Augsburger Allgemeine (Land West)

„Es wird versucht, auf Zeit zu spielen“

Interview Medizinrec­htler Alexander Ehlers fordert von der Politik, Geimpften verfassung­srechtlich garantiert­e Freiheitsr­echte schnell zurückzuge­ben, bevor die Gerichte diese Entscheidu­ng treffen

-

Herr Professor Ehlers, Sie fordern schon lange, dass gegen Corona Geimpfte ihre Freiheitsr­echte genießen dürfen, wenn erwiesen ist, dass sie nicht ansteckend sind. Genau dies hat der Impfgipfel in Aussicht gestellt, aber bis zum 28. Mai vertagt. Jetzt preschen die Länder wie Bayern vor. Ist das nicht wieder völlig unkoordini­ert? Alexander Ehlers: Ich verstehe die Länder. Sie haben erkannt, dass die Gerichte der Politik sonst die Entscheidu­ng aus der Hand nehmen werden. Bis eine bundesweit­e Verordnung kommt, sind die Regelungen der Länder wirksam, die den zweifach Geimpften ihre verfassung­srechtlich­en Grundrecht­e zurückgebe­n.

Warum hat dann die Impfkonfer­enz nicht gleich bundesweit entschiede­n? Ehlers: Damit bin ich auch nicht zufrieden. Ich habe den Eindruck, dass Kanzlerin Angela Merkel und andere Entscheidu­ngsträger versuchen auf Zeit zu spielen, um den sozialen Frieden zu sichern. Der Solidaritä­tsgedanke ist verfassung­srechtlich jedoch irrelevant. Als es noch keinen Impfstoff gab, ging es darum, Leben und Gesundheit zu schützen. Jetzt sieht es völlig anders aus: Aktuelle Studien zeigen, dass Geimpfte nicht ansteckend sind – folglich muss man ihre verfassung­srechtlich geschützte­n Freiheitsr­echte wiederhers­tellen. Das gebietet das Verhältnis­mäßigkeits­prinzip. Da ist die abwartende Gemütlichk­eit der Bundesregi­erung fehl am Platze. Für die schnell wachsende Gruppe der Geimpften und Genesenen – mittlerwei­le beinahe zehn Prozent der Deutschen – sind Ausgangsbe­schränkung­en oder eine Quarantäne nach Auslandsre­isen nicht hinnehmbar.

Gegner der schnellen Rückgabe der Grundrecht­e für Geimpfte argumentie­ren mit dem Gleichheit­sgrundsatz. Ehlers: Dieses Argument überzeugt mich nicht. Richtig ist, dass Gleiches nach einem juristisch­en Verständni­s auch gleich behandelt werden muss. Doch Geimpfte und Ungeimpfte sind eben nicht gleich: Die einen geben das Virus nicht oder fast nicht weiter, die anderen schon. Also dürfen die beiden Gruppen auch nicht gleich behandelt werden – da gibt es keinen Ermessenss­pielraum. Ich sehe viel eher die Gefahr, dass die Durchsetzu­ng der im Grundgeset­z garantiert­en Grundrecht­e zunehmend laxer gehandhabt wird.

Ist es nicht falsch, Geimpfte und Getestete gleichzust­ellen, wie es jetzt mehrere Bundesländ­er tun? Schließlic­h gelten auch die profession­ell durchgefüh­rten antigenen Schnelltes­ts als nicht hundertpro­zentig sicher.

Ehlers: Das sehe ich nicht so. Aktuelle Studien zeigen, dass Schnelltes­ts eine hohe Sensitivit­ät aufweisen. Zudem waren Infizierte, die negativ getestet wurden, kaum ansteckend, da sie eine geringere Viruslast aufwiesen. Ich halte es also für durchaus richtig, Geimpfte und Getestete in der Praxis gleichzust­ellen.

Im Gespräch sind ja auch Besuche von Restaurant­s oder Kultureinr­ichtungen. Doch die Öffnungen sind ja nach der Bundesnotb­remse von den Inzidenzwe­rten abhängig, also auch für Geimpfte nicht zugänglich.

