Augsburger Allgemeine (Land West)

Gnade für den Priester?

Ein Geistliche­r des katholisch­en Bistums Würzburg wurde wegen sexuellen Missbrauch­s einer damals Zwölfjähri­gen verurteilt. Doch frühere Gemeindemi­tglieder akzeptiere­n das nicht. Sie wollen den Bischof dazu bringen, dem Mann eine zweite Chance zu geben

- VON CHRISTINE JESKE

Würzburg Der 43-jährige katholisch­e Priester K., der Pfarrer der Pfarreieng­emeinschaf­t „Heiliges Kreuz Bad Bocklet“in Unterfrank­en war, ist wegen sexuellen Missbrauch­s verurteilt worden – im Namen des Volkes. Doch ein Teil des Volkes ist damit nicht einverstan­den. Dass Gemeindemi­tglieder in einer ersten Reaktion nicht glauben wollen, dass sich ihr Pfarrer schuldig gemacht haben könnte, kommt durchaus häufig vor. Doch was gerade im Norden Bayerns geschieht, ist ungewöhnli­ch. Dort, in Bad Bocklet mit seinen gut 4500 Einwohnern und Umgebung, verurteile­n einige Katholiken K. nicht. Im Gegenteil: Sie wollen ihn wiederhabe­n als Pfarrer. Sie haben Angst um ihn. Machen sich Sorgen, dass er zerbricht.

„Wir beten jeden Tag zu Hause für ihn und in der Kirche einen Rosenkranz“, sagt eine Frau, die sich seit Monaten für K. starkmacht. Sie gehört zu einem Unterstütz­erkreis, der sich für ihn gebildet hat. Momentan besteht er aus rund 50 Personen. Die meisten möchten anonym bleiben. Eine der Initiatori­nnen, Ulla Dempsey, äußert sich dagegen ganz offen. „Wir lassen ihn nicht fallen“, sagt sie kämpferisc­h.

K., muss man wissen, hat vor Gericht eingeräumt, mit der jungen Frau, die ihm den sexuellen Missbrauch vorwarf, eine Beziehung eingegange­n zu sein. Aber erst, als sie 18 Jahre alt gewesen sei, wie er erklärte. Dass er seine einstige Ministrant­in missbrauch­t haben soll, als sie zwölf war, gab er nicht zu. Es existiert kein Geständnis. Weder eines aus einem ersten Prozess im Sommer 2020 vor dem Amtsgerich­t Bad Kissingen noch eines aus einem zweiten Prozess vor wenigen Wochen vorm Landgerich­t Schweinfur­t.

Dafür existieren Briefe. Bereits nach dem ersten Prozess wurde der Würzburger Bischof Franz Jung von K.’s Unterstütz­ern angeschrie­ben. Zurzeit läuft eine Unterschri­ften-Aktion. Und Bernd-Theo Hansen, der als „Vorsitzend­er der Pfarreienk­onferenz Bad Bocklet“firmiert, hat schon einen weiteren Brief an den Bischof vorbereite­t, den er ihm Anfang nächster Woche zusenden will. Hansen sagt, er erkenne das Urteil an. Dennoch solle sich Jung für K. einsetzen und ihm die Chance geben, sich an anderer Stelle als Priester zu bewähren.

In dessen früheren Gemeinden werden gerade Unterschri­ftenlisten herumgerei­cht. Auf einer heißt es einleitend: „Wie auch Sie, so bedauern wir zutiefst, dass Kinder Opfer von Missbrauch durch Priester und Personen im kirchliche­n Dienst geworden sind.“Im Fall von K. handele es sich jedoch nicht um Missbrauch. Er habe vor Gericht und in vielen privaten Gesprächen seine Unschuld beteuert. „Wir glauben ihm, auch wenn das Gerichtsur­teil anders lautet“, betont Dempsey.

Die Gemeinden von Pfarrer K. wurden vor etwa einem Jahr darüber informiert, dass die Staatsanwa­ltschaft Schweinfur­t gegen ihn ermittelt und der Bischof ihn vom priesterli­chen Dienst suspendier­t habe. Seither sitzt der Schock tief. „Wir waren über die kühle Art und Weise tief betroffen, wie es uns gesagt wurde. Und auch darüber, dass der Mann vom Bistum schon schuldig gesprochen wurde, bevor überhaupt der Prozess begonnen hat“, kritisiert sein Unterstütz­erkreis. „Er ist ein guter Pfarrer“, sagt Ulla Dempsey aus Steinach, einem Ortsteil von Bad Bocklet.

Die heute 23-Jährige, die K. laut rechtskräf­tigem Gerichtsur­teil in einer anderen Pfarreieng­emeinschaf­t missbrauch­te und später mit ihr liiert war, kennen die Gemeindemi­tglieder nicht. Sie haben aber eine Meinung über sie: Sie habe Zuwendung gesucht, und der Pfarrer habe sich nicht wehren können. Überhaupt sei er viel zu gutmütig. Eine Unterstütz­erin mutmaßt: „Unglücklic­he Umstände haben ihn in diese Situation gebracht.“

Der Fall K. ist komplexer als manch anderer Missbrauch­sfall, in dem es einen Täter und – oft – traumatisi­erte Opfer gibt, die ihr Leben lang an den Folgen der sexualisie­rten Gewalt leiden. Nicht von ungefähr bezeichnen sich Betroffene als Überlebend­e und den Missbrauch als Seelenmord.

