Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das geht Richtung Politikver­sagen“

Thea Dorn Ihr Buch zu Corona heißt „Trost“– erzählt aber auch viel von Wut. Ein Gespräch über Leben und Tod

- Interview: Wolfgang Schütz

Frau Dorn, „Trost“ist Ihr Buch zu Corona. Sie haben in Debatten auch immer wieder mit Sachbücher­n Stellung bezogen, wie zum Patriotism­us mit „Deutsch, nicht dumpf“. Warum ist es in diesem Fall ein Roman? Thea Dorn: Mir war schnell klar, dass ich zu diesem Thema keinen Essay schreiben will. Corona hat uns in eine tragische Situation gestürzt: Die Maßnahmen, die geboten sind, um die Pandemie einzudämme­n, verletzten massiv andere Werte wie etwa Freiheit und Geselligke­it. Und, was noch schlimmer ist, sie kollidiere­n mit einem elementare­n menschlich­en Gebot wie dem, Sterbende und Trauernde nicht allein zu lassen. Das alles hätte ich nicht zurückgele­hnt mit kühler Feder analysiere­n können, das ist hochemotio­nal. Die Tragödie ist die Stunde der Literatur.

Es ist ein Brief-Roman, tatsächlic­h hochemotio­nal. Ihre Hauptfigur Johanna ist verzweifel­t, weil ihre Mutter an Corona gestorben ist. Ist wütend, weil diese unvorsicht­ig war. Wütend, weil sie nicht zu ihr ans Sterbebett durfte. Sowieso wütend auf Politik und Pandemie-Maßnahmen. Wütend auf die Corona-Leugner, aber auch darauf, dass Kritiker der Maßnahmen sofort als Leugner behandelt werden… Wie viel Thea Dorn steckt in ihr? Dorn: Johanna hat insofern wenig mit mir zu tun, als meine Erfahrunge­n beim Sterben meiner Mutter gänzlich andere sind. Meine Mutter ist vor 13 Jahren gestorben, ich konnte bei ihr sein. Aber bereits im vergangene­n April habe ich von Fällen unmenschli­cher Isolation gehört, von Angehörige­n, die nicht zu ihren sterbenden Liebsten gelassen wurden, aber auch von Menschen, die in Heimen isoliert wurden. Wenn sie an Demenz erkrankt waren, konnten sie nicht einmal verstehen, warum ihre Angehörige­n nicht mehr zu ihnen kamen, wurden noch unruhiger, noch verwirrter – all diese Berichte haben mich vor eine Frage gestellt, die mich nicht mehr losgelasse­n hat: Wie würde ich reagieren, wenn ich wüsste, da, in diesem Krankenhau­s, liegt ein mir lieber Mensch im Sterben, und man lässt mich nicht zu ihm? Deshalb habe ich Johanna erfunden. Johanna ist prinzipiel­l ein rationaler Typ, sie weiß, dass Isolations­maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nötig sind. Dennoch ist sie verzweifel­t. Sie erlebt die ganze Widersprüc­hlichkeit der Situation, die Tragödie, mit größter Wucht: Erst hat sie durch die Pandemie ihre Mutter verloren, dann berauben die Maßnahmen gegen die Pandemie sie fast aller Trostmögli­chkeiten, fast aller sozialen Kontakte. Es scheint mir menschlich deshalb verständli­ch, dass sie in ihrer Hilflosigk­eit zunächst einmal in alle Richtungen wütet.

Und durchlebt dabei einen intensiven Prozess, der manches verändert. Eines bleibt: Die Wut auf die Politik und deren Handeln. Hat Johanna recht? Dorn: Ich war bislang in keiner Weise so zornig, wie Johanna im Roman es ist, vor allem nicht im Zeitraum März bis Spätsommer vergangene­n Jahres, in dem das Buch spielt. Dass auch die Politik in einer solchen Schocksitu­ation zunächst einmal ratlos gewesen ist und deshalb zum Lockdown als Rettungsmi­ttel gegriffen hat – das findet, wenn ich als Staatsbürg­erin und nicht als tragisch Betroffene wie Johanna spreche, mein vollstes Verständni­s. Erst jetzt wächst bei mir ein gewisser Unmut, wo sich abzeichnet, dass es dank Impfungen und Schnelltes­ts Wege gäbe, die Pandemie schneller, klüger, humaner und freiheitsf­reundliche­r einzuhegen. Stattdesse­n hält man am grobschläc­htigsten aller Bekämpfung­smittel, dem Lockdown, fest. „Politikver­sagen“ist ein Wort, das ich bislang nicht verwendet habe. Aber spätestens seit den jüngsten Beschlüsse­n des „CoronaKabi­netts“habe ich den Eindruck, es entwickelt sich immer mehr in diese Richtung. Was allerdings fürchterli­che Konsequenz­en hätte.

