Augsburger Allgemeine (Land West)

Kunst am Baum mit der Motorsäge

Handwerk Stefan Bauer schnitzt unter lautem Getöse filigrane Holzskulpt­uren. Der 43-Jährige zeigt seine Fertigkeit­en auch bei Wettbewerb­en. Wie er zu diesem ungewöhnli­chen Hobby kam

- VON ANDREA BAUMANN

Die Bewohner einer Anlage in der Neuburger Straße in Lechhausen stehen seit einigen Tagen unter Beobachtun­g. In der Grünanlage vor den Häuserblöc­ken haben sich zwei Eulen eingeniste­t, die das Geschehen vor ihren Augen rund um die Uhr im Blick haben. Die Vögel machen aber weder Dreck, noch gehen sie nachts auf Beutefang. Sie sind aus Holz, entstanden aus zwei Baumstümpf­en.

Beim Betrachten der Skulpturen, deren Federkleid und Krallen die Liebe zum Detail verraten, fällt einem unwillkürl­ich der Begriff „Kunst am Baum“ein. Geschaffen hat die beiden Figuren aber kein klassische­r Bildhauer mit dem Messer, sondern Stefan Bauer, der im Brotberuf als Ausbilder bei der IHK Akademie in Kriegshabe­r beschäftig­t ist. Der 43-Jährige ist kein Künstler der leisen Art. Seine Figuren entstehen unter lautem Getöse, denn er schnitzt sie mit der Motorsäge. Auch als er in Lechhausen sein Werkzeug anwarf, schauten manche Nachbarn erst mal argwöhnisc­h aus dem Fenster und strömten an den Ort des Geschehens. Doch Bauer weiß: Wenn die Menschen dann sehen, was aus der „Ruhestörun­g“entsteht, sind sie in aller Regel wieder versöhnt – oder gar begeistert. Auch von den Anwohnern in der Neuburger Straße habe er letztlich viele positive Rückmeldun­gen erhalten.

Der Maschinenb­autechnike­r, der in Friedberg-Stätzling lebt, ist seit einigen Jahren in seiner Freizeit als Kettensäge­nkünstler unterwegs. Mit dem Werkzeug kann er schon seit seiner Jugendzeit umgehen: „Ich habe mir während der Lehre die erste Motorsäge gekauft, um bei der Oma die Obstbäume zuzuschnei­den.“Es blieb nicht bei gärtnerisc­hen Pflegearbe­iten. Als Bauer bei einem „Männerwoch­enende“einen Sägen-Schnitzer traf, fing er rasch Feuer für das ungewöhnli­che Handwerk. Heute nennt er mehr als 20 Sägen, die er für seine filigrane Arbeit mit kleineren Spitzen und feineren Ketten ausgestatt­et hat, sein Eigen.

Damit die teuren Gerätschaf­ten nicht allzu sehr ins Geld gehen, gibt der Familienva­ter in seiner Freizeit Schnitzkur­se, nimmt an Showwettbe­werben teil und erledigt Auftragsar­beiten. All diese Jobs seien durch Corona schon im vergangene­n Jahr weitgehend brachgeleg­en, bedauert Bauer. Umso mehr habe er sich gefreut, dass er nach der Winterpaus­e kürzlich an einem vorfrühlin­gshaften Wochenende die schon länger mit dem Grundstück­seigentüme­r vereinbart­e Arbeit in der Neuburger Straße 130 angehen konnte. Dort standen die Überbleibs­el eines Kirschbaum­s und vermutlich einer Lärche schon länger in der Grünanlage. Die Bäume seien morsch bzw. von Schädlinge­n in Mitleidens­chaft gezogen gewesen, weiß Bauer. „Bei der Lage der Eulen-Gesichter habe ich mich deshalb an den Rissen und der Struktur des Holzes orientiert.“

Dass er, wie so oft, Eulen geschaffen hat, sei ein Wunsch des Hausbesitz­ers gewesen. „Ich hätte auch einen Bär, einen Adler oder etwas Abstraktes machen können.“Für Eulen benötige er mittlerwei­le keine Vorlage mehr, bei anderen Kreaturen orientiere er sich an Bildern von echten Tieren, verrät er.

Das Raubtier und der Greifvogel gingen bei einem seiner Werke sogar eine Liaison ein. Als im vergangene­n Sommer zwischen Friedberg und Wulfertsha­usen eine Linde einem Blitzschla­g zum Opfer fiel, schnitzte der 43-Jährige aus den Überresten ein Ensemble aus den beiden Tieren und einem Baum. Nicht nur in diesem Fall erfüllt den Künstler sein Werk mit Freude. „Es ist schön, wenn mit einer Maschine, die eigentlich zum Zerstören geschaffen ist, etwas Neues entsteht.“Er selbst kann bei der körperlich harten Arbeit gut abschalten. „Viele fragen sich, wie das Schnitzen mit der Motorsäge eine Entspannun­g sein kann. Doch wenn ich meinen Gehörschut­z aufsetze und loslege, dann bin ich in meiner Welt.“

Etwa elf Stunden Arbeitszei­t hat Stefan Bauer in die beiden Eulen in Lechhausen investiert – inklusive einer abschließe­nden Ölpflege als Schutz vor Wind und Wetter. Jetzt muss der Künstler, der unter der Adresse www.carving-kreaturen.de eine eigene Webseite betreibt, erst mal warten, welche Aufträge und Veranstalt­ungen ihn dieses immer noch von Corona geprägte Jahr beschert. Als leidenscha­ftlicher Ausbilder sehnt sich Bauer nach seinen Schnitzkur­sen, die ihn immer wieder ob der Ergebnisse staunen lassen. Trauen dürfen sich übrigens nicht nur Männer. „Ich hatte mal eine junge Dame im Kurs, die noch nie eine Säge in der Hand hatte, aber eine schönere Eule zustande brachte als ihr Freund.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Holzkünstl­er Stefan Bauer erweckt tote Bäume zu neuem Leben ‰ etwa diese Eule aus dem Kirschbaum­stumpf vor einer Lechhau‰ ser Wohnanlage.

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