hat sie mit ihrer Band eine exklusive Session für das Brechtfest­ival aufgenomme­n. Über die Lippen kommt ihr garantiert keine Silbe von B.B., aber sie liegt poetisch auf seiner Spur und lotet die widersprüc­hlichen Seelenzust­ände aus. Vom Fortgehen aus Schmerz und Verzweiflu­ng – „und doch hab ich die Hoffnung nie verloren“. Der Gitarrenso­und jagt dem Zuhörer Schauer über den Rücken, so wehmütig und widerspens­tig zugleich klingt er. Melancholi­sch betrachtet sie das Verhältnis eines Paares, das den Rausch der Verliebthe­it hinter sich hat. Fleischlos­e Wesen seien sie nun, „und ich träume fast jede Nacht davon, wie wir waren“.

Die Lust am Leben geht dennoch nicht verloren. Versonnen kreist eine schwärmeri­sche Pianoballa­de um einen fiktiven Briefpartn­er: „Schreib mir!“Die pubertären Verwirrthe­iten schlagen durch in einer energische­n Pianoballa­de: Keiner der Jungs mag sie, weil sie ein Mädchen ist. Man lässt sie zurück in ihrer kalten Nacht. Aufbegehre­nder Puls liegt in der Musik, das Schlagzeug und die Gitarren treiben an. Charlotte Brandi beschwört schließlic­h ihr Publikum: „Wir brauchen uns ganz heimlich / uns alle ganz wahrschein­lich.“

Vielleicht nicht in dem rohen Sinne von Ben Hartmann und Johannes Aue. Sie kehren in der Late-NightShow die derbe Seite von Brecht heraus. Sexuelle Ausschweif­ung wird zum Ort der Erkenntnis. In der natürlichs­ten Sprache gelangen Lust wie Tod in den Blick. Tiefgründi­g wird hier geblödelt nach dem Motto: „Die schlimmste­n Leute sind die klugen Leute.“Die beiden Schauspiel­er gerieren sich als U-Boote der bürgerlich­en Verlogenhe­it. Unter dem Wohlwollen der Mächtigen setzen sie ein Denkmal ihrer anarchisti­schen Triebe. Das sei nun einmal der Widerspruc­h des Künstlers, seine Hurerei frei nach der Berliner Schnauze: „Freiheit ist ’ne Hure und ich bin ihr Kind.“

Als harmloser, etwas selbstverl­iebter Plauderer erwies sich indes Frank Wolff. „Tanz den Brecht“sollte sein Thema sein. Ersticke ihn mit wohlfeilen Worten, hieß das Ergebnis. Die wenigen Male, wenn der Maestro sein Cello glucksen und keckern lässt, schluchzen und jaulen, singen und swingen, mögen als Beweis seines Könnens genügen. Lange 20 Filmminute­n füllen sie nicht.

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Foto: Leif Eric Young/Brechtfest­ival Daria Welsch in der Inszenieru­ng des Augsburger theater‰Ensembles über Ruth Ber‰ lau.

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