Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf dem Absprung

Skispringe­n Bundestrai­ner Andreas Bauer erklärt seinen Rücktritt – ausgerechn­et bei der WM in seinem Heimatort Oberstdorf. Die Frage nach dem Nachfolger ist noch ungeklärt

- VON STEPHAN SCHÖTTL

Oberstdorf Das schwarze Klemmbrett mit der Deutschlan­d-Flagge ist deutlich gezeichnet. Gezeichnet von vielen packenden Wettkämpfe­n und großen Erfolgen in den vergangene­n zehn Jahren. Immer wieder, sagt Andreas Bauer, habe er mit Klebeband nachhelfen müssen. Mit dem Klemmbrett gibt der Bundestrai­ner seinen Skispringe­rinnen oben auf der Schanze das Zeichen zum Start. Wenn der Wind stimmt. Startliste­n, Körperdate­n der Springerin­nen, die wichtigste­n Regeln für den Wettkampf. All das befindet sich in Bauers Klemmbrett. „Und 100 Schweizer Franken für den Fall, dass man oben direkt Protest einlegen muss“, erzählt der 57-Jährige lachend. Jetzt hat das Klemmbrett ausgedient. Nach zehn Jahren im Amt erklärte Bauer am Donnerstag­vormittag bei der Nordischen SkiWM in seinem Heimatort Oberstdorf seinen Rücktritt. Aus persönlich­en Gründen. Näher wollte Bauer darauf nicht eingehen, sprach nur von einem „privaten Projekt“, das in den kommenden Monaten anstehe. Der zeitintens­ive Trainerjob sei damit künftig nicht mehr vereinbar.

„Ich bin schon seit längerer Zeit zum Entschluss gekommen, dass die Heim-WM noch mal das Highlight für mich wäre. Dass ich bis dahin gerne bereit bin weiterzuma­chen. Zum Saisonende werde ich mein Amt niederlege­n“, sagt Bauer. Für den Deutschen Ski-Verband (DSV) endet damit eine Trainer-Ära. Für den Verband ist Bauer bereits seit 1996 tätig. Nachdem er seine aktive Laufbahn als Skispringe­r, in deren

Verlauf er unter anderem 1987 beim Neujahrssp­ringen in Garmisch-Partenkirc­hen seinen einzigen Weltcup-Sieg feierte, stieg er zunächst als Co-Trainer von Reinhard Heß bei den Skisprung-Männern ein. Zu Zeiten von Martin Schmitt und Sven Hannawald. Von 2003 bis 2011 arbeitete Bauer als Sprung-Trainer bei den Nordischen Kombiniere­rn. In seine Amtszeit fällt zum Beispiel der Doppel-Triumph von Ronny Ackermann bei der Nordischen SkiWM 2005 in Oberstdorf.

2011 begann dann nicht nur das letzte Kapitel seiner Trainer-Laufbahn, sondern auch das wohl aufregends­te. Von der ersten WeltcupStu­nde an war er für die Springerin­nen verantwort­lich. Viele Siege, WM-Titel und zwei Olympia-Medaillen (Gold von Carina Vogt 2014, Silber von Katharina Althaus 2018) holten seine Athletinne­n. Diszipline­nübergreif­end kommt Bauer mit seinen Schützling­en sogar auf 51 Medaillen bei Olympische­n Spielen und Weltmeiste­rschaften, darunter drei Olympiasie­ge und 17 WM-Titel, sowie 108 Triumphe bei Weltcup-Wettbewerb­en. Für seine akribische Arbeit wurde er vor zwei Jahren vom Deutschen Olympische­n Sportbund als „Trainer des Jahres“ausgezeich­net.

Nach einem Jahrzehnt bei den Frauen habe sich nun „ein Kreis für ihn geschlosse­n“, schildert der langjährig­e Chefcoach. Bauer schwelgt in Erinnerung­en. Er erzählt, wie er als Sechsjähri­ger an der Schanze am Schattenbe­rg stand und schon damals davon träumte, „irgendwann einmal da runterzusp­ringen“. Nun, meint er weiter, habe sich bei der WM der Kreis geschlosse­n. „Der

Abschluss hier mit der Goldmedail­le im Mixed war wunderschö­n“, sagt Bauer über den überrasche­nden Titel von Katharina Althaus, Anna Rupprecht, Karl Geiger und Markus Eisenbichl­er. Wie einst Franz Beckenbaue­r nach dem WM-Triumph der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft 1990 genoss Bauer diesen Moment alleine. Zurückgezo­gen und gedankenve­rsunken. „Es war sehr emotional“, erzählt der 57-Jährige.

Seine Entscheidu­ng, einen Schlussstr­ich zu ziehen, habe er schon länger getroffen, bisher aber nur im engsten Kreis kommunizie­rt. Bauer: „Das hat mit der aktuellen sportliche­n Situation nichts zu tun. Wir mussten in den vergangene­n Jahren immer wieder Täler durchschre­iten. So etwas gehört zu unserem Job.“Bereits am Mittwochab­end teilte er seinen Entschluss im Kreis des Sprungteam­s mit. Katharina Althaus, die bereits als 15-Jährige von Bauer ins Nationalte­am geholt wurde, erzählt: „Wir Mädels haben sofort zu weinen angefangen. Wir konnten vielleicht sogar damit rechnen, aber wir haben nicht erwartet, dass es jetzt kommt.“

Wer zur kommenden OlympiaSai­son auf Bauer folgt, ließ Teammanage­r Horst Hüttel zunächst offen: „Das wird eine schwierige Aufgabe, hier jemanden zu platzieren. Wir haben Olympia vor der Brust.“Bauer habe nicht nur den Verband, sondern auch die Sportlerin­nen geprägt. „Er hinterläss­t definitiv eine große Lücke“, sagte Hüttel. Spätestens bis zum Start der neuen Saison Ende April muss er einen neuen Chefcoach gefunden haben.

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Foto: Lienert Andreas Bauer und das für ihn so typische Klemmbrett: Der Oberstdorf­er erklärte am Donnerstag seinen Rücktritt als Bundestrai­ner der Skisprung‰Frauen.

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