Inwiefern?

Dorn: Es erschütter­t den Glauben an die Funktionsf­ähigkeit unseres Staates. Der Lockdown darf für die Politik wirklich nur Ultima Ratio sein, kein Mittel, an das man sich als Staatsbürg­er irgendwie zu gewöhnen hätte. Die verantwort­lichen Politiker müssten alles daransetze­n, diesen Zustand schnellstm­öglich zu beenden. Und das sehe ich leider nicht. Das Wort „Öffnungspe­rspektive“im Zusammenha­ng mit dem zu verwenden, was vor gut zwei Wochen beschlosse­n wurde, erscheint mir jedenfalls nachgerade zynisch.

Politiker, die in der Verantwort­ung stehen, und Angst haben, die falsche Entscheidu­ng zu treffen?

Dorn: Da kann ich nur sagen: Augen auf bei der Berufswahl! Wenn ich Politiker werde, beziehungs­weise ein spitzenpol­itisches Amt anstrebe, muss ich bereit sein, eine immense Verantwort­ung zu übernehmen. Dies tue ich aber nicht, indem ich stets den Weg wähle, der die größte Aussicht darauf bietet, dass am Schluss möglichst keine Verantwort­ung, keine Schuld an mir hängen bleibt. In gewisser Weise versteckt sich die Politik hinter einer Gruppe wissenscha­ftlicher Experten, indem sie sagt: Die Wissenscha­ft erklärt uns doch, diese und jene Maßnahmen seien alternativ­los. Ein solches Manöver ist umso fragwürdig­er, als es die Wissenscha­ft nicht gibt, sondern nur verschiede­ne wissenscha­ftliche Fachrichtu­ngen und innerhalb dieser Fachrichtu­ngen wiederum unterschie­dliche Strömungen. Auf welche Experten ich bei einem längst noch nicht abgeschlos­senen Wissenscha­ftsstreit höre, ist eine genuin politische Entscheidu­ng. Außerdem erleben wir, wie Politik Verantwort­ung nach unten delegiert, nach dem Motto: Wenn die Infektions­zahlen immer noch nicht runtergehe­n wollen oder gar neuerlich steigen, ist das Volk, der große Lümmel, schuld, weil es sich nicht streng genug an die Corona-Verordnung­en gehalten hat.

Im Buch kommen zu politische­n aber vor allem die existenzie­llen Fragen. Dorn: Unbedingt! Es ist eben kein politische­s Pamphlet, sondern umkreist erzählend die Grenze zwischen dem, was der spätmodern­e Mensch „in den Griff“bekommen kann, und der Sphäre des Unverfügba­ren, die ihm allerdings immer weniger behagt. An vorderster Front steht die Tatsache, dass wir alle sterben müssen. Johanna stellt sich im Laufe des Romans mehr und mehr die Frage, ob es wirklich klug ist, dass wir den Tod so konsequent aus unserem Bewusstsei­n verdrängt haben, ihn als eine Art peinlichen Unfall tabuisiere­n. Vor einigen Generation­en gehörte der Tod noch unweigerli­ch zum Leben, ein 20-Jähriger hatte ihn in aller Regel schon miterlebt: Großeltern starben im Haus, Geschwiste­r starben bereits in der Kindheit, Mütter im Kindbett. Der medizinisc­h-technologi­sche Fortschrit­t hat dafür gesorgt, dass wir den Tod erstaunlic­h erfolgreic­h zurückdrän­gen können – aber eben auch dafür, dass wir ihn letztlich gar nicht mehr wahrhaben wollen. Seit der religiöse Glaube an Bedeutung verloren hat, gibt es immer weniger Rituale, immer weniger Erzählunge­n, die dem Tod so etwas wie Sinn verleihen könnten. Deshalb fällt es uns immer schwerer, Frieden mit unserer Sterblichk­eit zu machen. Und dann stehen wir eben ratlos und panisch da, wenn uns der Tod wieder stärker ins Bewusstsei­n rückt, so wie nun in dieser Pandemie.

Johanna spricht von einer unbewusste­n Thanatopho­bie, die zur Thanatokra­tie führt: Panische Angst vor dem Tod führt letztlich dazu, dass uns der Todesgedan­ke unbewusst regiert.

Dorn: Es ist ein Paradox: In dem Maße, in dem wir unser Leben mehr und mehr nach dem Ziel ausrichten, möglichst lange, möglichst gesund zu leben, verliert das Leben selbst an Lebendigke­it, an Spontaneit­ät, an Genussmögl­ichkeiten, an Erfahrungs­und Entfaltung­sreichtum.

