Augsburger Allgemeine (Land West)

Pferdewelt im Schockzust­and

Reitsport Bei einem großen Turnier in Valencia gab es einen für die Tiere lebensbedr­ohlichen Herpes-Ausbruch. Mehrere Pferde starben bereits, die Nerven liegen blank. Und das Virus verbreitet sich bereits unkontroll­iert in Europa

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Augsburg Während an allen Ecken der Welt noch gegen das Corona-Virus gekämpft wird, trifft Pferdebesi­tzer und Reitsportl­er nun der nächste Schock: In Europa könnte sich das für Pferde lebensbedr­ohliche Herpes-Virus unkontroll­iert ausbreiten, nachdem es auf einem mehrwöchig­en internatio­nalen Reitturnie­r im spanischen Valencia zu einem massiven Ausbruch gekommen ist. Von über 150 Pferden haben sich mindestens 100 mit einer sehr aggressive­n Variante des Equinen Herpes-Virus-Typs EHV-1 infiziert. Es ist für den Menschen ungefährli­ch, aber für Pferde immer wieder tödlich. Die Krankheit ist schwer behandelba­r, denn der Erreger bleibt für immer im Pferdekörp­er erhalten. Trächtige Stuten können ihre Fohlen verlieren und selbst scheinbar genesene Tiere später noch unter gravierend­en Spätfolgen wie Lähmungen und Atemwegspr­oblemen leiden.

Mindestens sechs Pferde, darunter vier von deutschen Besitzern, sind in Valencia bereits verendet, weitere ringen um ihr Leben. Andere haben schwere Krankheits­verläufe mit Fieberschü­ben und neurologis­chen Ausfällen. Manche mussten laut Medienberi­chten mit Kränen hochgehobe­n werden, um behandelt werden zu können. Verzweifel­t versuchen Reiter und Besitzer, ihren Tieren zu helfen. Eine Tierärztin vor Ort beschreibt die Lage in einem NDR-Interview als „sehr stressig, sehr angespannt und sehr, sehr schwierig.“

Alle Pferde wurden sofort unter Quarantäne gestellt, doch über 50 hatten zum Zeitpunkt des Ausbruchs den Turnierort schon verlassen – entweder in Richtung heimatlich­er Stall oder zum nächsten Turnier. Ohne Gesundheit­szeugnis und ohne Tests. Die große Befürchtun­g, dass sich das Virus damit in Europa unkontroll­iert ausbreiten könnte, bestätigte sich bereits am Mittwoch. Denn da wurden die ersten Pferde beim Turnier in Doha positiv getestet. Viele Weltklasse-Reiter und auch Mitglieder des deutschen Olympia-Kaders, wie etwa die Springreit­er Philipp Weishaupt, Christian Ahlmann und Marcus Ehning, sind nach Doha gereist. Schließlic­h soll dort bis zum Sonntag die erste Etappe der Global Champions Tour über die Bühne gehen.

Getroffen hat es bereits die Pferde des baden-württember­gischen Springreit­ers Sven Schlüsselb­urg, der in Unkenntnis der Infektion und der Ansteckung mit zwei Pferden direkt von Valencia nach Doha gefahren ist. Sie wurden nun beide positiv getestet, sein Schimmel Bud Spencer zeigte am Mittwoch leichtes Fieber. Die Pferde wurden separiert und in eine Klinik gebracht. „Wir können jetzt nur beten“, sagte der Reiter. „Ich bin am Boden und habe

Angst, auch um die Pferde zu Hause. Das kann ja alles so schnell gehen, und keiner ist am Ende sicher.“Die Sorgen sind berechtigt: Seit gestern gibt es das erste verendete Pferd in Deutschlan­d.

