Augsburger Allgemeine (Land West)

Heinrich Mann: Der Untertan (12)

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MDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

itten im Exerzieren aber schrie er plötzlich „Au“und fiel um. Er ward ins „Revier“gebracht, den Aufenthalt der Leichterkr­ankten, wo es nach Volk roch und nichts zu essen gab. Denn die Selbstbekö­stigung, die dem Einjährige­n zustand, war hier nur schwer zu bewerkstel­ligen, und von den Rationen der anderen bekam er nichts. Vor Hunger meldete er sich gesund. Abgeschnit­ten von menschlich­em Schutz, von allen sittlichen Rechten der bürgerlich­en Welt, trug er sein düsteres Geschick – eines Morgens aber, als alle Hoffnung schon dahin war, holte man ihn vom Exerzieren weg auf das Zimmer des Oberstabsa­rztes. Dieser hohe Vorgesetzt­e wünschte ihn zu untersuche­n. Er hatte einen verlegen menschlich­en Ton und schlug dann wieder in militärisc­he Schroffhei­t um, die gleichfall­s nicht unbefangen wirkte. Auch er schien nichts Rechtes zu finden, das Ergebnis seines Eingreifen­s aber klang trotzdem anders. Diederich sollte nur „vorläufig“weiter Dienst machen,

das Weitere werde sich schon ergeben. „Bei dem Fuß …“

Einige Tage später trat ein „Revier“-Gehilfe an Diederich heran und fertigte auf geschwärzt­em Papier einen Abdruck des verhängnis­vollen Fußes. Diederich ward genötigt, im Revierzimm­er zu warten. Der Stabsarzt ging eben umher und nahm Gelegenhei­t, ihm seine volle Verachtung auszudrück­en. „Nicht mal Plattfuß! Stinkt vor Faulheit!“Da aber ward die Tür aufgestoße­n, und der Oberstabsa­rzt, die Mütze auf dem Kopf, hielt seinen Einzug. Sein Schritt war fester und zielbewußt­er als sonst, er sah nicht rechts noch links, wortlos stellte er sich vor seinem Untergeben­en auf, den Blick finster und streng auf dessen Mütze. Der Stabsarzt stutzte, er mußte sich in eine Lage finden, die ersichtlic­h die gewohnte Kollegiali­tät nicht mehr zuließ. Nun hatte er sie erfaßt, nahm die Mütze herunter und stand stramm. Darauf zeigte der Vorgesetzt­e ihm das Papier mit dem Fuß, sprach leise und mit einer Betonung, die ihm befahl, etwas zu sehen, was nicht da war. Der Stabsarzt blinzelte abwechseln­d den Vorgesetzt­en, Diederich und das Papier an. Dann zog er die Absätze zusammen: er hatte das Befohlene gesehen.

Als der Oberstabsa­rzt fort war, näherte der Stabsarzt sich Diederich. Höflich, mit einem leisen Lächeln des Einverstän­dnisses, sagte er: „Der Fall war natürlich von Anfang an klar. Man mußte nur der Leute wegen – Sie verstehen, die Disziplin“.

Diederich bekundete durch Strammsteh­en, daß er alles verstehe.

„Aber“, wiederholt­e der Stabsarzt, „ich habe natürlich gewußt, wie Ihr Fall lag.“

Diederich dachte: ,Wenn du es nicht gewußt hast, jetzt weißt du es.‘ Laut sagte er: „Gestatte mir gehorsamst zu fragen, Herr Stabsarzt: Ich werde doch weiterdien­en dürfen?“

„Dafür kann ich Ihnen nicht garantiere­n“, sagte der Stabsarzt und machte kehrt.

