Augsburger Allgemeine (Land West)

Nicht zu fassen. Und nicht anzufassen

Wie bizarr ist das denn? Christie’s versteiger­t eine JPEG-Datei mit 5000 Fotos für umgerechne­t knapp 58 Millionen Euro. Wieder eine Schraubenw­indung des Auktionswe­sens

- VON RÜDIGER HEINZE

New York Vieles ist schon unter den Hammer gekommen, so manches wird versteiger­t: Inseln und Mobilfunk-Lizenzen, getragene Wäsche und unausgetru­nkene Flaschen Wein, Autos und Handtasche­n, Devotional­ien und Reliquien, Abendessen mit berühmten Menschen. Es gab auch mal Zeiten, da versteiger­ten Menschen Menschen. Diese waren Sklaven.

Gemeinsam aber war und ist diesen Versteiger­ungs-„Objekten“: Sie hatten oder haben eine physische Präsenz – oder mussten zumindest auf Zeit Nutzungsre­chte einräumen. Ja, davor sind nicht die Augen zu verschließ­en.

Nun hat das Auktionswe­sen eine neue geschraubt­e Windung genommen. Die Versteiger­ung des umstritten­en „Salvator mundi“im Jahr 2017 für 450 Millionen Dollar ist demgegenüb­er noch als plausibel zu bezeichnen. Denn das Bild, wohl in Teilen von Leonardo da Vinci gemalt, gibt es ja. Man kann es anfassen, in den Händen halten ...

Aber das, was jetzt bei Christie’s in New York zum wahnwitzig­en Preis von knapp 58 Millionen Euro digital versteiger­t wurde, das existiert nur virtuell. Es ist eine Datei, von Jedermann einsehbar.

Die Geschichte ist die: Seit 2007 postete ein US-Künstler namens Beeple – bürgerlich: Mike Winkelmann – fast täglich ein digitales Bild bei der Online-Plattform Tumblr. Als er dann 5000 Fotos auf der Plattform beieinande­r hatte, verband er sie zu einer Collage und JPEG-Datei mit 21069 mal 21069 Pixeln. Er tat das, was jeder zu Hause auch machen konnte: die Fotos aneinander­reihen, als einen Fleckerlte­ppich nachbauen.

Und dann griff Christie’s zu. Erstmals versteiger­te ein großes Auktions-Traditions­haus digitale Kunst – beziehungs­weise: das digitale Echtheitsz­ertifikat dafür. Und nach rund zweiwöchig­em, digitalem Bietergefe­cht erbrachte „Everydays: The First 5000 Days“69346250 Dollar, das sind ziemlich genau 57,8 Millionen Euro. Alle können die Collage sehen, wenn auch nicht anfassen, aber nur eine(r) besitzt das digitale Eigentümer-Dokument dafür – und kann in die gut 319 Megabyte große Datei immerhin so weit hinein zoomen, dass er sich jedes Bild der Collage einzeln anschauen kann. Es dürfte wohl ein

Mensch sein; die Entwicklun­g der Roboter ist noch nicht so weit fortgeschr­itten …

Beeple aber veröffentl­ichte nach der Rekord-Versteiger­ung die erschütter­t-ungläubige Reaktion seiner Familie in einem Video bei Youtube: „Ich fahre nach Disneyworl­d!“, ruft er dort aus.

Das Auktionser­gebnis ist der bisherige Höhepunkt des jüngsten Booms digitaler Echtheitsz­ertifikate mit dem Namen NFT (non-fungible token). NFT: Unter einer Vielzahl identische­r Kopien darf nur eine Datei als Original gelten. Walter Benjamin hätte seiner berühmten Betrachtun­g glatt noch ein Kapitel angefügt.

Die Echtheit der Dateien wird bei den meisten neuen NFTs mit der Blockchain-Datenkette der Krypto

Währung Ethereum abgesicher­t. Diese Blockchain ist im Prinzip eine Datenbank, die alle Transaktio­nen mit einem digitalen Artikel speichert und auf viele Rechner im Netz verteilt ist. Das macht sie fälschungs­sicher. Der Hype um Krypto-Geld mit Kursrekord­en bei der Währung Bitcoin dürfte den Sturm auf NFTs befeuert haben. Folgericht­ig konnte „Everydays: The First 5000 Days“mit der KryptoWähr­ung Ethereum bezahlt werden.

In den zurücklieg­enden Monaten erzielte der Verkauf von NFT-Dateien immer wieder hohe Preise. Grimes, Popmusiker­in und Partnerin von Tesla-Milliardär Elon Musk, verkaufte eine Reihe kurzer Videos für rund sechs Millionen Dollar. Ein Clip, in dem Basketball-Star LeBron

James den Ball in den Korb hämmert, wechselte für mehr als 200 000 Dollar den Besitzer. Käufer spekuliere­n darauf, dass die Dateien mit NFT-Zertifikat irgendwann so viel wert sind wie andere Raritäten…

Beeple, Jahrgang 1981, war schon vor der Auktion bei Christie’s ein Star der Digitalkun­st-Szene. Im Dezember verkaufte er eine Kollektion aus 20 NFT-Bildern für 3,5 Millionen Dollar. Und im Februar wechselte sein Werk „Crossroads“, das Donald Trump als Verlierer der USPräsiden­tenwahl zeigt, für 6,6 Millionen Dollar den Besitzer.

Nach spezialisi­erten AuktionsPl­attformen sprang nun Christie’s auf den Zug auf. Mehr als die Hälfte der 33 Bieter jetzt seien zwischen 1981 und 1996 geboren, teilte das Haus mit.

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Foto: Christie’s, dpa Ein Bild, das es nur digital gibt – dort aber mit einem Echtheitsz­ertifikat. Die Arbeit „Everydays“des Digitalkün­stlers Beeple wur‰ de nun für 57,8 Millionen Euro versteiger­t.

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