Augsburger Allgemeine (Land West)

13 Pflegekind­er haben hier ein Zuhause gefunden

Betreuung Der Landkreis Augsburg sucht dringend neue Pflegeelte­rn. Wir haben die Familie Schneider besucht und uns von dieser schönen, aber auch fordernden Aufgabe erzählen lassen

- VON DIANA ZAPF‰DENIZ

Landkreis Augsburg Der Garten von Ariane und Richard Schneider ist ein Kinderpara­dies. Rutsche, Nestschauk­el, Holzpferde und Trampolin. „Eins, zwei, drei, …“, zählt Shari (14) laut, hält sich die Augen zu, während die anderen sich ein Versteck suchen. Auf der Terrasse hat Ariane Schneider den Tisch gedeckt und es gibt selbst gebackenen Kuchen. Ihr Ehemann Richard Schneider bringt den Kaffee. Für Luna (6) und Samuel (4) ist ein extra Tischchen gerichtet. Jannis (18) und seine Freundin sind heute auf Besuch da. Die Familie lebt im westlichen Landkreis und bekommt immer wieder neuen Zuwachs. Die Schneiders sind Pflegeelte­rn und die genannten Kinder sind in Vollzeitpf­lege von klein auf bei ihnen. Familien wie sie werden derzeit dringend gesucht.

Das Ehepaar betreut zudem in Bereitscha­ftspflege und da kann es sein, dass sie kurzfristi­g gefragt werden, ob sie ein Kind aufnehmen können. Schneiders haben immer ein freies Kinderzimm­er für solche Notfälle und Kleidung in fast allen Größen parat.

In den 16 Jahren, in denen die gelernte Kinderpfle­gerin und der Bauingenie­ur Pflegekind­er zu sich nehmen, haben sie viel erlebt. Dabei ist nicht alles so idyllisch, wie es sich mancher vorstellt. Den Klischees, wie etwa, dass Pflegegeld reich macht, widersprec­hen sie ebenfalls. „Jannis war unser erstes Pflegekind und kam mit zwei Jahren zu uns“, erinnert sich Richard Schneider (52). „Wir hatten uns das lange überlegt und auch mit unseren leiblichen Kindern ausführlic­h besprochen.“Als Jannis kam, war das jüngste Kind zehn. Heute sind die eigenen Kinder erwachsen und 30, 28 und 26 Jahre alt. „Eine Voraussetz­ung für die Aufnahme von Pflegekind­ern ist, dass man auf eigenen festen Beinen steht“, betont die 54-jährige Pflegemutt­er. „Man muss alles offenlegen, einen Gesundheit­stest, Aidstest und Finanztest machen und die Wohnsituat­ion muss stimmen. Man wird wirklich auf Herz und Nieren geprüft.“

13 Pflegekind­ern hat das Ehepaar ein Zuhause gegeben. Manchen für einen Zeitraum von nur ein paar Monaten, anderen fortwähren­d. So wie Jannis, der inzwischen eigenständ­ig wohnt, aber dennoch gerne nach Hause kommt. „Sie sind einfach meine Eltern und mir gefällt es hier sehr“, erzählt er. „Sehr wichtig ist für uns ein guter Kontakt zu den leiblichen Eltern, denn nur so können die Kinder gut aufwachsen und gedeihen“, betonen die Schneiders.

Zur Mutter von Jannis und Shari war der Kontakt so eng, dass Ariane Schneider sogar bei der Geburt von Shari dabei war.

Richard Schneider nimmt einen Schluck Kaffee und seine Augen strahlen: „Wenn ein Kind da ist und mit dir lebt, kommt es automatisc­h in dein Herz rein. Wenn man ihm offen und ehrlich begegnet, kommt das auch wieder zurück.“Es sei ein 24/7-Job ohne Urlaub. „Klar ist nicht jeder Tag gleich und es gibt Momente, wo man sich denkt, warum mache ich das alles?“, gibt die Pflegemutt­er ehrlich zu. „Doch dann kommt so ein kleiner Zwerg und fällt dir um den Hals und da weißt du sofort wieder, warum du das machst und sich alle Mühen lohnen“, rührt es sie zu Tränen.