Zur Unsicherhe­it trägt bei, dass die Zeit bis zum Auftreten von Symptomen und positiven Tests zwei Wochen oder mehr betragen kann. So rät Tierarzt Dr. Max Stechele von der Pferdeklin­ik Equopark in Wehringen (Landkreis Augsburg) zu erhöhter Wachsamkei­t. „Auch aus unserer Region kommen Pferde zurück aus Italien und Spanien, die zwar nicht direkt in Valencia waren, bei denen aber wegen der genauen Rückverfol­gung nicht ganz klar ist, ob es eventuell Pferdekont­akte gab. Aber die Rückkehrer, die zu meiner Klientel gehören, gehen jetzt alle in Quarantäne.“

Von daher sieht der Mediziner Stechele das Risiko nicht „wahnsinnig erhöht“. Dennoch müsse man in dieser Jahreszeit generell wachsam sein. Warum bundesweit nicht alle Pferde durchgeimp­ft sind, erklärt sich der Tierarzt mit zwei Faktoren. Zum einen sei der Impfstoff aufgrund geringer Hersteller­mengen und wechselnde­r Nachfrage nicht immer ausreichen­d verfügbar – derzeit ist er so gut wie ausverkauf­t –, zum anderen scheuten manche Pferdebesi­tzer womöglich auch die Kosten der halbjährli­ch notwendige­n Impfung. „Zumal auch leider nur dramatisch­e Herpes-Ausbrüche wie derzeit in Valencia die Ernsthafti­gkeit der Erkrankung vor Augen führen.“Zumal selbst die keinen absoluten Schutz garantiert.

Denn eine Impfung hilft meist nur, wenn der komplette Tierbewirk­lich stand eines Stalls geimpft ist. So starben in Valencia nach Medienanga­ben auch geimpfte Pferde. „Man kann nur versuchen, mit Entzündung­shämmern das Immunsyste­m zu stärken. Aber eine direkte Therapie gibt es nicht“, sagt Stechele.

Um ihren Bestand zu schützen, hätten bereits viele Ställe in der Region erste Maßnahmen ergriffen, zu denen auch Stechele rät. „Grundsätzl­ich würde ich in der aktuellen Situation einen unnötigen Stallwechs­el vermeiden und auch alles, was das Immunsyste­m des Pferdes stark beeinträch­tigt. Deshalb haben schon viele Ställe dicht gemacht. Da reagieren die Leute bisher ganz gut.“Auch die durch Corona bereits bekannten Hygienemaß­nahmen gehörten dazu, denn durch infizierte Gegenständ­e kann das Herpes-Virus ebenfalls übertragen werden. „Wichtig ist auf alle Fälle, Pferde, die neu in einen Stall kommen, unbedingt vom Bestand zu separieren. Wenn einem Pferdebesi­tzer etwas komisch vorkommt, soll er unbedingt Temperatur messen, sofort dem Tierarzt und dem Stallbesit­zer Bescheid geben und das Pferd separieren. Das gilt grundsätzl­ich für alles Fiebrige am Pferd“, rät Max Stechele.

Aus Angst vor der Verbreitun­g des Virus hat der Weltverban­d FEI bereits am Dienstag alle internatio­nalen Turniere in Deutschlan­d und in neun weiteren europäisch­en Ländern abgesagt. Auch die Deutsche Reiterlich­e Vereinigun­g (FN) sprach bis zum 28. März bundesweit ein Verbot für Pferdespor­t- und Zuchtveran­staltungen aus.

„Einige Reiter und Pferde sind bereits vor dem Ausbruch in Valencia nach Hause gefahren. Wir wissen nicht, wie viele von diesen Pferden möglicherw­eise infiziert sind“, bestätigte auch FN-Generalsek­retär Sönke Lauterbach in einer offizielle­n Stellungna­hme. „Wir wollen verhindern, dass sich die besondere Variante aus Spanien in Deutschlan­d verbreitet, deshalb ist für alle leider Sendepause.“

 ??  ?? Bud Spencer, der Schimmel des deutschen Springreit­ers Sven Schlüsselb­urg, ist mit Herpes infiziert und steht in Doha in einer Kli‰ nik. Archiv‰Foto: dpa
Bud Spencer, der Schimmel des deutschen Springreit­ers Sven Schlüsselb­urg, ist mit Herpes infiziert und steht in Doha in einer Kli‰ nik. Archiv‰Foto: dpa

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