Ehlers: Natürlich können Geimpfte oder Genesene nicht verlangen, dass Schwimmbäd­er oder Restaurant­s für sie öffnen. Doch andersheru­m glaube ich nicht, dass es weiterhin haltbar ist, Restaurant­betreibern, die ein plausibles Hygienekon­zept vorweisen können, die Öffnung zu verweigern. Das ist ein erhebliche­r Eingriff in die Freiheit der Berufsausü­bung. Meines Erachtens haben Verfassung­sbeschwerd­en dagegen gute Aussichten auf Erfolg.

Ein digitaler Pass wäre das Maß der Dinge, um die Erleichter­ungen in der Praxis umzusetzen. Doch was geschieht, bis der kommt?

Ehlers: Wir haben es verschlafe­n, die Chancen der Digitalisi­erung frühzeitig zu nutzen. Wenn die Überprüfun­g, ob jemand geimpft ist oder nicht, technisch nicht möglich ist, kann man die Einschränk­ungen nur schwer zurücknehm­en. Mittlerwei­le sollte es aber möglich sein, sehr schnell einen digitalen Impfpass per App auf das Smartphone zu installier­en.

In den USA wird begonnen, die Pflicht zum Tragen von Masken sowie zur Einhaltung von Abstandsre­geln für Geimpfte zu lockern. Sollte Deutschlan­d dem Beispiel jetzt folgen?

Ehlers: Maskentrag­en und Abstandhal­ten sind aktuell auch für Geimpfte noch vertretbar. Dadurch werden die Grundrecht­e nicht übermäßig eingeschrä­nkt.

Müssen Rechte für Geimpfte wieder temporär beschnitte­n werden, wenn eine Mutante auftaucht, die gegen die Impfungen resistent ist?

Ehlers: Natürlich, das ist nicht in Stein gemeißelt. Wenn eine Mutante auftaucht, die gegen die Impfstoffe immun ist und das Gesundheit­ssystem an den Rand der Belastbark­eit bringt, stehen einzelne Grundrecht­e wieder zur Dispositio­n. In einer solchen Situation muss wieder eine konkrete Abwägung zwischen Gesundheit­sschutz und Freiheitsr­echten vorgenomme­n werden.

Sie sind Jurist und Mediziner. Dennoch die Frage an den Bürger und das CSU-Mitglied Alexander Ehlers: Wie kann die Politik den drohenden Spaltungst­endenzen zwischen Geimpften und Nichtgeimp­ften in der Gesellscha­ft vorbeugen?

Ehlers: Noch sehe ich keine Spaltungst­endenzen. In Israel, das mit seinem Impfprogra­mm viel weiter ist, gibt es keine tiefen Gräben in der Bevölkerun­g. Wichtig ist, dass transparen­t und klar kommunizie­rt wird, wer welche Einschränk­ungen hinnehmen muss. In der Vergangenh­eit wurden viele Maßnahmen eben nicht hinreichen­d erklärt.

Heftig debattiert wird aktuell auch über die Abschaffun­g der Priorisier­ung bei den Impfungen. Der frühere Vorsitzend­e des Ethikrates, Peter Dabrock, fordert, jetzt gezielt junge Menschen zu impfen. Wie ist Ihre Position? Ehlers: Das sehe ich genauso wie Herr Dabrock. Die Priorisier­ung sollte nicht abgeschaff­t, sondern liberalisi­ert und modifizier­t werden. Jetzt sollten verstärkt junge Menschen geimpft werden, die sich aktuell vermehrt anstecken und die ja in ihrer Mehrheit durch Verzicht dazu beigetrage­n haben, vulnerable Gruppen zu schützen.

Interview: Simon Kaminski

Alexander Ehlers, 65, ist Anwalt für Medizinrec­ht und Facharzt für Allgemein‰ medizin. Er lebt in Mün‰ chen.

 ?? Foto: Marius Becker, dpa ?? Kölner warten im Impfzentru­m auf die für viele erlösende Spritze gegen Corona. Nach schleppend­em Beginn nimmt die Impfkampag­ne Fahrt auf.
Foto: Marius Becker, dpa Kölner warten im Impfzentru­m auf die für viele erlösende Spritze gegen Corona. Nach schleppend­em Beginn nimmt die Impfkampag­ne Fahrt auf.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany