Augsburger Allgemeine (Land West)
Vom Kiosk ins ARD-Studio
Linda Zervakis wird an diesem Montagabend zum letzten Mal die Nachrichten in der „Tagesschau“präsentieren. Was sie zum Abschied wohl sagen wird?
Wenn „Tagesschau“-Sprecherinnen oder -Sprecher aufhören, ist das immer eine Nachricht. Und ein Ereignis. Als Jan Hofer zum Beispiel im Dezember ein letztes Mal die Nachrichten präsentierte, schnellte die Zuschauerzahl über alle ARD-Sender hinweg von sonst etwa zehn Millionen auf knapp 15 Millionen hoch. Hofer hatte fast 36 Jahre lang den Menschen das Nachrichtengeschehen ins Wohnzimmer gebracht. Zum Abschied legte der stets akkurat gekleidete „Mister Tagesschau“sichtlich berührt seine Krawatte ab.
Linda Zervakis präsentierte acht Jahre lang die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“. Nur acht Jahre, muss man schreiben. Denn die Nachrichtensendung ist eine Institution, der üblicherweise kein Journalist schnell den Rücken kehrt. Insofern löste die Nachricht von ihrer
Entscheidung vor zwei Wochen einiges Rätselraten aus. Dabei ist es geblieben. Sie möchte sich auf eigenen Wunsch hin beruflich verändern, hieß es nur. Ob sie künftig häufiger Unterhaltungsshows wie die deutschen Vorentscheide zum Eurovision Song Contest moderieren wird? Oder ihre Podcast-Aktivitäten ausbaut? Ihr AudioFormat „Linda Zervakis präsentiert: Gute Deutsche“jedenfalls ist ein Erfolgsformat und nominiert für den „Deutschen Podcast Preis“.
Sie redet darin mit Promis, die einen Migrationshintergrund haben – und wie sie das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Linda Zervakis wurde 1975 in Hamburg geboren und hat zwei Brüder. Ihre Eltern waren in den 60ern aus Griechenland nach Deutschland gekommen, als Gastarbeiter. Später hatten sie einen Kiosk. Als sie 14 war, starb ihr Vater an Krebs. „Von da an bin ich erwachsen gewesen“, erzählte Zervakis einmal. Ihrer Mutter half sie mit fast 30 Jahren noch im Kiosk aus. Einen Studienplatz in Berlin nahm sie nicht an, um bei ihr in Hamburg sein zu können. Nach wie vor lebt sie dort.
Ihre Eltern hätten ihr immer gesagt: „Wir wollen hier nicht auffallen, also musst du gut in der Schule sein“, erzählte sie weiter, und bezeichnete sich selbst als
„Arbeitstier“. Nach einem Praktikum in einer Werbeagentur arbeitete sie als Werbetexterin. 1998 folgte ein Volontariat, eine Redakteursausbildung, beim Radiosender Energy Hamburg. 2001 kam sie zum NDR, dann zum Nachrichtenkanal Tagesschau24, schließlich zum „Tagesschau“-Team um Chefsprecher Jan Hofer. Medien hätten sich damals auf sie gestürzt, auf sie, die „erste ,Tagesschau’-Sprecherin mit Migrationshintergrund“. Sie war davon genervt. Aber sie nahm es auch mit Humor und mit Offenheit. Diese Haltung wird sie gewiss ihren beiden Kindern, 9 und 6, zu vermitteln suchen.
„Guten Abend, meine Damen und Herren, machen Sie es gut“, sagte Jan Hofer am Schluss seiner letzten „Tagesschau“. Was wohl Linda Zervakis an diesem Montagabend sagen wird? Daniel Wirsching