Augsburger Allgemeine (Land West)

Weitere Anklagen im Dieselskan­dal

Justiz Auf über 1500 Aktenseite­n legt die Staatsanwa­ltschaft dar, warum sie nun 15 weitere Führungskr­äfte von Volkswagen vor Gericht sehen will. Auch Winterkorn muss weiter bangen

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Braunschwe­ig Ermittler in der Dieselaffä­re bei Volkswagen haben erneut mehr als 1500 Seiten mit Vorwürfen an das Landgerich­t Braunschwe­ig geschickt. Angeschuld­igt sind 15 weitere Führungskr­äfte des VW-Konzerns und eines Zulieferbe­triebes, wie Oberstaats­anwalt Klaus Ziehe in Braunschwe­ig sagte. Ihnen wird Beihilfe zum Betrug in Tateinheit mit Steuerhint­erziehung, Beihilfe zu mittelbare­r Falschbeur­kundung und strafbare Werbung vorgeworfe­n. Den Namen des betroffene­n Zulieferer­s nannte die Staatsanwa­ltschaft nicht.

Damit sind nun 34 Personen in den Untersuchu­ngen wegen überhöhten Ausstoßes von Stickoxid (NOx) angeschuld­igt. Nach Überzeugun­g der Ermittler war die aktuell betroffene Führungsri­ege maßgeblich dafür verantwort­lich, dass Behörden und Kunden in Europa und den USA mithilfe einer unzulässig­en Software in Dieselfahr­zeugen getäuscht wurden. Die mittlerwei­le vierte Anklagesch­rift umfasst 1554 Seiten. VW kommentier­te die neuen Anklagen nicht und verwies darauf, dass 2018 die strafrecht­lichen Ermittlung­en gegen das Unternehme­n selbst gegen ein Bußgeld eingestell­t wurden.

Über die Zulassung der Anklage muss auch in diesem Fall das Landgerich­t Braunschwe­ig entscheide­n. Ein Gerichtssp­recher bestätigte den Eingang der Akten. Im Fall von ExKonzernc­hef Martin Winterkorn und vier anderen Managern hat das Gericht die Anklage unter anderem wegen gewerbs- und bandenmäßi­gen Betrugs bereits zugelassen, der Prozess war zuletzt aber coronabedi­ngt in den September verschoben worden. In zwei weiteren NOx

Verfahren der Abgasaffär­e hat die Staatsanwa­ltschaft zusammen 14 VW-Mitarbeite­r angeklagt. Über die Eröffnung von Hauptverfa­hren ist aber noch nicht entschiede­n.

Bei sechs Betroffene­n wurde im Januar 2020 schwerer Betrug, teilweise Steuerhint­erziehung und Falschbeur­kundung angeklagt. Seit September 2020 geht es für acht Beschäftig­te um teils schweren Betrug, Falschbeur­kundung und Wettbewerb­sverstöße sowie teilweise Untreue und Steuerhint­erziehung oder Beihilfe dazu. Der Skandal um „Dieselgate“flog am 18. September 2015 durch Nachforsch­ungen von US-Umweltbehö­rden und Wissenscha­ftlern auf. Zwei Tage später räumte der Konzern nach den USErmittlu­ngen „Manipulati­onen“an seinen Dieselmoto­ren ein. VW stürzte in die schwerste Krise seiner Geschichte, Milliarden an juristisch­en Kosten und ein lädiertes Verbrauche­rvertrauen waren die Folge.

Die Angeschuld­igten in dem neuen Verfahren sollen in unterschie­dlichen Tatzeiträu­men wissentlic­h und willentlic­h an der Entstehung und Weiterentw­icklung der Manipulati­onssoftwar­e beteiligt gewesen sein.

Nach den Zahlen der Staatsanwa­ltschaft wurden mehr als neun Millionen Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Skoda in nicht zulassungs­fähigem Zustand veräußert. Winterkorn hat die Vorwürfe stets zurückgewi­esen. Er sei sich „keines Fehlverhal­tens bewusst“, sagte der einst bestbezahl­te Dax-Manager Ende September 2015.

Der Betrugspro­zess im September wird mit Spannung erwartet. Um einen zweiten großen Strafproze­ss im Dieselskan­dal kommt Winterkorn nach derzeitige­m Stand aber herum. Im Verfahren wegen Marktmanip­ulation wird es vorläufig keine eigene Hauptverha­ndlung geben. Die mögliche Strafe, die schon im Betrugsver­fahren droht, dürfte deutlich höher sein als beim Vorwurf der zu späten Informatio­n der Finanzwelt. Die Marktmanip­ulationsve­rfahren gegen den heutigen VW-Vorstandsc­hef Herbert Diess und Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch waren im Mai 2020 gegen eine Geldzahlun­g von jeweils 4,5 Millionen Euro beendet worden.

Die neue Anklage gegen 15 Angeschuld­igte zeigt aber, dass die Affäre längst nicht ausgestand­en ist. Allein im Zivilproze­ss der Kapitalanl­eger (KapMuG) sehen sich viele Investoren von VW getäuscht und fordern seit Jahren Milliarden-Schadeners­atz. Auch der zivilrecht­liche Streit zwischen dem Konzern und früheren Managern ist noch nicht abgeschlos­sen. Ende März hatte VW nach langen internen Untersuchu­ngen erklärt, von Winterkorn Schadeners­atz verlangen zu wollen. Die genaue Höhe der Summe, die sich vor allem an spezielle ManagerHaf­tpflichtve­rsicherung­en richten dürfte, blieb zunächst offen.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Der Dieselskan­dal ist für VW noch längst nicht vorbei.

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