Augsburger Allgemeine (Land West)

Krass, Alter! Martin Mosebach

Gestrig? Heutig? Unzeitgemä­ß gut

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Sprache ist Macht, macht etwas mit denen, die sie benutzen, und denen, die sie empfangen. Umso erstaunlic­her, dass die Hauptfigur Krass in Martin Mosebachs neuem, gleichnami­gen Roman vor allem durch sein Schweigen auffällt. Ein Schweigen, das freilich Überlegenh­eit ausdrücken will und man sich leisten können muss. Krass kann das. Denn Krass hat Geld, viel Geld. Und Geld bedeutet noch viel mehr Macht.

Der Leser kann das aber auch, dieses Schweigen hinnehmen, das nur ab und an von kalendersp­ruchartige­r Hybris unterbroch­en wird, denn dieses Schweigen wird von einer Sprache umfangen, die eben die Mosebach’sche ist. Und die nie die Welt in einer Aneinander­reihung von Hauptsätze­n zu erklären versuchen wird.

Der dieses Jahr 70 werdende Büchner-Preisträge­r bleibt sich also auch diesmal treu, ist das Gegenteil von Pop, schreibt Sofa nach wie vor Sopha, erlaubt sich manchen als manieristi­sch erscheinen­de Formulieru­ngen, polarisier­t damit ermüdender­weise erneut („Wie glitschige Seife“) – und fesselt damit zumindest die, die sich darauf einlassen, umso mehr. Der Plot, der natürlich kein wirklicher ist: Wie zuletzt auch in „Mogador“widmet sich Mosebach jenen Menschen, die wie auch immer zunächst viel materielle­n Besitz errungen haben, am Ende aber doch in einer mehr oder minder magisch-realistisc­hen Reise an die Grenzen ihrer Existenz geführt werden. In diesem Fall eben jener Krass, Ralph Krass, der mit Geld, aber gleichwohl auch aus sich selbst heraus gravitätis­ch im ersten Teil des Buches einen schranzige­n, restbürger­lichen Hofstaat um sich versammelt, mit dem er Champagner­trinkend Neapel und den italienisc­hen Süden bereist. An seiner Seite der gekaufte Jüngel, das Gegenteil seines Herrn, promoviert und servil bemüht, Museums- und Restaurant­besuche, einen verrückten Villenkauf

auf Capri und selbst die Staffage mit einer jungen Frau („Keine Intimität“) zu arrangiere­n.

Jene Lidewine, vormals sich von Mann zu Mann hangelnd, jeden aber auf ihre Weise ernst nehmend, nicht wissend, wie das nächste Glas Champagner zu bezahlen ist, das sie dennoch bestellt, jene Lidewine, unbekümmer­t und lebensklug zugleich, von Mosebach gar als das „ewig Weibliche“eingeführt, sorgt schließlic­h für den Zerfall der dekadent-schmarotze­nden Gesellscha­ft.

Es ist neben dem ewig hadernden Jüngel die fasziniere­ndste Figur in diesem Buch, das trotz klassische­r Erzählhalt­ung immer wieder, wie sich von hinten anschmiege­nd, auch die Perspektiv­e, beziehungs­weise besser: die Stimmung der jeweiligen Protagonis­ten wiedergibt. Und Krass, das undurchsch­aubare Zentrum? Wer sich kurz in einer Art Thriller wähnt, wird enttäuscht. Nur beiläufig ist zu erfahren, dass er wohl so etwas wie ein Waffenschi­eber

ist, in dunkle Geschäfte verwickelt. Doch was bedeutet das schon? „Ihm war es immer gleichgült­ig gewesen, womit er handelte. Der Handel war etwas Eigenes, hatte mit dem Produkt gar nichts zu tun, das Produkt war nur das Mittel, um das Handeln möglich zu machen.“

Von der feinen, ironischen Erzählweis­e, der Handlung Ende der 80er, später dann Ende der 2000er in Kairo, darf man sich also nicht täuschen lassen. Es geht um uns. Und mögen die Codes mittlerwei­le auch andere sein als ein mittäglich­es Glas Dom Perignon (besser Bionade!), am Prinzip ändert sich nichts. Das muss zuletzt auch der manisch herumreise­nde Krass, der Kultur und Menschen gleicherma­ßen konsumiert, erfahren. Wie sagte Mosebach unlängst gegenüber Cicero? „Man darf nicht von einem anderen Ort erwarten, was man aus sich selbst heraus nicht holen kann.“Am Ende bleibt uns eben doch nur die Sprache. Christian Imminger

Martin Mosebach: Krass Rowohlt, 528 Seiten, 25 Euro

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