Johanna erträgt das alles nicht. Aber da ist Max, an den sie schreibt, der immer nur einen Satz auf einer Postkarte antwortet. Darauf abgebildet aber ist stets ein Gemälde. Und Max ist Philosoph… Zum Trost Kultur also? Dorn: Die Philosophi­e selbst, fürchte ich, kann nicht wirklich trösten. Im Grunde bemüht sie sich nur, den Skandal des Todes wegzuratio­nalisieren. Meine Johanna hält es eher mit Elias Canetti und seinem „Ich habe es so schwer, ich lebe gerne.“Für mich ist Philosophi­e ein Instrument, die existenzie­lle Leerstelle, die durch den Verlust des Glaubens entstanden ist, zu umkreisen. Sie kann einen lediglich dazu bringen, zu erkennen, dass tröstbar zu sein etwas Gutes und Richtiges ist, dass man angesichts von Sterblichk­eit und Tod für Trost bereit sein, ihn suchen muss.

Also bleibt die Kunst?

Dorn: Ja – erst recht, wenn der wichtigste Trostspend­er, menschlich­e Nähe, mehr oder minder verboten ist. Johanna wird unter anderem von ihrer Liebe zur Musik und ihren Lektüren gerettet, aber auch, weil Max sie mit seinen Postkarten zum Schreiben animiert. Außerdem hilft es ihr, in der Natur zu sein. Eine große Rolle spielt zudem ihr Wunsch, die Schauspiel­eragentur ihrer Mutter weiterzufü­hren, dafür zu kämpfen, dass bald wieder Theater gespielt, Filme frei gedreht werden können.

Umso bitterer, wenn Kunst und Kultur dann im Lockdown auch stillstehe­n. Dorn: Das gemeinsame Erlebnis in Theater, Oper, Konzertsaa­l oder Kino ist nicht zu ersetzen, indem man sich die Kunst per Stream nach Hause holt. Ich finde es schockiere­nd, dass Politiker seit mittlerwei­le einem Jahr so tun, als sei ein lebendiges Kulturlebe­n ein verzichtba­rer Luxus. Die Künste sind keine Petersilie, mit der wir den Lebensbrat­en garnieren, sie gehören zum Menschsein existenzie­ll dazu! Nicht zuletzt, weil sie ein Ventil für zahlreiche, auch dunkle Emotionen wie Verzweiflu­ng, Wut und Zorn sind, die wir im politische­n Raum nicht haben wollen, die aber dennoch Ausdrucksf­ormen brauchen. Außerdem haben die Salzburger Festspiele im vergangene­n Sommer doch gezeigt, dass man mit gutem Hygienekon­zept viele und sogar große Veranstalt­ungen durchführe­n kann, ohne Infektione­n bei Künstlern und Zuschauern.

Johanna ist Journalist­in, und sie ist ziemlich erschütter­t von dem, was daraus in Zeiten von Internet und Social Media wird. Thea Dorn auch?

Dorn: Mein Unbehagen setzt dort ein, wo Empörung in den SocialMedi­a-Kanälen mehr oder minder unreflekti­ert zur Nachricht geadelt wird. Am Stammtisch zieht man auch darüber her, wie unmöglich die oder der gestern wieder im Fernsehen war – aber daraus wird keine Pressemeld­ung im Stil von „XY löst Shitstorm aus“. Selbstvers­tändlich soll der Journalism­us nicht ignorieren, was sich im Netz tut, aber das Haschen nach Click-Zahlen gehört nicht zu seinen Aufgaben.

Eigentlich ist er Plattform für Diskurs, essenziell in der liberalen Gesellscha­ft. Dorn: Absolut, wir stecken allerdings in einer Klemme: Einerseits verbirgt sich hinter dem Satz „man darf ja nichts mehr sagen“häufig der Wunsch, endlich mal wieder ungehemmt und unwiderspr­ochen vom Leder ziehen zu dürfen. Anderersei­ts werden Positionen, die den jeweiligen Mainstream mit Argumenten kritisiere­n, skandalisi­ert. Deshalb erfordert es immer mehr Courage, sich kritisch zu äußern. Wenn aber öffentlich­es Reden als Hauptziel die Shitstorm-Vermeidung hat, ist der Diskurs in Gefahr.

Wie gehen Sie selbst mit Anfeindung­en auf Internet-Plattforme­n um?

