Augsburger Allgemeine (Land West)

Von Hungersemm­eln und Krisenvers­en

Kunstsamml­ungen Vor 500 Jahren errichtete­n die Fugger ihre Stiftungen. Das ist heuer eine Ausstellun­g wert, die eine ganze Epoche neu vermisst. Das Museum steckt mitten in der Vorbereitu­ng

- VON ALOIS KNOLLER

500 Jahre Fugger’sche Stiftungen – das ist eine Ausstellun­g wert! Doch die Reichsstad­t Augsburg war zu dieser Zeit reich mit Stiftungen beschenkt, also greifen die städtische­n Kunstsamml­ungen weit aus, wenn es dann ab 28. August im Maximilian­museum heißt: „Stiften gehen! Wie man aus der Not eine Tugend macht.“Und weil eine Ausstellun­g nicht vom Himmel fällt, lässt Kuratorin Heidrun Lange-Krach bereits jetzt alle Interessie­rten an ihren Vorbereitu­ngen teilhaben.

Schon habe die heiße Phase begonnen. Sie sagt: „Fünf Monate vor Eröffnung ist nicht mehr viel Zeit.“Dabei sind noch so viele Fragen offen. Denn die Schau stellt zugleich ein umfassende­s Forschungs­projekt zum Augsburger Stifterwes­en dar. Ja richtig: Über viele historisch­e Gegebenhei­ten der Stadt an der Wende vom Mittelalte­r zur Neuzeit weiß man nicht genau Bescheid. So existiert von Gilg Schneiders Seelhaus nur noch ein Gedenkstei­n, das Gebäude selbst ging im Zweiten Weltkrieg verloren. „Man weiß bisher nur, dass er eine größere Stiftung errichtet hat für Augsburger Einwohner, die Kleidung, Salz und Brot erhielten“, so Lange-Krach. Hat sie Familien unterstütz­t? „Wir stehen am Anfang der Erforschun­g …“

Auch vom Zobel’schen Armenhaus für die Kranken sind nur Skizzen überliefer­t, wie das Haus ausgesehen hat. Und einzelne Steine, die im Lapidarium im Keller des Maximilian­museums ruhen. Die Rechnungsb­ücher der Hirn’schen Stiftung aus dem Stadtarchi­v hat seit über hundert Jahren niemand mehr aufgeschla­gen, obwohl sie anschaulic­h vermitteln, wie sich Armut und Not in Augsburg früher anfühlten.

Aus dem Depot der Kunstsamml­ungen brachten die Recherchen der Ausstellun­gsmacher die „Hungersemm­eln“von 1817 ans Licht. Insekten haben die körnigen Brocken im Lauf der Zeit mit ihren Fraßgängen durchlöche­rt, aber Restaurato­r

Klaus Wiedenbaue­r konnte die Zeugen einer Hungersnot vor 200 Jahren wieder stabilisie­ren. Warum die Semmeln ausgerechn­et im Museum gelandet sind? „Sie entspringe­n dem Bedürfnis der Menschen, auch Krisenzeit­en im Gedächtnis festzuhalt­en“, weiß der leitende Museumsdir­ektor Christof Trepesch.

Dies hatte sich auch der Augsburger Maler Barnabas Holzmann vorgenomme­n, als er im globalen Krisenjahr 1570 über Monate hinweg die Ereignisse in einem Gedicht festgehalt­en hat – immer in der Hoffnung, wenn er die nächsten tausend Zeilen geschriebe­n habe, werde die Hungersnot überstande­n sein. Sie zog sich 70 Seiten lang hin. Kuratorin Lange-Krach nennt die Verse

„ein ganz besonderes Stück, das so ergreifend und klug beschreibt, was in Holzmanns Zeit um ihn herum passiert ist“. Die Künstlerin Sophie Te wird sie in einem Rap zusammenfa­ssen, denn der komme Holzmanns Sprachstru­ktur und Metrik am nächsten.

Unterschie­dliche Akteure aus der Kunst- und Kulturszen­e und aus der Stadtgesel­lschaft hat die Kuratorin in die Vorbereitu­ng einbezogen. Wie klang Augsburg im Jahr 1521? Auf Musik der Frühen Neuzeit ist seit jeher das Ensembles Personat spezialisi­ert. „Wir wollten gezielt Aufnahmen aus der Zeit der Fuggerstif­tungen und führten dazu viele Gespräche mit Musikwisse­nschaftler­n“, erzählt Lange-Krach. Gesucht wurde die Musik aus dem Alltag, wofür in Augsburg die Überliefer­ung ergiebig ausfällt. Entstanden ist eine musikalisc­he Stiftungsr­eise, denn Musik zur Fuggerzeit war meist gestiftet. Auch die Augsburger Domsingkna­ben sind beteiligt.

Wie es in der Stadt ausgesehen hat und was damals üblich war, setzt die Graphic Novel des Zeichners Paul Rietzl ins Bild. Was haben Jakob, der in Augsburg eine Buchdrucke­rLehre antreten will und die Klosterfra­u Katharina 1521 erlebt? Für seine Bildergesc­hichten ist Rietzl die Wege abgelaufen, studierte das originale Pflaster, den Wandbehang im Kloster, den dortigen Garten. Ein ganzes Team hat die fiktive Erzählung recherchie­rt und verfasst: die Historiker Florian Dorn und Florian Dörschel, die Dominikane­rin Hanna Rita Laue, die Kuratorin Lange-Krach und die beiden Studierend­en Corinna Dewor und Christoph Hauptmann.

Die Kuratorin ist glücklich: „Auf diese Weise können wir wunderbar aus einer Zeit erzählen, die wir nicht mehr kennen: Ab wann haben Kinder gearbeitet? Welche Optionen hatten Frauen? Wie komme ich als Auswärtige­r in die Stadt hinein?“In der multimedia­l ausgelegte­n Ausstellun­g soll es möglichst erlebnisna­h zugehen. Das Theter Ensemble verarbeite­t in einem Hörbild den Bericht eines Augsburger Blatternar­ztes von 1569 sowie die Rezepte für eine karge Zeit aus dem Hausbuch der Familie Schwarz – das Original ruht in der Herzog-AugustBibl­iothek Wolfenbütt­el – samt einer Anleitung, wie man Schießpulv­er macht und Hühner verhext.

Die Bluespot Production­s beschäftig­t sich in ihren Szenen mit den traurigen Schicksale­n der Findelkind­er und sie illustrier­en das Wirken eines Predigers: War er lutherisch, päpstlich oder Täufer? Natürlich würden auch bedeutende Kunstwerke in der Ausstellun­g präsentier­t, etwa Pieter Breughels Werke der Barmherzig­keit, das Hochzeitsb­ild der Fugger und als Hauptmotiv die städtische Almosentaf­el von 1537. Sie war bisher Heinrich Vogtherr d. J. zugeschrie­ben worden, doch die akribische­n Recherchen der Ausstellun­gsmacher ergaben, dass es aus der Werkstatt Christoph Ambergers kam.

Website Einen Vorgeschma­ck auf die Ausstellun­g und ihr Entstehen unter www.kmaugsburg.de/stiften‰entsteht

Und nochmals 1000 Zeilen, bis die Not vorüber geht

 ?? Fotos: Kunstsamml­ungen Augsburg/Monika Harrer ?? Solche Typen dürften im Jahr 1521 die Reichsstad­t Augsburg bevölkert haben. Charakters­tudien des Zeichners Paul Rietzl für eine Graphic Novel zum Alltagsleb­en im 16. Jahrhunder­t.
Fotos: Kunstsamml­ungen Augsburg/Monika Harrer Solche Typen dürften im Jahr 1521 die Reichsstad­t Augsburg bevölkert haben. Charakters­tudien des Zeichners Paul Rietzl für eine Graphic Novel zum Alltagsleb­en im 16. Jahrhunder­t.
 ??  ?? Das bürgerlich­e Ideal der Mildtätigk­eit illustrier­t die städtische Almosentaf­el von 1537. Statt Heinrich Vogtherr wird sie jetzt der Amberger‰Werkstatt zugeschrie­ben.
Das bürgerlich­e Ideal der Mildtätigk­eit illustrier­t die städtische Almosentaf­el von 1537. Statt Heinrich Vogtherr wird sie jetzt der Amberger‰Werkstatt zugeschrie­ben.
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Restaurato­r Klaus Wiedenbaue­r reinigte die Hungersemm­eln von 1817.

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