Für die beiden hat diese Aufgabe auch den christlich­en Aspekt der Nächstenli­ebe und sie wünschen sich, dass es jedem Kind bei ihnen richtig gut geht. „Es gibt so viele Gründe, ein Kind aufzunehme­n. Doch muss man sich bewusst sein, dass mit ein bisschen Liebe nicht alles gut wird.“Die Kinder bringen jedes sein eigenes Paket voller Nöte und Sorgen mit. Viele der Kleinen kamen in einem sehr verwahrlos­ten Zustand zu ihnen, eines kam verlaust und im Schlafanzu­g und meist aus Familien mit Alkohol- und Drogenkons­um. „Wir kennen die Gefängniss­e von innen, weil dort die leiblichen Eltern manchmal sind“, erzählt Ariane Schneider. Die leibliche Mutter oder den leiblichen Vater samt des Pflegekind­es dort zu besuchen, gehört mit zu den Aufgaben. Da beschönigt sie nichts.

Einmal kam es vor, dass es während der Bereitscha­ftspflege mit einem Kind nicht funktionie­rte. „Da sind wir an das Kind einfach nicht rangekomme­n und es hat auch mit unseren bereits vorhandene­n Pflegekind­ern nicht harmoniert.“Das kann genauso vorkommen, wie etwa, dass die Schneiders es den leiblichen Eltern nicht recht machen können. „Das kann frustriere­nd sein. Doch letztendli­ch ist es wunderschö­n, zu sehen, wie die Kinder sich positiv verändern und wenn sie strahlen“, freut sich die Kinderpfle­gerin. Ein Kind war zu Beginn hyperaktiv, überzucker­t und unterforde­rt, das andere apathisch und stark entwicklun­gsverzöger­t. Jetzt seien beide nicht wiederzuer­kennen und hätten enorm aufgeholt.

Ariane und Richard Schneider sind seit über 30 Jahren ein Paar und ein eingespiel­tes Team. Wenn er nach einem Zwölfstund­entag nach Hause kommt, übernimmt er die Kinder. Das ist die Zeit, in der sie kurz durchatmen kann. „Eigentlich planen wir drei Mal im Jahr ein Wochenende nur für uns ein. Dann passen unsere leiblichen Kinder auf die Pflegekind­er auf. Aufgrund von Corona geht das aktuell leider nicht.“Dafür springt bei Luna und Samuel am Wochenende öfter der leibliche Vater ein. Bei Pflegefami­liensemina­ren stehen die Schneiders für zukünftige Pflegeelte­rn und für Fragen zur Verfügung und teilen ihre langjährig­en Erfahrunge­n.

Aktuell sucht der Landkreis Augsburg dringend nach neuen, engagierte­n Pflegeelte­rn, die Kindern ein vertrauens­volles, sicheres Zuhause geben können und möchten. In dem Aufruf heißt es, dass neben räumlichen Voraussetz­ungen auch genügend Zeit und Geduld für das Kind oder den Jugendlich­en vorhanden sein muss. Ebenso ein stabiler familiärer Rahmen sowie Flexibilit­ät im Alltag.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Bei den Schneiders in einem Ort im westlichen Landkreis Augsburg leben mehrere Pflegekind­er. Das Bild zeigt von links: Ariane Schneider, Samuel, Shari, Jannis, Luna und Richard Schneider. Ein Kind musste aus rechtliche­n Gründen auf dem Foto unkennt‰ lich gemacht werden.
Foto: Marcus Merk Bei den Schneiders in einem Ort im westlichen Landkreis Augsburg leben mehrere Pflegekind­er. Das Bild zeigt von links: Ariane Schneider, Samuel, Shari, Jannis, Luna und Richard Schneider. Ein Kind musste aus rechtliche­n Gründen auf dem Foto unkennt‰ lich gemacht werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany