Augsburger Allgemeine (Land West)
Freiheiten für Geimpfte?
Sollen Geimpfte mehr Rechte haben als diejenigen, die noch nicht an der Reihe waren? Die Meinungen zu dieser Frage gehen auch im Augsburger Land auseinander
Sollen Geimpfte mehr Rechte haben? Die Meinungen zu dieser Frage gehen auch im Augsburger Land weit auseinander.
Landkreis Augsburg Beim jüngsten Impfgipfel gab es keinen Beschluss, doch die Debatte nimmt an Fahrt auf. Während die einen auf Solidarität pochen, sehen die anderen keine Rechtfertigung für schwerwiegende Grundrechtseingriffe für Geimpfte. Erste Lockerungen gibt es seit Mittwoch beim Einkaufen. Wer bereits beide Impfungen hinter sich hat, braucht keinen negativen Schnelltest mehr zum Shoppen. Ansonsten gelten allerdings weiterhin die gleichen Regeln. Ist das fair? Unsere Redaktion hat sich bei Vertretern unterschiedlicher Branchen umgehört:
● Das sagt der Arzt Für Dr. Jakob Berger, Bezirksvorsitzender für Schwaben beim Bayerischen Hausärzteverband, ist es noch zu früh für neue Freiheiten. Er sagt: „Solange noch ein großer Teil kein Angebot zur Impfung hat, sollte es keine Privilegien geben.“Erst wenn etwa 70 Prozent geimpft seien, könne sich der Hausarzt Lockerungen vorstellen. „So lange sollten wir alle solidarisch bleiben“, meint Berger. Falls ein großer Teil der Bevölkerung eine Impfung verweigern würde, wäre die Lage anders zu bewerten. Doch solange die meisten noch auf ein Angebot zur Impfung warten müssen, wären neue Freiheiten für den Hausarzt ein falsches Signal.
● Das sagt der Geimpfte Der 80-jährige Wolfgang Kerndl aus Gablingen versteht nicht, weshalb er sich nicht mit ebenfalls geimpften Freunden treffen darf. „Warum bin ich geimpft, wenn alles so bleibt wie vorher?“, fragt er. Was ihm fehlt, ist vor allem die Geselligkeit im Restaurant oder in größerer Runde bei Freunden und Verwandten. Dass er zumindest bei Geschäften keinen Schnelltest mehr vorzeigen muss, ist für Kerndl ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings: „Warum nur in Bayern?“
● Das sagt der Pfarrer Der katholische Dekan Thomas Pfefferer hält Lockerungen für Geimpfte für angebracht. Der Pfarrer von Violau sagt, es sei richtig, Menschen, die sich zur Impfung anmelden, zu belohnen – für den Aufwand und dafür, dass sie das tun, was für die Gemeinschaft gut sei. „Das ist ganz biblisch: Es gibt immer die, die schon da sind. Und die anderen kommen halt später.“Querdenker müssten sich durch ihre Sturheit eben hinten anstellen. Die Belohnung für Geimpfte könne das Essen im Restaurant, eine kleine Reise, oder der Besuch von Angehörigen im Pflegeheim sein. Der Dekan findet die Idee eines europaweit einheitlichen, digitalen Impfpasses interessant.
● Das sagt die Händlerin Sabine Baur von Baur-Vereinssport in Gersthofen würde Geimpfte gerne in ihren Laden lassen. „Ich find’s richtig, dass Geimpfte mehr Rechte haben, damit das normale Leben zurückkehrt“, sagt sie. Aber: Dann müsse jeder die Chance auf eine Impfung bekommen. Aus wirtschaftlicher Sicht würde es sich für sie lohnen, ihren Laden für diejenigen zu öffnen, die schon gegen Corona immunisiert sind, sagt Baur.
● Das sagt der Kinobetreiber Alexander Rusch, der Kinos in Königsbrunn und Meitingen betreibt, versteht beide Seiten der Diskussion. Er könne nachvollziehen, dass Geimpfte sich fragen, weshalb sie ihre Rechte nicht zurückbekommen. Andererseits sieht der Kinobetreiber Schwierigkeiten, wenn es vor der Aufhebung der Priorisierung zu viele Lockerungen für Geimpfte gebe. Eine Öffnung der Kinos nur für Menschen, die schon beide Spritzen bekommen haben, mache aktuell wirtschaftlich wenig Sinn, vor allem wenn, wie vergangenes Jahr, kein Popcorn verkauft werden dürfe. In der Zwischenzeit konzentriert Rusch sich auf Renovierungsarbeiten in seinen Kinos und auf den Snack-Lieferservice, bei dem etwa Menschen im Raum Königsbrunn und im Raum Meitingen Süßes für den Filmabend daheim bestellen können.
● Das sagt der Bürgermeister Gersthofens Bürgermeister Michael Wörle sagt: „Diejenigen, die andere nicht mehr gefährden, sollten das Recht haben, wieder zu tun, was sie möchten.“Nur, ab wann Geimpfte wieder mehr dürfen, sei schwer festzulegen. Deshalb sagt der Politiker: „Ich plädiere dafür, so schnell wie möglich zu impfen und die Ärzte stark miteinzubinden.“Wenn alle geimpft seien, stelle sich die Frage, wer Vorteile bekomme, nicht mehr. Bis dahin wünscht Wörle sich individuelle Lösungen. Er verstehe nicht, wieso die gleichen Beschränkungen für die Außen- und Innengastronomie oder für Tennis, wo die Spieler leicht Abstand halten können, und den Mannschaftssport Fußball gelten. „In Berlin wurde versäumt zu differenzieren.“
● Das sagt die ThermenBetreiberin Bei der Titania-Therme in Neusäß haben bereits Geimpfte nachgefragt, ob und wann sie wieder ins Bad kommen dürfen. Die stellvertretende Betriebsleiterin Petra Voßiek muss diese Gäste noch enttäuschen, da der Einlass aktuell für niemanden erlaubt ist. Ihrer Meinung nach käme ein solches Privileg für Geimpfte noch zu früh, da erst zu wenig Menschen den Vorzug bekämen. Das erzeuge bei anderen, die sich auch noch gerne impfen lassen würden, ein Gefühl der Ungerechtigkeit, findet Voßiek. Sie geht aber davon aus, dass längerfristig gesehen ein Impfpass wieder Freiheiten beim Besuch von Freizeiteinrichtungen ermöglichen wird, und das sei gut so.