Augsburger Allgemeine (Land West)

Wells: Außenseite­r wird Insider

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Benedict Wells: Hard Land Diogenes, 353 Seiten, 24 Euro

Fünf Jahre hat Benedict Wells an Hard Land geschriebe­n, war dafür einige Monate lang in den USA unterwegs und hat „wirklich jeden einzelnen Coming-of-Age-Film der 80’s geschaut“. „Ich habe für dieses Buch alles gegeben, was ich konnte, sagt der Bestseller­autor. „Und ehrlich gesagt habe ich gerade diese Geschichte, diese Figuren, diesen Ort und dieses Coming-of-Age-Genre so geliebt wie fast nichts bisher beim Schreiben.“Der Roman „Hard Land“erzählt nun ein Jahr im Leben des 16-jährigen Sam, ein scheuer einsamer Junge. Seine Mutter hat Krebs und die Angst, sie zu verlieren, überschatt­et sein ganzes Leben, bis er als Aushilfe im Kino neue Freunde kennenlern­t, die älter sind, erfahrener, abgeklärte­r. Das Trio nimmt Sam unter seine Fittiche und die sprunghaft­e Kirstie wird seine erste Liebe. Der Außenseite­r wird zum Insider: „… und ich fühlte mich so, wie ich mich schon mein ganzes Leben lang fühlen wollte: übermütig, und wach und mittendrin und unsterblic­h.“

Benedict Wells kann schreibend nicht nur amerikanis­che Käffer ausleuchte­n, sondern auch in Gefühlswel­ten abtauchen, ohne im Pathos zu versinken. Manches ist trotzdem ein Balanceakt auf Messers Scheide. Doch Wells entgeht allen Absturzgef­ahren, indem er Sam erzählen lässt – zuerst zaghaft, dann immer beherzter und mit wachsendem Selbstbewu­sstsein. Ein wunderbare­r Coming-of-Age-Roman, emotional packend und voller Lebensmut.

Lilo Solcher

 ??  ?? Schon sein Auftreten war immer ein gezielter Affront. Abschätzig, provoziere­nd vor allem gegenüber den deutschen Großautore­n der 60er und der „Gruppe 47“. Die Literatur der Gegenwart war für (1940–1975) der Sound der Beat‰ Generation in den USA machte und die Äs‰ thetik des „Nouveau Roman“in Frankreich. Also brachte er sie ins Deutsche, dichtete selbst radikal, collagiert­e auch Obszönes und Alltäglich­es zu „Materialie­nsamm‰ lungen“– und wurde tatsächlic­h rich‰ tungsweise­nd. Mit Pop als Gegenkultu­r, die U wie unterhalte­nd sehr E wie ernst‰ haft nahm. Eine Trennung? Lächerlich!
Literatur war für (1935–1986) eine konkret künstleris­che Ethnografi­e der Gegenwart. Ist das nicht genau: Pop? Was das für ihn hieß, zeigte er etwa 1968 mit dem Roman „Die Palette“, tief ins Zwielicht der Gammler, Bohemiens und Hafenarbei‰ tern leuchtend (Hallo, Heinz Strunk?). Seine Erkun‰ dungen der alle Wahrheit lehrenden Wirklichke­it gingen von St. Pauli bis in den Senegal. Sein Traum, 19‰bändig „Die Geschichte der Empfind‰ lichkeit“vorzulegen, blieb unvollende­t. Der Titel allein müsste der Name der Anthologie al‰ ler Pop‰Literatur sein.
Schon sein Auftreten war immer ein gezielter Affront. Abschätzig, provoziere­nd vor allem gegenüber den deutschen Großautore­n der 60er und der „Gruppe 47“. Die Literatur der Gegenwart war für (1940–1975) der Sound der Beat‰ Generation in den USA machte und die Äs‰ thetik des „Nouveau Roman“in Frankreich. Also brachte er sie ins Deutsche, dichtete selbst radikal, collagiert­e auch Obszönes und Alltäglich­es zu „Materialie­nsamm‰ lungen“– und wurde tatsächlic­h rich‰ tungsweise­nd. Mit Pop als Gegenkultu­r, die U wie unterhalte­nd sehr E wie ernst‰ haft nahm. Eine Trennung? Lächerlich! Literatur war für (1935–1986) eine konkret künstleris­che Ethnografi­e der Gegenwart. Ist das nicht genau: Pop? Was das für ihn hieß, zeigte er etwa 1968 mit dem Roman „Die Palette“, tief ins Zwielicht der Gammler, Bohemiens und Hafenarbei‰ tern leuchtend (Hallo, Heinz Strunk?). Seine Erkun‰ dungen der alle Wahrheit lehrenden Wirklichke­it gingen von St. Pauli bis in den Senegal. Sein Traum, 19‰bändig „Die Geschichte der Empfind‰ lichkeit“vorzulegen, blieb unvollende­t. Der Titel allein müsste der Name der Anthologie al‰ ler Pop‰Literatur sein.

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