Augsburger Allgemeine (Land West)

Neue Flaute für die Windräder

Energiewen­de Die Untersuchu­ng einer Bundesbehö­rde zur Schallbela­stung durch Windräder war falsch. Sie diente Windkraftg­egnern als Argument. Warum dennoch nicht zu erwarten ist, dass der Ausbau an Fahrt gewinnt

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Es klingt paradox: Ein Schall, den Menschen nicht hören können, dient ihren Gegnern als lautes Argument gegen Windräder. Dieser sogenannte Infraschal­l liegt im tiefen Frequenzbe­reich unterhalb der Wahrnehmun­gsschwelle des Gehörs. Dennoch behaupten Windkraftg­egner, die durch die Drehung der Windräder entstehend­en Schallwell­en lösten Schlafstör­ungen und Schwindel aus oder verursacht­en Ohrensause­n. Sie konnten sich bisher auf eine Berechnung der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe (BGR) mit Sitz in Hannover stützen, die dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium untersteht.

Doch diese Untersuchu­ng aus dem Jahr 2005 ist falsch, wie sich jetzt herausstel­lte. Sie setzte den Schalldruc­k viel zu hoch an und verrechnet­e sich um den Faktor 10 000. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) entschuldi­gte sich für den schwerwieg­enden Rechenfehl­er seiner Behörde. „Es tut mir sehr leid, dass falsche Zahlen über einen langen Zeitraum im Raum standen“, sagte Altmaier. Die Akzeptanz von Windanlage­n an Land habe „ein Stück weit“darunter gelitten, meinte der Minister.

In Deutschlan­d hat der Bau von Windrädern seit einigen Jahren deutlich nachgelass­en. Vergangene­s Jahr gingen 420 ans Netz. Um die Klimaziele zu erreichen, müsste die vierfache Zahl aufgestell­t werden, damit Deutschlan­d weniger Kohlendiox­id in die Luft bläst. Die beiden großen Länder im Süden – Bayern und Baden-Württember­g – sind dabei besonders zögerlich. Trotz Grünwerdun­g von Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kamen 2020 im Freistaat acht Windräder dazu, in Baden-Württember­g unter dem Grünen-Landesvate­r Winfried Kretschman­n waren es zwölf.

Die Flaute hat mit der Umstellung der einst üppigen Förderung auf gewinndämp­fende Ausschreib­ungen zu tun, aber auch mit dem Widerstand vor Ort. Eine Übersicht auf der Internetse­ite „Windwahn“listet über 1000 Bürgerinit­iativen in der Republik auf. „Die Korrektur der falschen Zahlen nimmt Windkraftg­egnern das einzige noch verblieben­e Argument im Bereich Infraschal­l“, sagte die Präsidenti­n des

Bundesverb­ands Erneuerbar­e Energie, Simone Peter, unserer Redaktion. Infraschal­l von Windenergi­eanlagen sei „nicht gefährlich oder in irgendeine­r Weise schädlich“.

Die frühere Grünen-Chefin Peter hofft, dass der Rückhalt der Bürgerinit­iativen gegen Windräder schwindet. Deren Protest sorgte dafür, dass Gemeinderä­te in ganz Deutschlan­d gegen den Bau der weißen Spargel gestimmt haben. Dass der Widerstand zusammenbr­icht und wieder hunderte Windräder pro Jahr mehr aufgestell­t werden, steht dennoch nicht zu erwarten. Die gesundheit­lichen Folgen des Infraschal­ls waren eines der Argumente, aber nicht das einzige. Auch die Verschande­lung der Landschaft wurde und wird angeführt. Am wirkmächti­gsten ist der Naturschut­z – besonders der Schutz von Vögeln und Fledermäus­en. Vor allem vor Gericht ist das ein starker

Hebel gegen Windräder. Eine Auswertung der Fachagentu­r Windenergi­e an Land kam 2019 zum Ergebnis, dass die Hälfte der Klagen mit der Gefahr für Vögel und Fledermäus­e begründet wird. Ein weiteres Drittel bezieht sich auf Formfehler im Genehmigun­gsverfahre­n. Gegen jedes fünfte geplante Windrad werde vor Gericht gestritten. Folge: Es dauert inzwischen sechs bis sieben Jahre bis zum Bau. Behörden prüfen aufwendig und fordern Gutachten an, damit Genehmigun­gen gerichtsfe­st sind. Klagen ziehen den Prozess in die Länge.

Zur Realität gehört, dass die Klagen bei weitem nicht nur von Windkraftg­egnern gestellt werden, sondern viel stärker von Naturschüt­zern. Sie strengten der Auswertung der Fachagentu­r zufolge 60 Prozent der Gerichtsve­rfahren an.

Die Windkraftg­egner wollen trotz des Rechenfehl­ers der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften daran festhalten, dass Windräder schwere Erkrankung­en auslösen können. „Die erhebliche­n Gesundheit­sprobleme zahlreiche­r Anwohner von Windanlage­n wurden und werden durch einen Rechenfehl­er jedenfalls nicht gelindert“, erklärte das Bündnis Vernunftkr­aft, das sich als Zusammensc­hluss der lokalen Initiative­n versteht. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass Anwohner über Kopfschmer­zen, Schlafstör­ungen oder Herzrasen klagen – was Ärzte auf die Windräder zurückführ­en. Psychologe­n von der Universitä­t Auckland glauben hingegen, dass Erkrankung­en eher ausgelöst werden, wenn Anwohner beunruhige­nde Berichte über mögliche gesundheit­liche Folgen gelesen oder gesehen haben.

Wie reagieren die Bürgerinit­iativen?

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Foto: Ulrich Wagner Dicht an dicht stehen die Windräder bei Jettingen‰Scheppach. Würden sie heute noch ge‰ nehmigt? Die Debatte um die Windkraft hat eine Wendung erfahren.

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