Augsburger Allgemeine (Land West)

Freiheiten für Geimpfte?

Sollen Geimpfte mehr Rechte haben als diejenigen, die noch nicht an der Reihe waren? Die Meinungen zu dieser Frage gehen auch im Augsburger Land auseinande­r

- VON REGINE KAHL, MARCO KEITEL UND PHILIPP KINNE

Sollen Geimpfte mehr Rechte haben? Die Meinungen zu dieser Frage gehen auch im Augsburger Land weit auseinande­r.

Landkreis Augsburg Beim jüngsten Impfgipfel gab es keinen Beschluss, doch die Debatte nimmt an Fahrt auf. Während die einen auf Solidaritä­t pochen, sehen die anderen keine Rechtferti­gung für schwerwieg­ende Grundrecht­seingriffe für Geimpfte. Erste Lockerunge­n gibt es seit Mittwoch beim Einkaufen. Wer bereits beide Impfungen hinter sich hat, braucht keinen negativen Schnelltes­t mehr zum Shoppen. Ansonsten gelten allerdings weiterhin die gleichen Regeln. Ist das fair? Unsere Redaktion hat sich bei Vertretern unterschie­dlicher Branchen umgehört:

● Das sagt der Arzt Für Dr. Jakob Berger, Bezirksvor­sitzender für Schwaben beim Bayerische­n Hausärztev­erband, ist es noch zu früh für neue Freiheiten. Er sagt: „Solange noch ein großer Teil kein Angebot zur Impfung hat, sollte es keine Privilegie­n geben.“Erst wenn etwa 70 Prozent geimpft seien, könne sich der Hausarzt Lockerunge­n vorstellen. „So lange sollten wir alle solidarisc­h bleiben“, meint Berger. Falls ein großer Teil der Bevölkerun­g eine Impfung verweigern würde, wäre die Lage anders zu bewerten. Doch solange die meisten noch auf ein Angebot zur Impfung warten müssen, wären neue Freiheiten für den Hausarzt ein falsches Signal.

● Das sagt der Geimpfte Der 80-jährige Wolfgang Kerndl aus Gablingen versteht nicht, weshalb er sich nicht mit ebenfalls geimpften Freunden treffen darf. „Warum bin ich geimpft, wenn alles so bleibt wie vorher?“, fragt er. Was ihm fehlt, ist vor allem die Geselligke­it im Restaurant oder in größerer Runde bei Freunden und Verwandten. Dass er zumindest bei Geschäften keinen Schnelltes­t mehr vorzeigen muss, ist für Kerndl ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings: „Warum nur in Bayern?“

● Das sagt der Pfarrer Der katholisch­e Dekan Thomas Pfefferer hält Lockerunge­n für Geimpfte für angebracht. Der Pfarrer von Violau sagt, es sei richtig, Menschen, die sich zur Impfung anmelden, zu belohnen – für den Aufwand und dafür, dass sie das tun, was für die Gemeinscha­ft gut sei. „Das ist ganz biblisch: Es gibt immer die, die schon da sind. Und die anderen kommen halt später.“Querdenker müssten sich durch ihre Sturheit eben hinten anstellen. Die Belohnung für Geimpfte könne das Essen im Restaurant, eine kleine Reise, oder der Besuch von Angehörige­n im Pflegeheim sein. Der Dekan findet die Idee eines europaweit einheitlic­hen, digitalen Impfpasses interessan­t.

● Das sagt die Händlerin Sabine Baur von Baur-Vereinsspo­rt in Gersthofen würde Geimpfte gerne in ihren Laden lassen. „Ich find’s richtig, dass Geimpfte mehr Rechte haben, damit das normale Leben zurückkehr­t“, sagt sie. Aber: Dann müsse jeder die Chance auf eine Impfung bekommen. Aus wirtschaft­licher Sicht würde es sich für sie lohnen, ihren Laden für diejenigen zu öffnen, die schon gegen Corona immunisier­t sind, sagt Baur.

● Das sagt der Kinobetrei­ber Alexander Rusch, der Kinos in Königsbrun­n und Meitingen betreibt, versteht beide Seiten der Diskussion. Er könne nachvollzi­ehen, dass Geimpfte sich fragen, weshalb sie ihre Rechte nicht zurückbeko­mmen. Anderersei­ts sieht der Kinobetrei­ber Schwierigk­eiten, wenn es vor der Aufhebung der Priorisier­ung zu viele Lockerunge­n für Geimpfte gebe. Eine Öffnung der Kinos nur für Menschen, die schon beide Spritzen bekommen haben, mache aktuell wirtschaft­lich wenig Sinn, vor allem wenn, wie vergangene­s Jahr, kein Popcorn verkauft werden dürfe. In der Zwischenze­it konzentrie­rt Rusch sich auf Renovierun­gsarbeiten in seinen Kinos und auf den Snack-Lieferserv­ice, bei dem etwa Menschen im Raum Königsbrun­n und im Raum Meitingen Süßes für den Filmabend daheim bestellen können.

● Das sagt der Bürgermeis­ter Gersthofen­s Bürgermeis­ter Michael Wörle sagt: „Diejenigen, die andere nicht mehr gefährden, sollten das Recht haben, wieder zu tun, was sie möchten.“Nur, ab wann Geimpfte wieder mehr dürfen, sei schwer festzulege­n. Deshalb sagt der Politiker: „Ich plädiere dafür, so schnell wie möglich zu impfen und die Ärzte stark miteinzubi­nden.“Wenn alle geimpft seien, stelle sich die Frage, wer Vorteile bekomme, nicht mehr. Bis dahin wünscht Wörle sich individuel­le Lösungen. Er verstehe nicht, wieso die gleichen Beschränku­ngen für die Außen- und Innengastr­onomie oder für Tennis, wo die Spieler leicht Abstand halten können, und den Mannschaft­ssport Fußball gelten. „In Berlin wurde versäumt zu differenzi­eren.“

● Das sagt die Thermen‰Betreiberi­n Bei der Titania-Therme in Neusäß haben bereits Geimpfte nachgefrag­t, ob und wann sie wieder ins Bad kommen dürfen. Die stellvertr­etende Betriebsle­iterin Petra Voßiek muss diese Gäste noch enttäusche­n, da der Einlass aktuell für niemanden erlaubt ist. Ihrer Meinung nach käme ein solches Privileg für Geimpfte noch zu früh, da erst zu wenig Menschen den Vorzug bekämen. Das erzeuge bei anderen, die sich auch noch gerne impfen lassen würden, ein Gefühl der Ungerechti­gkeit, findet Voßiek. Sie geht aber davon aus, dass längerfris­tig gesehen ein Impfpass wieder Freiheiten beim Besuch von Freizeitei­nrichtunge­n ermögliche­n wird, und das sei gut so.

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Foto: Marcus Merk (Archivbild) Sollten Geimpfte mehr Rechte haben als diejenigen, die noch nicht an der Reihe waren oder sich nicht impfen lassen möchten? Diese Frage sorgt für Diskussion.

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