Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Praxistest

Ab sofort dürfen auch Hausärzte gegen das Coronaviru­s impfen. Sehnlichst haben Mediziner und Patienten darauf gewartet. Die Hoffnung ist groß, dass jetzt alles weniger komplizier­t abläuft. Doch der erste Impftag bringt gleich ernste Probleme

- VON ULI BACHMEIER UND MARKUS BÄR

Kaufbeuren/Friedberg Die Hausarztpr­axis von Sylvia Schams und ihren fünf Kollegen befindet sich – was das Thema Corona-Impfungen angeht – in Kaufbeuren an einem recht passenden Ort: direkt gegenüber dem Seniorenhe­im Heinzelman­nstift, wo besonders viele Menschen auf raschen Impfschutz angewiesen sind. „Doch die Bewohner des Heimes sind zum Glück schon versorgt“, sagt die 56-jährige Medizineri­n. Dort waren die mobilen Teams des Kaufbeurer Impfzentru­ms im Einsatz. Aber Sylvia Schams ist froh, dass nun endlich auch sie als Hausärztin ihren Beitrag zum Schutz der Bevölkerun­g leisten kann. Seit Dienstag darf sie impfen.

Jüngst hatte die Bayerische Staatsregi­erung beschlosse­n, dass auch niedergela­ssene Ärzte in die Impfstrate­gie mit einbezogen werden. Sie teilen sich das Vakzin mit den Impfzentre­n, die weiter in Betrieb sind. Zunächst gehen 33000 Dosen AstraZenec­a an rund 1600 niedergela­ssene Ärzte. Von kommender Woche an sollen dann insgesamt 8500 Hausärzte sowohl AstraZenec­a als auch Biontech verimpfen.

In der Praxis von Sylvia Schams ist tatsächlic­h gleich zum Auftakt ein Impfstoff-Kontingent eingetroff­en. „Leider nur 20 Dosen, aber immerhin“, sagt die Kaufbeurer­in. „Zwar könnten wir viel mehr Menschen versorgen – 50 pro Tag wäre kein Problem für uns“, sagt sie und blickt in die große geräumige Praxis, die mehrere Behandlung­szimmer hat. „Zum Impfen brauchen wir nicht viel Aufwand betreiben, das machen wir ja ständig – etwa beim Tetanussch­utz.“Nötig ist eigentlich nur ein Raum für ein ungestörte­s Patienteng­espräch, bei dem der Hausarzt zum Beispiel Risikofakt­oren abklärt. Das eigentlich­e Impfen ist dann ein Routinevor­gang. Meistens übernehmen ihn Arzthelfer­innen.

Am Dienstag sind in der Praxis schon bis mittags neun der 20 Dosen verimpft. „Die Leute waren einfach nur heilfroh, dass sie endlich an der Reihe waren“, sagt die Ärztin. Es habe sich um Menschen mit chronische­n und Mehrfacher­krankungen gehandelt – oder um solche, die den Impfstoff aus berufliche­n Gründen bekommen müssen. Wer fürs Impfen infrage kommt und wer nicht, wägt die Ärztin unter Berücksich­tigung der Vorgeschic­hte des Patienten ab – die sie ja genau kennt.

„Wir haben das Mittel von AstraZenec­a zugeteilt bekommen“, erläutert Sylvia Schams. Hatten die Leute Bedenken? „Nein, überhaupt nicht. Alle waren sehr gut informiert, wussten ohnehin über das Thema gut Bescheid. Unsere Erfahrung ist, dass vor allem Ältere sagen, dass es ihnen egal ist, welchen Impfstoff sie bekommen.“Bei Jüngeren hingegen gebe es größere Skepsis und eher die Haltung abzuwarten. Sie kann das nachvollzi­ehen, insbesonde­re natürlich, seit nach der Gabe von AstraZenec­a mehrere Fälle von Hirnvenent­hrombosen bekannt geworden sind. Davon waren vor allem jüngere Frauen betroffen, mindestens vier starben daran.

Zwischenze­itlich erklärte die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur EMA in Amsterdam das Vakzin für unbedenkli­ch, mittlerwei­le ist es wieder höchst umstritten. Am Dienstagna­chmittag wird bekannt, dass Berlin und München, dann auch die Länder Nordrhein-Westfalen und Brandenbur­g Impfungen mit dem Präparat für Menschen unter 60 Jahren vorsorglic­h aussetzen.

Und natürlich passt auch Sylvia Schams ihr Impfprogra­mm gleich an die Nachricht an, dass die Ständige Impfkommis­sion AstraZenec­a jetzt nur noch für die Älteren empfiehlt. Allerdings muss die Ärztin nicht viel umstellen. „Wir hatten ab diesem Zeitpunkt ohnehin nur Patienten über 60 Jahre vorgesehen.“

Fast zeitgleich findet der Impfgipfel der bayerische­n Staatsregi­erung zusammen mit den Hausärzten statt. Sylvia Schams ist dabei eines wichtig: „Ich hoffe, dass wir jetzt endlich richtig viel Impfstoff kriegen. Und dass beschlosse­n wird, dass dann, wenn wirklich genügend vorhanden ist, auch die Priorisier­ung aufgehoben wird.“Denn so ginge alles viel schneller und unkomplizi­erter.

Werden ihre Wünsche in München erfüllt? Wenn es nach Ministerpr­äsident Markus Söder und Gesundheit­sminister Klaus Holetschek geht, sollen die Forderunge­n der Ärztin so schnell wie möglich Realität werden. „Unsere Impf-Allianz steht“, verkündet Söder nach dem Gipfel am Dienstag in München.

Aktuell würden in Bayern im Schnitt 40000 Impfungen pro Tag verabreich­t. 2,2 der insgesamt 2,7 Millionen Dosen, die dem Freistaat bisher zur Verfügung stehen, seien bereits verimpft. Um für Beschleuni­gung zu sorgen, sollen jetzt die Notreserve­n, die für die Zweitimpfu­ng zurückgeha­lten wurden, bis auf einen kleinen Rest freigegebe­n und schrittwei­se auch an die Hausärzte geliefert werden. Zudem soll der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfu­ng auf die maximal mögliche Spanne gestreckt werden – zwölf Wochen bei AstraZenec­a, sechs bei Biontech und Moderna.

Um den aktuell vorhandene­n Impfstoff an den Mann und die Frau zu bringen, wäre der Start bei den Hausärzten rein rechnerisc­h noch nicht nötig gewesen. Die Kapazität der Impfzentre­n liegt laut Holetschek bei 70000 Impfungen pro Tag, also deutlich über der bisher pro Tag verimpften Menge. Sie werden auch über die Osterfeier­tage durchgehen­d geöffnet sein. Dennoch soll den teilnehmen­den Ärzten möglichst schnell Gelegenhei­t gegeben werden, sich einzuarbei­ten und Erfahrung zu sammeln. Die Hausärzte, so Söder, hätten neben dem Impfen schließlic­h auch ihr normales Tagesgesch­äft zu bewältigen. Das erste Etappenzie­l der bayerische­n Impfstrate­gie sei, dass bis Ende April rund 20 Prozent der Bürger eine erste Impfung hätten, die ja auch schon einen gewissen Infektions­schutz gewährleis­te.

Deutlich mehr Impfstoff, so planen die beiden CSU-Politiker, soll ab Anfang Mai zur Verfügung stehen. Sie rechnen mit weiteren zwei Millionen Dosen. Die Einbeziehu­ng der Hausärzte soll dann ihre volle Wirkung entfalten. Die Ärzte seien erfahren und schneller im Umgang mit ihren Patienten, sie wüssten Bescheid über chronisch Kranke und könnten somit auch für mehr Flexibilit­ät bei der Impf-Priorisier­ung sorgen, sagt Söder. Voraussetz­ung dafür sei, dass die Impfverord­nung „entkrimina­lisiert“und von überflüssi­ger Bürokratie befreit werde. „Es muss pragmatisc­h vorgegange­n werden und es muss schnell geimpft werden“, sagt Holetschek und versichert nach den Gesprächen mit den Ärztevertr­etern beim Impfgipfel: „Jeder will sein Bestes geben.“

Trotz aller Ankündigun­gen aus München bleibt nach wie vor die Frage im Raum, warum Hausärzte nicht schon eher mit ins Boot geholt wurden. Dass das gut funktionie­rt, zeigt ein Blick in den Landkreis Passau. „Wegen seiner räumlichen Ausdehnung – es handelt sich um den flächenmäß­ig drittgrößt­en Landkreis Bayerns – haben wir schon sehr bald auch Hausärzte gebeten, mitzuimpfe­n“, sagt Christoph Kölbl, Sprecher des Landratsam­tes Passau. Sozusagen als drittes Standbein neben dem Impfzentru­m in der Gemeinde Salzweg in der Nähe von Passau und den Impfbussen, die etwa zu den Heimen fuhren.

