Augsburger Allgemeine (Land West)
Statt Whatsapp WirtschaftsGrüße auf Postkarten
Geschichte Vor gut 100 Jahren schrieben Lokalbesucher gerne Postkarten auf Biertischen. Unsere Vorfahren hatten dabei reichlich Auswahl, denn 1914 gab es in Augsburg 593 gastronomische Adressen
Vor 120 Jahren hielten viele Augsburger Gaststätten und Weinstuben Bildpostkarten bereit. Darauf schrieben Gäste am Tisch Kurznachrichten, die meist am nächsten Tag den Empfänger erreichten. Als „Wirtschaftsgrüße“gingen solche Karten in den Sprachgebrauch ein. Zwischen 1895 und 1914 waren sie ungeheuer beliebt. Saßen Uropa und Uroma mit Freunden gemütlich in einer Weinstube, einer Wirtschaft oder im Biergarten, ließen sie eine „Hauspostkarte“an den Tisch bringen. Mit Bleistift schrieben sie Grüße an Bekannte und Freunde. Häufig unterschrieb die gesamte Tischrunde. Solche Grußkarten sind erhalten.
Vor 1905 versandte „Wirtschaftsgrüße“sind ausschließlich auf der Bildseite beschrieben. Dafür war eine kleine Fläche unbedruckt geblieben. Die postalische Vorschrift lautete: Die gesamte Anschriftseite ist der Adresse, der Briefmarke sowie Abgangsund Eingangsstempeln vorbehalten. Ab Februar 1905 begnügte sich die Post auf ihrer Seite mit einem kleineren „Amtsbereich“und verzichtete auf den Ankunftsstempel des Zielpostamtes. Neben der Empfänger-Anschrift gab es ein Feld für Mitteilungen, und die gesamte Bildseite durfte bedruckt werden.
Das Smartphone hat die Funktion dieser Wirtschaftsgrüße übernommen: ein Selfie mit Kurztext aus einer „Event Location“. Es kommt zudem in Echtzeit an. Meist werden die Grüße nach kurzer Zeit gelöscht. Dagegen haben Abertausend der vor über einem Jahrhundert versandten Grußkarten bis heute überlebt. Sie sind dank der Abbildungen und der Mitteilungen längst zeitgeschichtliche Dokumente. Sie machen das Freizeitverhalten unserer Vorfahren in Gaststätten, Weinstuben, Sälen und Biergärten anschaulich.
Unsere Ahnen hatten in Augsburg eine riesige gastronomische Auswahl. Darüber informierten schon vor 200 Jahren „Augsburger Adreßkalender“im Hosentaschenformat. In der Ausgabe für 1824 sind 98 Bierbrauer, 24 Branntweinbrenner, 2 Branntweinschenken, 8 Kaffeeschenken, 27 Platzwirte, 11 Gasthöfe und 17 Weinwirte mit Adresse aufgeführt. Adressbücher sind in späteren Jahrzehnten die umfassenden Informationsquellen.
Bildpostkarten sind ein reichlich überliefertes Anschauungsmaterial. Nach 1890 entdeckten AusflugsGaststätten, Brauereien und Wirtschaften die Postkarte als Werbeträger. Das Kurhaus in Göggingen ist ab 1893 und die „Restauration am Hochablass“ab 1895 auf Postkarten überliefert. Diese frühen „Wirtschaftsgrüße“sind Lithografien
Auf den meist bunten Karten sind in Minischrift Augsburger Lithografie-Anstalten als Hersteller zu identifizieren. Sie waren die „Propagandisten“für solche Bildpostkarten. Buchdruckereien zogen mit preiswerten einfarbigen Fotodrucken nach. Solche „Hauspostkarten“orderten auch weniger frequentierte Lokale.
Stadtnahe Vergnügungs- und Ausflugsziele sind mit zahlreichen Motiven überliefert. Augsburger Brauereien ließen Grußkarten drucken, ebenso Weinstuben, Saalbauten und Gartenlokale. Ob sämtliche Augsburger Gaststätten auf „Wirtschaftskarten“überliefert sind, ist nicht bekannt. Doch es waren sehr viele. Das belegt die Vielzahl erhaltener Postkarten.
Die hohe Anzahl von „Wirtschaftsgrüßen“ist erklärlich: Es gab ungeheuer viele gastronomische Adressen in Augsburg! Ihre Anzahl vermehrte sich im 19. Jahrhundert mit dem Bevölkerungswachstum: 1830 hatte Augsburg rund 29.000 Einwohner. Dazu kamen 1600 Soldaten. 1860 waren fast 38.000 Einwohner registriert, im Jahr 1880 bereits 59.000 sowie rund 2500 Soldaten. 89.000 Menschen lebten anno 1900 in Augsburg. Das Adressbuch für 1900 führt 478 gastronomische Betriebe auf. Es sind 66 Bierbrauer, 305 Wirte, 18 Cafetiers und „Restaurateurs“, 12 Hotels und Gasthöfe sowie 77 Weinhändler und Weinlokale.
Ein 1900 gedruckter Stadtführer empfiehlt auch die Freiluft-Gastronomie: „Augsburg besitzt eine große Anzahl herrlicher schattiger Gärten, die an heißen Sommertagen kühlen Aufenthalt bieten!“21 Gar(Steindrucke). tenlokale sind anno 1900 mit Namen genannt. Dort werde „Bier von guter Qualität, in einzelnen sogar ein Stoff von ganz hervorragender Güte“ausgeschenkt. Die Gäste saßen in Biergärten unter Kastanienbäumen oder in offenen Gartenhäusern aus Holz. In höher gelegenen Stadtbereichen befanden sich unter den Bäumen Bierlagerkeller. Kellerfrisch gezapftes Bier war beliebt.
Im Jahr 1911 wurde Augsburg Großstadt. Das heißt, die Einwohnerzahl war über 100.000 gestiegen. Durch die Eingemeindungen von Lechhausen, Hochzoll, Pfersee und Oberhausen vergrößerte sich Augsburg bis 1914 auf 145.000 Bewohner. Von nun an sind auch die Lokale in den neuen Stadtteilen in Augsburger Adressbüchern aufgelistet: vom „Gasthaus zum Ackersmann“bis „Zum äußeren Zoll“.
Insgesamt gab es 1914 exakt 593 Ess- und Trinkadressen in „GroßAugsburg“: 35 Braunbier-Brauereien, fünf Weizenbierbrauereien, 433 Bier-, Gast- und Platzwirte, 17 Weizenbier- und 14 Branntweinschenken, zwölf Gasthöfe mit Fremdenzimmern und Hotels, 50 Weinrestaurationen und Weinschenken sowie 27 Café-Restaurants. Viele von ihnen hinterließen „Hauspostkarten“mit Abbildungen der Lokalitäten.
Diese Postkarten sind nicht nur für Sammler, sondern auch für Historiker interessant. Familienforscher illustrieren gerne die Lebensläufe ihrer Vorfahren mit Abbildungen von deren Ausflugs- und Vereinslokalen. Oftmals enthalten Familienalben solche Grußkarten, die ein Familienmitglied beschrieben hatte.