Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn der Wahn keimt
Ottessa Moshfegh Ein Krimi wird zum Psychogram über eine einsame Witwe
Magda, die ich finden konnte, war Magda Göbbels.“Und weil es an Hinweisen mangelt, wie ja im Übrigen auch an der Leiche oder irgendwelchen Spuren, reimt sich Vesta etwas zusammen, macht aus Magda eine 19-jährige Aushilfskraft aus Belarus mit Himmelfahrtsnase und schwarzem Haar, baut die Dorfbewohner in ihre Version des Mordfalls ein… Was also wie eine Krimi beginnt, wird zum Psychogram.
Mit ihrer Vesta fügt die kanadische Schriftstellerin Ottessa Moshfegh dem Reigen ihrer einsamen Hauptfiguren, die entlang des Abgrunds taumeln, eine weitere hinzu. In „Eileen“porträtierte sie eine magersüchtige junge Frau, die in einer Haftanstalt für Jugendliche arbeitet, mit ihrem Vater, einem Alkoholiker, in einer vermüllten Bude haust und sich ihren Hassgedanken hingibt. In „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“– allein des Titels wegen wurde das Buch vergangenes Jahr als passender Roman zur Corona-Krise ausgemacht – schießt sich eine junge, privilegierte Frau in New York mit Tabletten ins Nirgendwo. Eine Expertin für kaputte Heldinnen also, die nichtsdestotrotz den Widrigkeiten des Lebens auf ihre Weise trotzen. Nun also die unzuverlässige Erzählerin Vesta, 72, die gerne etwas säen möchten im Beet vor der Hütte, in deren Innerem derweil der Wahn keimt.
Der Leser kommt dem Roman und Moshfeghs genüsslichen Spiel mit dem Krimi-Elementen schnell auf die Schliche: Das kann doch nicht alles wahr sein… Was im Bann hält, ist nicht der Fall Magda, sondern der Fall Vesta. Walter, ihr Mann, „Der schöne Deutsche“, entpuppt sich im Laufe ihrer Erzählung als elender Tyrann, der die Frau zu Hause vom Leben fernhielt, während er Studentinnen nachstieg – und Vesta, die harmlose Witwe, als Frau voller Hass und düsterer Gedanken, die die Asche ihres Mannes irgendwann aus der Urne in den kleinen See kippt.
Was ist wahr an dieser Erzählung und was nicht? Ist das Opfer Vesta womöglich auch eine Täterin? Eine „Dichterin“auf jeden Fall. Moshfegh hält die Spannung, in dem sie in dieser abgründigen Geschichte die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit, Fiktion und Realität mäandernd verschiebt. Selbst in Namen wandern Buchstaben. Da hätten sie aber etwas erlebt, sagt Vesta zum Hund Charlie: „Eine kleine Schauergeschichte. Das bringt den Kreislauf in Schwung, was, mein Schatz?“Stefanie Wirsching
Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen
A.d. Engl. von Anke Caroline Burger, Hanser,
256 Seiten,
22 Euro