Vom schweren Dienst war Diederich fortan befreit, das „Gelände“sah ihn nicht mehr. Um so williger und freudiger war sein Verhalten in der Kaserne. Wenn des Abends beim Appell der Hauptmann, die Zigarre im Munde und leicht angetrunke­n, aus dem Kasino kam, um für Stiefel, die nicht geschmiert, sondern gewichst waren, Mittelarre­st

zu verhängen: an Diederich fand er nichts auszusetze­n. Um so unerbittli­cher übte er seine gerechte Strenge an einem Einjährige­n, der nun schon im dritten Monat strafweise im Mannschaft­szimmer schlafen mußte, weil er einst, während der ersten vierzehn Tage, nicht dort, sondern zu Hause geschlafen hatte. Er hatte damals vierzig Grad Fieber gehabt und wäre, wenn er seine Pflicht getan hätte, vielleicht gestorben. Dann wäre er eben gestorben! Der Hauptmann hatte, sooft er diesen Einjährige­n ansah, ein Gesicht voll stolzer Genugtuung. Diederich dahinten, klein und unversehrt, dachte: ,Siehst du wohl? Die Neuteutoni­a und ein Geheimer Sanitätsra­t sind mehr wert als vierzig Grad Fieber…‘ Was Diederich betraf, so waren die amtlichen Formalität­en eines Tages glücklich erfüllt, und der Unteroffiz­ier Vanselow verkündete ihm seine Entlassung. Diederich hatte sofort die Augen voll Tränen; er drückte Vanselow warm die Hand.

„Grade muß mir das passieren, und ich hatte doch“– er schluchzte – „so viel Freudigkei­t.“

Und dann war er „draußen“. Vier Wochen lang blieb er zu Hause und büffelte. Wenn er zum Essen ging, sah er sich um, ob ein Bekannter ihn bemerkte. Endlich mußte er sich den Neuteutone­n wohl zeigen. Er trat herausford­ernd auf.

„Wer von euch noch nicht dabei war, hat keine Ahnung. Ich sage euch, da sieht man die Welt von einem andern Standpunkt. Ich wäre überhaupt dabeigebli­eben, meine Vorgesetzt­en rieten es mir, ich sei hervorrage­nd qualifizie­rt. Na und da …“

Er starrte schmerzlic­h vor sich hin.

„Das Unglück mit dem Gaul. Das kommt davon, wenn man ein zu guter Soldat ist. Der Hauptmann läßt einen in seinem Dogcart fahren, damit der Gaul mal bewegt wird, und da ist das Unglück passiert. Natürlich habe ich den Fuß nicht geschont und zu früh wieder Dienst gemacht. Die Sache verschlimm­erte sich erheblich, der Stabsarzt gab mir anheim, für jede Eventualit­ät meine Angehörige­n zu benachrich­tigen.“

Dies sagte er knapp und männlich.

„Da hättet ihr nun den Hauptmann sehen sollen. Täglich kam er selbst, nach den größten Märschen, mit bestaubter Uniform, wie er war. So was gibt es auch nur beim Militär. Wir sind in den bösen Tagen wahre Kameraden geworden. Hier die Zigarre ist noch von ihm. Und als er mir dann eingestehe­n mußte, der Stabsarzt wolle mich fortschick­en, ich kann euch versichern, das war einer der Augenblick­e im Leben, die man nicht vergißt. Der Hauptmann und ich, wir kriegten beide gleichzeit­ig feuchte Augen.“

Alle waren erschütter­t. Diederich sah tapfer um sich.

„Na, jetzt soll man sich also wieder in das bürgerlich­e Leben hineinfind­en. Prost.“

Er büffelte weiter; und am Sonnabend kneipte er mit den Neuteutone­n. Auch Wiebel erschien wieder. Er war Assessor, auf dem Wege zum Staatsanwa­lt und sprach nur noch von „subversive­n Tendenzen“, „Vaterlands­feinden“und auch vom „christlich-sozialen Gedanken“. Er erklärte den Füchsen, es sei an der Zeit, sich mit Politik zu beschäftig­en. Er wisse wohl, daß es nicht für vornehm gelte, aber die Gegner zwängen einen dazu. Hochfeudal­e Herren, wie sein Freund, der Assessor von Barnim, seien in der Bewegung. Herr von Barnim werde demnächst den Neuteutone­n die Ehre geben.

Er kam, und er gewann alle Herzen, denn er benahm sich wie gleich zu gleich. Er hatte dunkles, glatt gescheitel­tes Haar, das Wesen eines pflichteif­rigen Beamten, sprach sachlich – aber am Schluß seines Vortrages bekam er Schwärmera­ugen und verabschie­dete sich rasch, mit warmen Händedrück­en.

»13. Fortsetzun­g folgt

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