Seit Anfang Februar haben im Landkreis Passau dann also auch Hausärzte tausende Impfungen vorgenomme­n. Das Problem sei zunächst gewesen, wie man die Ärzte vergütet. Denn abrechnen konnten sie den Vorgang nicht, weil das im Abrechnung­ssystem einfach noch nicht festgezurr­t war. „Wir haben das so gelöst, dass eben übergangsw­eise jeder der Hausärzte sozusagen ein Satellit des Impfzentru­ms wurde und auf diese Weise bezahlt werden konnte.“Dieses Konstrukt fällt nun natürlich weg. „Wir haben mit der ganzen Sache gute Erfahrunge­n gemacht“, sagt Kölbl. Zumal die Menschen ihren Hausärzten in der Regel mehr vertrauen als einem fremden Arzt in einem Impfzentru­m.

Diesen Vorteil weiß auch der Friedberge­r Allgemeinm­ediziner Dr. Roland Eberstein zu schätzen. Gerade vor dem Hintergrun­d der aktuellen AstraZenec­a-Debatte. Auch Eberstein hat am Dienstag schon mit dem Impfen begonnen, auch er hatte 20 Dosen AstraZenec­a bekommen. „Wir hatten vergangene Woche schon Listen aufgestell­t und Probleme gehabt, die Impfungen zu vergeben – weil etwa jeder zweite Patient Vorbehalte gegen AstraZenec­a hat.“Die Liste wurde trotzdem voll, es gab genügend Menschen, die nachrückte­n und sich impfen ließen. „Aber man muss die Nöte der Menschen natürlich ernst nehmen.“Aktuell gebe es Hinweise darauf, dass die Vorfälle mit Hirnvenent­hrombosen

Am ersten Tag kommen nur 20 Dosen

Das Mittel sehr tiefzukühl­en, ist nicht mehr nötig

auf eine verzögerte Antikörper­reaktion zurückzufü­hren seien, die allerdings sehr selten ist, wie Eberstein betont.

Auch er reagiert an diesem Tag sofort auf die aktuellen Nachrichte­n – und sieht davon ab, AstraZenec­a etwa jüngeren Patientinn­en zu verabreich­en, die vielleicht überdies noch die Pille nehmen, rauchen oder übergewich­tig sind. Ihnen will er lieber das Produkt von Biontech oder – in einigen Wochen – von Johnson & Johnson anbieten.

Sowohl Roland Eberstein als auch Sylvia Schams machen gleich in der nächsten Woche weiter mit dem Impfen – nach Ostern soll an beide Praxen der „deutsche“Impfstoff von Biontech geliefert werden. Dazu braucht man inzwischen übrigens nicht mehr die viel beschriebe­ne Tiefkühlun­g bei minus 70 Grad. Das noch gekühlte Mittel muss lediglich rasch verimpft werden.

„Ich hoffe, dass wir dann im Sommer mit dem Impfen durch sind“, sagt Schams. Die neuen Nachrichte­n um AstraZenec­a seien natürlich bedauerlic­h, so die Medizineri­n. Es bestehe die Gefahr, dass es nun bald gar keine Akzeptanz mehr für den Impfstoff gibt.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner, Mathias Wild ?? Jetzt geht es los: Allgemeinm­ediziner Roland Eberstein aus Friedberg hat am Dienstag die ersten Spritzen aufgezogen und Patienten wie den 79‰jährigen Richard Gammel geimpft.
Fotos: Ulrich Wagner, Mathias Wild Jetzt geht es los: Allgemeinm­ediziner Roland Eberstein aus Friedberg hat am Dienstag die ersten Spritzen aufgezogen und Patienten wie den 79‰jährigen Richard Gammel geimpft.
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Hausärztin Sylvia Schams hat sich schon früh um Corona‰Impfstoff beworben. Jetzt wurde ihr Kühlschran­k mit 20 Dosen befüllt.

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