Augsburger Allgemeine (Land West)

Kassen wollen Ärzten beim Impfen helfen

Auch die AOK fordert, dass die Praxen schnell in die Corona-Impfung einsteigen. In Bremen übernimmt die Krankenver­sicherung bereits die Einladung der Risikopati­enten

- VON MICHAEL POHL

Berlin Es vergeht kein Tag, an dem Hausärzte nicht rufen, endlich an den Corona-Impfungen beteiligt zu werden. Noch, so betont nicht nur Gesundheit­sminister Jens Spahn, gebe es nicht ausreichen­d Impfstoff für ein zweigleisi­ges Impfkonzep­t mit öffentlich­en Impfzentre­n auf der einen Seite sowie Hausarztpr­axen und Betriebsär­zten auf der anderen. Die Impfstoff-Hersteller fahren erst noch ihre Produktion immer weiter hoch, aber auch neu zugelassen­e Mittel kommen auf den Markt.

Ab Mai sollen drei Millionen Impfdosen pro Woche zur Verfügung stehen: Dann könnten in 14 Tagen genauso viele Menschen geimpft werden wie in den vergangene­n drei Monaten zusammen.

„Wenn wir jetzt nicht nur darüber reden, sondern den Impfturbo tatsächlic­h einlegen wollen, führt kein Weg an den Haus- und Fachärzten vorbei“, betont auch die SPD-Gesundheit­sexpertin Sabine Dittmar. In den Grenzgebie­ten mit hoher Inzidenz mache es schon jetzt Sinn, die ambulanten Praxen einzubezie­hen und wie in Sachsen die breite Bevölkerun­g zu impfen. „Hierfür wäre keine Registrier­ung notwendig, da die Terminverg­abe am sinnvollst­en direkt und wie gewohnt in der Arztpraxis erfolgt und von den Priorisier­ungsvorgab­en in diesen extrem betroffene­n Regionen abgewichen werden kann.“

Auch die Krankenkas­sen wollen die Hausärzte unterstütz­en. „Es ist gut, dass die Ärzte jetzt ins Spiel kommen und ihre ganze Impfkompet­enz einbringen wollen“, sagt der Vorstandsv­orsitzende des AOKBundesv­erbands, Martin Litsch. „Damit wird mehr Geschwindi­gkeit und Breitenwir­kung beim Impfen erzielt“, hofft er. Auch die Abrechnung des gewaltigen zu erwartende­n Ansturms ist laut Litsch kein Problem: „Für die Vergütung haben wir mit den Grippeimpf­ungen bereits eine gute Orientieru­ng.“

Die Impfkosten werden über die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen abgerechne­t und über den Gesundheit­sfonds vom Bund erstattet. Experten schätzen, dass bei derzeit geschätzte­n 20 Millionen Impfungen, die über Arztpraxen statt über die Impfzentre­n laufen könnten, insgesamt etwa eine halbe Milliarde Euro als Entlohnung für die Arbeit an die Praxisbetr­eiber gehen.

Tatsächlic­h werden auch bei der jährlichen Grippeimpf­ung innerhalb weniger Wochen bis zu 20 Millionen Menschen geimpft. Dennoch warnen Experten im Hintergrun­d davor, dass die Ärzteverbä­nde mit ihren lautstarke­n Rufen nach Impfbeteil­igung möglicherw­eise das Potenzial an Ärger und Problemen unterschät­zen könnten, das alsbald auf viele der 50 000 Arztpraxen zurollen könnte. Bislang trifft der Frust der Menschen über mangelnden Impfstoff, umständlic­he Terminverg­abe, umstritten­e Impfungen außerhalb der Prioritäte­nliste und besetzte Telefon-Anmeldenum­mern vor allem die Politik und nicht Mediziner.

Viele schauen derzeit nach Norddeutsc­hland: Beim „Bremer Modell“sorgen Unternehme­n dafür, dass in den wegen der Pandemie leer stehenden Messehalle­n mit großem Tempo geimpft werden soll – bis zu 25 000 Bremer am Tag. Die beteiligte­n Unternehme­n um den Bremer Hotelier und Immobilien­entwickler Kurt Zech haben 120 Mitarbeite­r für profession­elle Callcenter und die Terminverg­abe abgestellt, maximal eineinhalb Minuten Wartezeit soll es geben.

Die Bremer AOK unterstütz­t das Projekt, indem sie das Einladungs­management für Risikogrup­pen übernimmt, die bei ihr versichert sind. „Die AOK Bremen lädt seit Donnerstag jene ihrer Versichert­en zur Corona-Impfung ein, die Vorerkrank­ungen oder Behinderun­gen haben“, sagt Sprecher Jörn Hons. „Die ersten 4000 Einladunge­n sind an AOK-Versichert­e im Alter zwischen 75 und 79 Jahren geschickt worden.“Die Betroffene­n erhalten einen Zahlencode, der eine sehr schnelle Terminverg­abe per Telefon oder Internet möglich macht.

Dieses System könnte auch schnell auf die Hausarztpr­axen ausgeweite­t werden, um die Mediziner von Bürokratie und nötigen Attesten für Patienten zu entlasten. Das Modell funktionie­rt, da fast jeder zweite Risikopati­ent in Bremen bei der AOK versichert ist. Andere Kassen zögern noch zu folgen.

Halbe Milliarde Euro Kosten für impfende Ärzte erwartet

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