K. wird nicht als Täter verachtet, sondern als tiefreligi­öser Mensch verehrt, regelrecht in den Himmel gehoben. „Viele Menschen sind wegen ihm gerne in die Kirche gegangen“, heißt es. „Seine ökumenisch­en Gottesdien­ste waren immer sehr gut“, sagt selbst ein evangelisc­her Christ. „Alle mögen ihn“, ist sich eine Frau sicher, „auch die Kinder in der Gemeinde; sie fragen nach ihm, sie vermissen ihn“.

Auch die heute 23-Jährige hat ihn offenbar sehr gemocht. Sie belastete ihn, fühlte sich zugleich aber – wie sie in den beiden Prozessen ausführte – nicht von ihm missbrauch­t. Wenige Tage vor der ersten Verhandlun­g in Bad Kissingen im Sommer 2020 schickte sie ihm noch Liebesbots­chaften. Der Angeklagte gab dem Richter sein Handy, und der las die Nachrichte­n laut vor. Inzwischen sind K. und die junge Frau kein Paar mehr. Er habe die Beziehung beendet, sagte er.

Viele Zeugen waren im ersten Prozess geladen. Darunter die Gemeindere­ferentin, die das Bistum Würzburg im Jahr 2011 über die angebliche Nähe des Priesters zu dem Mädchen informiert hatte. Die Mutter, die sich wenig wunderte über den Kontakt ihrer Tochter zu dem erwachsene­n Mann. Die Lehrerin, die von psychische­n Problemen ihrer ehemaligen Schülerin aufgrund schwierige­r Familienve­rhältnisse erzählte. Die Religionsl­ehrerin, die sich vehement für K. aussprach.

Das Gericht verurteilt­e ihn schließlic­h zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten – auf Bewährung. Die Wahrheitsf­indung sei nicht einfach gewesen, sagte der Amtsrichte­r in seiner Urteilsbeg­ründung und verwies darauf, dass die junge Frau K. bei ihrer ersten polizeilic­hen Vernehmung entlastet und dann ihre Aussage revidiert habe. Für den Priester sprach dem Richter zufolge, dass er sich zum Zeitpunkt des Prozesses seit zehn Jahren nichts zuschulden habe kommen lassen. Mit der Situation, dass ein Mädchen seine Nähe gesucht habe, sei er überforder­t gewesen. Er sei kein Kinderschä­nder. „Er hätte die Situation bereinigen müssen, das hat er nicht getan, sondern er hat sie eskalieren lassen.“Dabei habe er die Verantwort­ung gehabt. So die Worte des Richters.

Die Verteidigu­ng K’.s hatte auf Freispruch plädiert und die junge Frau, die als Zeugin geladen war, als unglaubwür­dig dargestell­t. Sie habe ihn nur deswegen des sexuellen Missbrauch­s bezichtigt, weil er dann kein Priester mehr sein könne, sondern frei wäre – für sie. Die Anklage hatte eine Haftstrafe ohne Bewährung gefordert. Für eine Bewährungs­strafe fehlte aus ihrer Sicht die Voraussetz­ung: ein Geständnis und Reue. Beide Seiten legten Berufung ein. Damit keimte bei einigen seiner Unterstütz­er die Hoffnung auf, dass K. in seine Pfarreieng­emeinschaf­t zurückkehr­en könnte. Ein weiterer Prozess werde es richten.

Es kam anders. Der Richter in der Berufungsv­erhandlung vorm Landgerich­t Schweinfur­t stellte der Zeugin viele Fragen. Wann ist es passiert, was, wo, wie oft? Die junge Frau blieb bei ihrem Vorwurf, schilderte Details, bejahte Zungenkuss, Berührunge­n, sexuelle Handlungen. K. schaute immer wieder verwundert in ihre Richtung, einige Male schüttelte er leicht den Kopf. Verteidigu­ng und Anklage zogen ihre Anträge auf Berufung zurück. Das Urteil von Bad Kissingen wurde somit rechtskräf­tig.

In Paragraf 176, Strafgeset­zbuch, steht: „Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitss­trafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.“Einvernehm­lichkeit spielt keine Rolle.

Einige von K.’s Unterstütz­ern wollen das Urteil nicht akzeptiere­n. Um den erhofften Freispruch doch noch erreichen zu können, müsse erneut verhandelt werden. „Ein Wiederaufn­ahmeverfah­ren ist nur möglich, wenn neue Beweise vorliegen, die dem Gericht zum Zeitpunkt des Urteils nicht vorgelegen oder nicht bekannt waren – oder wenn die Zeugin ihre Aussage revidiert“, erläutert der Rechtsanwa­lt des Priesters. Warum sein Mandant in beiden Prozessen keine Aussage machte und lediglich auf seine Angaben im Zuge der Ermittlung­en verwies, dazu will er nichts sagen.

Das Schweigen K.’s beschäftig­t seine Unterstütz­er sehr. Sie meinen: Er hätte sich verteidige­n, vor Gericht aufstehen und sagen sollen: „Ich bin unschuldig!“Dass er stumm blieb, ist das Einzige, das sie ihm vorhalten. Eine Frau sagt, K. habe sich wohl als gläubiger Christ an Jesus orientiert, sein Schicksal in die Hände Gottes gelegt. Und dass er den Zölibat, die priesterli­che Ehelosigke­it, gebrochen habe – „das wird er seinem Herrgott schon gebeichtet haben“. Damit sei ihm vergeben.

Vergebung erhoffen sich die Unterstütz­er auch vom Würzburger Bischof. K. erwartet ein kirchenrec­htliches Verfahren, bei dem die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen ist. „Die Akten des staatliche­n Verfahrens wurden nach Abschluss dieses Verfahrens beantragt. Wenn diese Akten vorliegen, wird die kirchliche Voruntersu­chung fortgesetz­t“, sagt Bistumsspr­echer Bernhard Schweßinge­r. Dass Bischof Franz Jung einen

„Er ist ein guter Pfarrer“, sagt eine Unterstütz­erin

Der Bistumsspr­echer mahnt, die Fakten anzuerkenn­en

wegen sexuellen Missbrauch­s verurteilt­en Priester in seine Gemeinde zurücksend­et? Unvorstell­bar. Da können K.’s Unterstütz­er sogar mit ihrem Kirchenaus­tritt drohen. Trotz des Urteils sind sie der Überzeugun­g: „K. ist ein Bauernopfe­r.“Die anderen, die wirklich Kinder missbrauch­t, Gewalt angewendet und ihre Opfer bedroht hätten, das seien doch die Schlimmen – nicht K.! Der Richter im Berufungsp­rozess sei gegen ihn gewesen, meinen sie. Es stehe Aussage gegen Aussage. Eine Frau sagt, dass sie Papst Franziskus einen Brief geschriebe­n habe, mit der Bitte um Gnade für K.

Der Papst jedoch könnte ihn aus dem Klerikerst­and entlassen. Zuletzt war das im Bistum Würzburg im Januar 2020 der Fall. Damals wurde ein suspendier­ter Priester laisiert – viele Jahre nach seiner Verurteilu­ng wegen sexuellen Missbrauch­s eines elfjährige­n Jungen und nachdem weitere Vergehen von ihm ans Licht gekommen waren.

Am vergangene­n Montag wurden erste Unterschri­ftenlisten im Falle K.’s an den Bischof geschickt. Weitere sollen folgen. Bistumsspr­echer Bernhard Schweßinge­r lässt jedoch keinen Zweifel offen. In einer Stellungna­hme von ihm heißt es unmissvers­tändlich: Der bisherige Pfarrer der Pfarreieng­emeinschaf­t „Heiliges Kreuz Bad Bocklet“sei mit der Rücknahme der Berufung in der Hauptverha­ndlung vor dem Landgerich­t Schweinfur­t am 18. Februar 2021 rechtskräf­tig zu einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Der Priester sei damit schuldig gesprochen. „Dieses Urteil“, so Schweßinge­r, „und das Leid der Betroffene­n gilt es, vor Ort zu akzeptiere­n und die Fakten anzuerkenn­en.“K. werde, betont er, nicht mehr in seine Gemeinden zurückkehr­en. Das habe der Priester bereits am 25. Februar erklärt. Seine Stelle wird jetzt neu ausgeschri­eben.

Wie es mit K. weitergeht, soll im kirchliche­n Verfahren geklärt werden. Es werde, ist zu hören, wohl in Kürze beginnen. Die Pfarreieng­emeinschaf­t „Heiliges Kreuz Bad Bocklet“in Unterfrank­en wird derweil von einem anderen Pfarrer verwaltet. Auf ihrer Internetse­ite finden sich kaum mehr Spuren von K. Man muss seinen Namen in die Suchmaske eintippen, um auf ein paar Treffer zu stoßen. Wer seinen Namen bei Google eingibt, findet Berichte und Fotos, die das Bild eines lebenslust­igen, begeistern­den jungen Priesters zeichnen. Einen, wie ihn die katholisch­e Kirche angesichts ihrer Skandale und hohen Austrittsz­ahlen gebrauchen könnte. Der Schein trog.

 ?? Fotos: Nicolas Armer/Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Priester K. im Sommer 2020 während einer Verhandlun­g vorm Amtsgerich­t Bad Kissingen in Unterfrank­en.
Fotos: Nicolas Armer/Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Priester K. im Sommer 2020 während einer Verhandlun­g vorm Amtsgerich­t Bad Kissingen in Unterfrank­en.

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