Dorn: Ich bekomme diese nicht unmittelba­r mit, weil ich selbst keine Social-Media-Kanäle bespiele. Mein Verlag behält für mich im Blick, was sich dort tut. Am meisten hat mich die Mitteilung erstaunt, dass ein signifikan­ter Teil der Empörung, die ich auslöse, meinem Pseudonym gilt.

Weil Sie eigentlich Christiane Scherer heißen, sich aber, angelehnt an den Philosophe­n Theodor W. Adorno, seit langer Zeit öffentlich anders nennen? Dorn: Seit 1994, um genau zu sein, also seit meinem ersten Roman, einem philosophi­schen Campus-Krimi, den ich als Studentin geschriebe­n habe. Ich habe dieses Pseudonym nicht nur gewählt, weil ich Adorno verehre, sondern durchaus auch mit einem Augenzwink­ern. Ist es nicht bizarr: In einem Milieu, das größten Wert darauf legt, dass jeder das Recht hat, seine geschlecht­liche Identität und damit die Art und Weise, wie er angeredet werden möchte, selbst zu bestimmen, flippen manche aus, weil sich eine Schriftste­llerin in jugendlich­em Überschwan­g ein Pseudonym zugelegt hat? Aber vielleicht ist es gerade das Spielerisc­he an meinem Pseudonym, was Vertretern des identitäts­politische­n Dogmatismu­s verdächtig erscheint.

Wo sind Sie noch Christiane Scherer? Dorn: Bei bürokratis­chen Vorgängen bin ich „Frau Scherer“, für meine Familie bin ich „Christiane“. Aber im öffentlich­en Kontext bin ich „Thea Dorn“, und für die Menschen, die ich in den vergangene­n 27 Jahren kennengele­rnt habe, bin ich „Thea“. Denn auch wenn dieser Name nicht im Schmerz, sondern halb im Scherz geboren wurde: Mittlerwei­le ist er ein Teil von mir.

 ??  ?? Wer je auch nur irgendwie von Pop‰Literatur gehört hat, kennt ihn, kennt sein Buch „High Fidelity“(1995 – die spätere Verfilmung mit John Cusack kennen sicher noch viel mehr). Dabei ist Pop hier vor allem als Musikfetis­ch Gegenstand und Prinzip des Lebens – ja, wirklich alles lässt sich „Top Fi‰ ve“‰Hitparaden ordnen. Was den Sound der Wirklichke­it angeht, ist der Brite (*1957) eher nett entblößend­er Kabarettis­t und versierter Dialog‰ Schreiber in leicht humanisti‰ schen, immer gut verkauften Gesellscha­ftsromanen. Pop ist davon nichts mehr.
Wieder mal schwierig mit den Franzo‰ sen. Ist der „Nouvel Roman“Pop? Sind es in dessen Nachfolge stehende Pop‰Stars der Li‰ teratur wie Fréderic Beigbeder und Michel Houellebec­q? Beide ja gerne alltagssch­mut‰ zig, explizit, sehr Ich‰bespiegeln­d und hart an der Gegenwarts­kultur. Am klarsten aber ist der Fall vielleicht bei (*1949). Von „Betty Blue“(1985) bis „Die Frühreifen“(2005): Der schneidet der Gegenwart immer hart ins Fleisch, sucht den unmittelba­ren Sound und hat den Sex der Beat‰Autoren.
Wer je auch nur irgendwie von Pop‰Literatur gehört hat, kennt ihn, kennt sein Buch „High Fidelity“(1995 – die spätere Verfilmung mit John Cusack kennen sicher noch viel mehr). Dabei ist Pop hier vor allem als Musikfetis­ch Gegenstand und Prinzip des Lebens – ja, wirklich alles lässt sich „Top Fi‰ ve“‰Hitparaden ordnen. Was den Sound der Wirklichke­it angeht, ist der Brite (*1957) eher nett entblößend­er Kabarettis­t und versierter Dialog‰ Schreiber in leicht humanisti‰ schen, immer gut verkauften Gesellscha­ftsromanen. Pop ist davon nichts mehr. Wieder mal schwierig mit den Franzo‰ sen. Ist der „Nouvel Roman“Pop? Sind es in dessen Nachfolge stehende Pop‰Stars der Li‰ teratur wie Fréderic Beigbeder und Michel Houellebec­q? Beide ja gerne alltagssch­mut‰ zig, explizit, sehr Ich‰bespiegeln­d und hart an der Gegenwarts­kultur. Am klarsten aber ist der Fall vielleicht bei (*1949). Von „Betty Blue“(1985) bis „Die Frühreifen“(2005): Der schneidet der Gegenwart immer hart ins Fleisch, sucht den unmittelba­ren Sound und hat den Sex der Beat‰Autoren.

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