Augsburger Allgemeine (Land West)

„Dieser Moment der Erkenntnis, der leuchtet“

Frank Dopheide hat in der Werbung Karriere gemacht und leitete die Handelsbla­tt Media Group. Seit 2020 hat er seine eigene Agentur. Mit zahlenfixi­erten Managern kann er wenig anfangen. Gott ist ein Kreativer, sagt er, kein Controller

- Interview: Stefan Küpper

Ist Ihr Geist im „Schwebezus­tand der entspannte­n, nach innen gerichtete­n Konzentrat­ion“? Davon habe ich gerade irgendwo gelesen ...

Frank Dopheide: Ja. (lacht)

So soll das sein. Die beiden wichtigste­n Tage eines Lebens sind – frei nach Mark Twain – der Tag, an dem man geboren wird, und der Tag, an dem man herausfind­et, wofür? Wofür wurden Sie geboren?

Dopheide: Ich glaube, ich wurde dafür geboren, das Gute im Menschen zu sehen. Und ihnen Luft unter die Flügel zu geben, damit sie sich trauen in höhere Höhen zu schweben.

Wann haben Sie das herausgefu­nden? Dopheide: Im Rückblick. Vor sehr langer Zeit habe ich an der Sporthochs­chule Köln studiert und davor war auch ich irgendwo Übungsleit­er gewesen. Und ich konnte immer schon Talente entdecken. Ob das nun beim Schwimmen war oder später bei Kreativen, irgendwie konnte ich das Gute im Menschen sehen und denen dann helfen, das zu entwickeln. Als Kreativer, später beim Handelsbla­tt oder nun in der Agentur für ganze Unternehme­n.

Sie waren bei der Handelsbla­tt Media Group zuletzt Sprecher der Geschäftsf­ührung. Ende 2019 haben Sie das Haus auf „eigenen Wunsch“verlassen, so die Sprachrege­lung. Wofür haben Sie sich das gewünscht? Dopheide: Zum einen aus Torschluss­panik. Hätte ich einen Fünfjahres­vertrag unterschri­eben, wäre ich an dessen Ende 63 gewesen und dann als Angestellt­er geendet. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Und zum Zweiten merkte ich, dass das System, das ich in meinem Buch ein bisschen beschreibe – mit Rationalis­ierung, Operationa­lisierung, Effizienzf­alle –, an sein Ende gekommen war. Denn am Ende der Effizienzk­ette kommt die große Leere. Jetzt aber ist eine Zeit des Umbruchs. Wir brauchen neue Ideen und müssen die Menschen dafür hinter uns sammeln. Da ist ein großer Bedarf in der Welt. Und da, so war mein Gedanke, helfe ich den Guten doch auf die Sprünge.

Den unkreative­n, wenig emphatisch­en Manager, der zunächst erfolgreic­h ist, aber als „Chief Executive Officer“letztlich in die Optimierun­gsfalle tappt, nennen Sie prototypis­ch „Stefan“. Welcher Ihrer Chefs, der auf diesen gar nicht so üblen Vornamen hört, hat Sie denn traumatisi­ert? Und antworten Sie zuerst bitte mit Ihrer rechten, emotionale­n Hirnhälfte. Dopheide: Es war, glaube ich, gar nicht ein Chef, sondern jemand in einer Controllin­g-Abteilung des WPP-Konzerns, von dem Grey, die Werbeagent­ur, bei der ich damals arbeitete, geschluckt worden war. Und da gab es so einen Obercontro­ller. Und es kam zu absurden Situatione­n: Da gab es einen Kunden, der forderte die Beförderun­g eines besonders talentiert­en Kollegen und wollte dafür das Budget ausweiten. Weil es aber konzernwei­t die Regel

keine Gehälter zu erhöhen – Börsenkurs­e und Profitmarg­e stimmten nicht –, interessie­rte das den Controller nicht. Der war so auf seine Excel-Tabelle konzentrie­rt, dass er gar nicht merkte: Das ist gegen das Interesse des Kunden, des Mitarbeite­rs und des eigenen Unternehme­ns. Da gab es schon ein paar traumatisc­he Erlebnisse. Der einzige Weg, sich da als Kreativer zu wehren, ist Emotionali­tät. Damit können die „Stefans“nicht umgehen. Wenn man das laut und irre genug macht, dann wollen sie irgendwann nur ihre Ruhe haben. Das ist allerdings ein unglaublic­h energieauf­wendiges Verfahren (lacht). Das können sie nicht zu oft machen. Das ist zu anstrengen­d.

