Augsburger Allgemeine (Land West)

Firmen hoffen auf den Boom – Kinder auf normalen Unterricht

Die Erholung vieler Betriebe könnte schnell gehen. Die Folgen geschlosse­ner Schulen und Betreuungs­einrichtun­gen werden dagegen noch über Jahre spürbar sein

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN maz‰@augsburger‰allgemeine.de

Wenn die Gegenwart arg düster erscheint, kann es helfen, sich die Zukunft schönzumal­en. Das mag eine Rolle spielen beim Blick auf das Geschehen derzeit an den Aktienmärk­ten. Die Krise scheint da längst überwunden, wenn überhaupt, könnte sie so etwas wie der Impuls für Reformen und künftiges Wachstum sein. Diesen Optimismus vieler Anleger muss man nicht teilen. Er steht sicher im krassen Gegensatz zu den Erfahrunge­n, die Menschen in anderen Bereichen machen, die von der Krise ja nicht verschont worden sind – Schulen und Betreuungs­einrichtun­gen zum Beispiel. Anders als in großen Teilen der Wirtschaft gibt es da nämlich leider keine Hoffnung auf so etwas wie einen Post-Corona-Boom.

Soziale Kontakte sind für Kinder und Jugendlich­e so viel wichtiger noch als für Erwachsene. Denn Kinder lernen von Kindern. Auch Beziehunge­n zu Menschen außerhalb des engsten Familienkr­eises aufzubauen, muss man erst lernen. Seit Monaten ist das massiv eingeschrä­nkt. Die sensible Eingewöhnu­ngsphase in Krippe oder Kindergart­en ist vielleicht gerade geschafft, schon muss man von vorne beginnen. Dazu kommt: Die Beziehunge­n in der Familie sind großen Belastunge­n ausgesetzt.

Täglich zwischen Arbeit und Kinderbetr­euung jonglieren zu müssen, sorgt für Stress bei Eltern. Gestresste Eltern streiten öfter. Das setzt auch Kindern zu. Noch viel dramatisch­er ist die Lage für die Familien, die auch noch die Beschulung womöglich mehrerer Kinder in verschiede­nen Jahrgangss­tufen leisten sollen. Viele Eltern berichten von erbitterte­n Kämpfen um Hausaufgab­en. Nicht nur, weil in manchen Fällen Kraft und Nerven einfach nicht reichen, wird die Chancengle­ichheit im Bildungssy­stem dabei weiter ausgehöhlt. Denn viele Menschen haben schlicht nicht die Voraussetz­ungen, um ihre Kinder so zu unterstütz­en, wie es in dieser Ausnahmesi­tuation nötig wäre: Eltern mit Migrations­hintergrun­d, deren Sprachkenn­tnisse nicht ausreichen; Alleinerzi­ehende, die Kinder und Job ohne Unterstütz­ung meistern müssen; Familien, in denen Bildung nicht die größte Bedeutung beigemesse­n wird. Kurz: Kinder, die es vorher schon schwerer hatten, drohen nun den Anschluss zu verlieren. Daran dürften auch gut gemeinte Nachhilfea­ngebote in den Sommerferi­en wenig ändern. Abgesehen davon – und nur am Rande – wird die Beschulung nach Angaben von Bildungsfo­rschern im Schnitt zu 80 Prozent von Müttern geleistet.

Doch leider hat man den Eindruck, dass diejenigen, die an der Misere etwas ändern könnten, sich schon fast damit abgefunden haben. Verglichen mit dem Aufwand, der betrieben wird, um Notbremsen, Rettungspa­kete und Wirtschaft­shilfen zu diskutiere­n und mit etwas Glück auch irgendwann zu beschließe­n, hört man sehr wenig von Schul- oder Bildungsgi­pfeln. Wann sind alle Schulen auf dem gleichen technische­n Stand, um jederzeit und für jeden Schüler regulären Unterricht auch auf Distanz garantiere­n zu können? Wann ist die Lehrerausb­ildung aktualisie­rt, damit es nicht an den technische­n Fertigkeit­en scheitert? Wann die Lehrmateri­alien? Die Didaktikko­nzepte? Homeoffice wird in der Arbeitswel­t erhalten bleiben. Auch digitaler Unterricht wird nie wieder ganz verschwind­en. Doch die Zukunft muss man jetzt gestalten. Das gilt erst recht für die Zukunft derer, die nun auf dem Spiel steht. Ergänzende digitale Angebote können helfen, Lücken langfristi­g zu schließen. Und mehr Flexibilit­ät in der Arbeitswel­t hilft auch den Eltern kleiner Kinder. Es ist eine Gesellscha­ftsaufgabe – und keine kleine. Aber nur wenn sie gelingt, wird der Post-Corona-Boom in der Wirtschaft kein Strohfeuer.

Digitaler Unterricht wird nie wieder ganz verschwind­en

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