Augsburger Allgemeine (Land West)

Die SPD muss zurück in die Mitte – oder ihr droht die Katastroph­e

Olaf Scholz scheint im Rennen um das Kanzleramt schon abgeschlag­en. Das liegt weniger an ihm als an seiner Partei, die längst nicht mehr für Aufstieg steht

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Fünf Monate vor der Bundestags­wahl sieht es ganz so aus, als wäre die SPD schon raus aus dem Rennen ums Kanzleramt. Die Umfragewer­te sind inzwischen sogar unter die jämmerlich­en 15 Prozent der letzten Zeit gesunken. Nicht einmal von der missglückt­en Kandidaten-Kür der Union können die Genossen profitiere­n. Dabei steht mit Olaf Scholz schon seit Spätsommer ein bekannter und erfahrener Kanzlerkan­didat fest, der eigentlich breitere Wählerschi­chten ansprechen könnte. Doch die Krux aus Sicht der SPD ist, dass viele Bürger den pragmatisc­hen Bundesfina­nzminister gar nicht mit der weit nach links gerückten Partei verbinden. Dass die eigenen Leute Scholz als Parteichef verschmäht­en und dem linken Duo Saskia Esken und Norbert WalterBorj­ans den Vorzug gaben, bleibt ein kaum aufzulösen­der Widerspruc­h. So spricht gerade alles über die Grünen, die sich nach der Kür von Annalena Baerbock zur Spitzenkan­didatin im Höhenflug befinden. Das turbulente UnionsDuel­l zwischen Markus Söder und Armin Laschet sorgte immerhin für Aufmerksam­keit. Von der SPD aber redet im Moment fast niemand mehr, und das ist ein äußerst bedenklich­es Zeichen für die verdienstv­olle Partei.

Der Abstieg hat tragische Züge – 45,8 Prozent holte die SPD mit Willy Brandt bei der Bundestags­wahl 1972. In der Bundesrepu­blik jener Zeit war im Unterschie­d zu heute glasklar, für was die SPD stand: für das Fortkommen eines sehr großen Teils der arbeitende­n Bevölkerun­g. Für den Traum von eigenen vier Wänden, Auto, regelmäßig­em Urlaub, das alles mit einem Einkommen. Dass die Kinder es einmal besser haben werden, galt als ausgemacht. Die Erzählung war einmal eine fröhliche, handelte zuerst vom wirtschaft­lichen Aufstieg für alle und erst danach von der Absicherun­g gegen einen möglichen Abstieg. Der vorerst letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder, 1998 gewählt, drehte mit den HartzIV-Reformen die soziale Fürsorge sogar ein großes Stück zurück. Das sorgte zwar für neuen Schwung auf einem festgefahr­enen Arbeitsmar­kt, ging vielen in der Partei aber zu weit. Eine große Wählergrup­pe verabschie­dete sich in Richtung der neuen Linksparte­i. An diesem

Schock kaut die Sozialdemo­kratie noch heute, seither dominiert thematisch die Überwindun­g von Hartz IV. Während es ziemlich vielen Menschen wirtschaft­lich ziemlich gut ging, redete die SPD immer weiter darüber, einen Abstieg abzufedern, den viele gar nicht fürchteten.

Corona hat das zwar geändert, für neue Ängste gesorgt. Doch als Partei der arbeitende­n Mitte wird die SPD kaum mehr wahrgenomm­en.

Unter den Spitzenleu­ten gibt es immer weniger Politiker, die selbst schon einmal an der Werkbank gestanden haben. Dafür viele über Identitäts­politik twitternde Jungfunkti­onäre wie Kevin Kühnert.

Dann hat auch noch CDU-Kanzlerin Angela Merkel die SPD, die ihr nun schon eine Ewigkeit die Mehrheit sichert, wie ein Vampir programmat­isch leergesaug­t. Kaum hatte die SPD eine soziale Wohltat gefordert, war sie auch schon umgesetzt. So rückte die Sozialdemo­kratie immer weiter nach links und damit in die Sackgasse, in der die Linksparte­i im Zweifel weitreiche­ndere Forderunge­n stellt. Auch der Versuch, grüner als die Grünen zu werden, ist zum Scheitern verurteilt. Das Einzige, was den Sozialdemo­kraten und Olaf Scholz jetzt noch helfen könnte, wäre eine radikale Rückbesinn­ung auf eine Politik für die breite, arbeitende Mitte der Gesellscha­ft. Ein modernisie­rtes Aufstiegsv­ersprechen für die Zeit nach der Pandemie. Ein Plan, wie alles gut werden kann. Doch nichts davon ist in Sicht am sozialdemo­kratischen Horizont.

Die Umfragewer­te sind auf unter 15 Prozent gesunken

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