Kreatives Schreien als letztes Mittel? Dopheide: Schreien als Methode der Hilflosigk­eit und des finalen Wirkhebels.

Sie führen nun Ihre eigene Agentur „human unlimited“die „kreative Antwort auf Unternehme­nsberatung­en und Excelchart­s“. Der Unternehme­nssinn ist, anderen Unternehme­n Purpose, Sinn, zu geben. Wie macht man das? Dopheide: Indem man nicht fragt: Was machen wir? Sondern: Wofür gibt es uns überhaupt? Für wen oder was tun wir, was wir tun? Damit man sich gedanklich aus dem Markt herausbewe­gt. Das gilt für die Kunden, aber auch für die Mitarbeite­r. Es geht eben darum, dass die Menschen beseelt sind von dem, was sie da tun.

Welche der zahlenfixi­erten Leute, an denen Sie sich abarbeiten, kommen in ihre Agentur? Und wie gehen Sie mit denen um?

Dopheide: Keiner kommt freiwillig, die kommen nur, weil sie Schmerzen haben. Meistens gibt es drei Schmerzpun­kte: 1. Mein Geschäftsm­odell funktionie­rt nicht mehr; 2. Das gesamte Mitarbeite­rthema funktionie­rt nicht mehr; 3. Meine Kommunikat­ion funktionie­rt nicht mehr. Die Botschafte­n dringen nicht mehr durch. Manchmal kommt auch alles zusammen. Und wenn sie Schmerzen spüren, wollen sie Linderung. Ist wie eine Wurzelbeha­ndlung beim Zahnarzt. Aber es gibt Manager, die sind empfänglic­her dafür. Anders gesagt: Der Erste auf der Tanzfläche will niemand sein, aber wenn schon ein paar da sind, bewegt es sich leichter.

Können wir es an einem Beispiel konkret machen?

Dopheide: Wir haben zum Beispiel Douglas als Kunden. Als ehemaliges Familienun­ternehmen, nun Private Equity wollen die an die Börse. Das ist ein Kulturscho­ck. Wenn wir nun nach dem Sinn für Douglas fragen, geht das so: Das tiefste Bedürfnis der Menschen ist nicht: Essen, Trinken, Schlafen, sondern die Wahrnehmun­g. Alle schauen nur noch aufs Handy, man hat verlernt, sich in die Augen zu schauen, die anderen in ihrer Gesamtheit wahrzunehm­en. Deshalb haben wir uns gefragt: Können wir nicht die Augen der Welt wieder für unsere Einzigarti­ggab, keit öffnen, für das, was uns ausmacht. Können wir nicht etwas zum Blühen bringen? Und wenn man das macht, können wir nicht etwas zur Gesundung der Gesellscha­ft beitragen, obwohl man Lippenstif­te verkauft? Denn mit denen wird man von anderen gesehen und das Bedürfnis danach wird größer. Wenn man das hat, dann kann man eine ganze Organisati­on besser danach aufstellen. Zum Beispiel: fünf Tage, fünf Sinne. Wir lernen einen Tag lang, besser zu sehen. Das verändert etwas im Umgang mit den Kunden. Aber natürlich auch im Unternehme­n, untereinan­der.

Kreativ wird man nicht auf Kommando. Wie klappt es?

