Augsburger Allgemeine (Land West)
Hebammen lernen bald im Hörsaal
Ausbildung An der Medizinischen Fakultät Augsburg wird gerade ein Hebammenstudiengang als Ersatz für die Schule aus der Taufe gehoben. Fachleute sehen darin viele Vorteile – für werdende Mütter und Kinder
Wenn voraussichtlich im Wintersemester 2023/2024 der neue Hebammen-Studiengang an der Medizinischen Fakultät Augsburg den Betrieb aufnimmt, ist das zugleich der Abschied von klassischen Hebammenausbildung, wie sie für viele Jahrzehnte üblich war. Die Hebammenschulen werden geschlossen und durch das Universitätsstudium ersetzt.
Am 9. März hat der bayerische Ministerrat die Einrichtung eines Hebammenstudiengangs an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg beschlossen. Das Studium soll mit etwa 25 Studentinnen beginnen – an der Medizinischen Fakultät wird bereits an einem Konzept für den Studiengang gearbeitet. Anfang 2020 hat das Hebammenreformgesetz das Hebammengesetz von 1985 abgelöst. Wichtigste Änderung: Aus der dualen schulischen Ausbildung wird ein Bachelor-Studium. 2027 ist endgültig Schluss mit der Hebammenschule, dann entscheidet der Numerus clausus darüber, wer künftig Hebamme werden kann.
dem Abschied von der schulischen Ausbildung geht für die Leiterin der Berufsfachschule für Hebammen am Universitätsklinikum Augsburg (UKA), Claudia Dachs, ein langer Wunsch in Erfüllung. Denn kaum ein anderes Land bildet seine Hebammen in der Schule aus – ein Universitätsstudium ist in fast der ganzen EU üblich. „Hebammen arbeiten selbstständig ohne Anweisungen – für eine derart anspruchsvolle Tätigkeit ist eine berufsschulische Ausbildung nicht mehr zeitgemäß, so die Schulleiterin. „Der Lernort der Wissenschaft ist die Hochschule und nicht die Berufsschule“, ist sie überzeugt.
Für die Hebammen hat die akademische Ausbildung viele Vorteile, so Dachs. Das gehe schon mit der beruflichen Mobilität in der Europa an. Bislang war es für deutsche Hebammen aufwendig, ihren Abschluss im Ausland anerkennen zu lassen. Aus einem „Sackgassenberuf“werde eine offene Karriere mit vielen Möglichkeiten, freut sich die Schulleiterin. Bislang gab es nach der Hebammenschule praktisch nichts, was die Hebammen an Zusatzqualifikation aufsatteln konnten. „Wie auch in anderen Studiengängen sind für die Hebammen neben dem Bachelor künftig auch ein Master-Abschluss und die Promotion möglich, sagt Dachs.
Eines ist Claudia Dachs bei der ganzen Diskussion um neue Lehrinhalte wichtig: „Es geht hier nicht in erster Linie um eine Berufsgruppe, sondern darum, die Versorgung von Mutter und Kind bestmöglich zu gewährleisten.“Die Schulleiterin geht davon aus, dass die Augsburger Berufsfachschule für Hebammen in die Konzeption des neuen Studienganges intensiv mit einbezogen wird. „Wir sind schließlich diejenigen, die wissen wie es geht“, betont sie.
Susanne Arnold, Pflegedirektorin am UKA sagt, man sei in Augsburg in Kontakt mit dem Bayerischen Hebammen Landesverband und teile die Einschätzung, dass die akademische Ausbildung der Hebammen eng mit den Trägern der praktischen Ausbildung – den bisherigen Hebammenschulen – abgestimmt werden muss. „So kann ein wissenschaftlich fundiertes und auf die Belange der Schwangeren und Neugeborenen ausgelegtes Studium mit gezieltem Praxisbezug etabliert werden“, so Arnold.
Um den wissenschaftlichen Belangen den notwendigen Stellenwert einräumen zu können, wird sich das Verhältnis von theoretischerund praktischer Ausbildung im Studium etwas verschieben, sagt die Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät, Professor Dr. Martina Kadmon. In der Hebammenschule haben die Schülerinnen 1600 Stunden Theorie und 3000 Stunden Praxis. Die akademische Ausbildung wird 4600 Stunden betragen, wovon 2200 Stunden theoretischer und 2200 Stunden praktischer Natur sein werden. 200 Stunden seien noch nicht festgelegt.
Allerdings bedeute dieser Verschiebung nicht, dass künftig die Praxis vernachlässigt wird, sagt Kadmon. So finde ein wichtiger Teil der akademischen Ausbildung an der Medizinischen Fakultät praktisch in modernen SimulationszenMit tren statt. Dort könnten die werdenden Hebammen an Modellen einzelne Schritte immer und immer wieder üben, bis sie sitzen. Die Zentren werden interdisziplinär eingesetzt, sodass werdende Hebammen an der Seite von Medizinstudenten und Pflegern üben können. „Das ist ein enormer Vorteil und bringt viel Sicherheit“, so die Gründungsdekanin. „Künftig können die Studentinnen in der Praxis sehr viel verantwortlicher eingesetzt werden, weil sie von Anfang an sehr viel Übung haben.“In Zukunft werde außerdem die Versorgungsforschung eine größere Rolle spielen, glaubt Kadmon. Akademisch ausgebildete Hebammen könnten verstärkt wissenschaftliche Fragestellungen bearbeiten und aus den Erkenntnissen die Versorgung von Mutter und Kind weiter entwickeln.
Dass die Ausbildung neu aufgestellt wird, heiße nicht, dass die traditionell ausgebildeten Hebammen unterqualifiziert sind. „Unsere Hebammen sind toll“, betont die Professorin. Doch auch in der Geburtshilfe werde alles komplexer. „Dem müssen wir Rechnung tragen.“