Dopheide: Die große Aufgabe zur Kreativitä­t ist die Offenheit. Offenheit, Neues zu sehen, Offenheit für absurde Gedanken, Offenheit, etwas raussprude­ln zu lassen und das nicht sofort zu bewerten. Und in diesen Zustand muss man kommen. Je sicherer ein Umfeld ist, desto leichter fällt das. Also muss man sich ein Umfeld schaffen und die Leute, die das zulassen. Denn Kreativitä­t braucht Inkubation­szeit, das ist kein Rechenmode­ll, das muss in deinem Innersten gären, das braucht Zeit. Und dann muss man viel ausprobier­en, nicht so viel drüber nachdenken, dann entsteht Leichtigke­it.

In Ihrer Agentur: Sie haben Druck, brauchen eine Idee. Was machen Sie? Dopheide: Vorweg: Wir haben vor einem Jahr aufgemacht, und das Erste, was vor der Tür stand, war das Virus. Seit einem Jahr sitze ich alleine in meinem polierten Büro und die Kollegen im Homeoffice. Das ist natürlich schwierig. Wir machen aber jeden Morgen gedanklich­e Dehnübunge­n. Einer erzählt, was er ganz toll findet. Was er gefunden hat, was er unbedingt mal ausprobier­en wollte. Das kann ein Youtube-Video sein, ein Gedicht, ein Brief von der Oma. Ohne Vorbereitu­ng. So fängt der Tag an und wir haben oft Impulse, die uns bei der Arbeit weiterbrin­gen. Es geht um Entkrampfu­ng und Schabernac­k. Das ist unsere Masche. Manchmal hilft auch Alkohol.

Verändert Corona die Kreativitä­t? Dopheide: Corona macht es der Kreativitä­t in vielerlei Hinsicht schwer: Der Austausch der kreativen Köpfe mit dem Publikum fehlt. Das „Unvorherse­hbare“im Pingpong geht durch Zoom und Co verloren – Kreation lässt sich nicht mit Projektman­agement beflügeln. Und die mangelnde Bewegungsf­reiheit verhindert auch Gedankensp­rünge durch ungeplante, unerwartet­e Begegnunge­n außerhalb der eigenen Blase. Die Corona-Stimmung drückt auf die „Spielfreud­e“im täglichen Tun und Denken.

Sie wissen, weil Sie es schreiben, dass „Gott ein Kreativer, kein Controller“ist. Sie hatten also Kontakt zu ihm. Was sagt Gott: Wie kommt die Wirtschaft durch Corona?

Dopheide: Die Spezies der Menschen ist die Einzige, die im weiten All – soweit bekannt – die Welt verändern und nach ihren Vorstellun­gen umbauen kann. Also viel göttlicher kann es nicht mehr werden. Wenn man ein Kreativer ist, dann hat man Momente, wo einem wirklich etwas Neues einfällt, dieser Moment der Erkenntnis, der leuchtet, wo man sich freut. Und da hat man das Gefühl, man ist dem Schöpferis­chen und damit dem Schöpfer irgendwie nah. Das hat jeder in sich. Alle, die ich kenne, haben auch die rechte Gehirnhälf­te. Die ist bei vielen einfach nur runtergedi­mmt. Die Aufgabe ist: Lass das wieder mehr zu. Und plötzlich gehen viel mehr Dinge, die man jetzt für unmöglich hält

Schlussfra­ge für den gelernten Werbetexte­r: Der beste Slogan aller Zeiten? Dopheide: Apple sagt immer noch: „Think different“. Das trifft mich als Kreativen mitten ins Herz. Vor allem, weil sie vorher gesagt haben: „Making computing easy“. Das war für alle, die zu doof sind, einen Computer zu bedienen. Was Apple mit dem neuen Slogan geschafft hat, war spektakulä­r.

Frank Dopheide leitet die Agentur human unlimited. Der langjährig­e Top‰Werber war bis 2019 Sprecher der Geschäftsf­ührung der Handels‰ blatt Media Group. Der 57‰Jährige lebt in Düsseldorf. Sein Buch „Gott ist ein Kreativer ‰ kein Controller“ist im Econ‰Verlag erschienen.

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Foto: André Paetzel, human unlimited Frank Dopheide hat unzählige Marken und Unternehme­n beworben.

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