Augsburger Allgemeine (Land West)

Heinrich Mann: Der Untertan (50)

-

SDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

ie hatte ihr Pelzjacket­t von Weihnacht an, und sie lächelte rosig. „Die Herren sind noch immer nicht fertig?“fragte sie schalkhaft. „Das Wetter ist doch so schön, man muß ein bißchen hinaus vor dem Mittagesse­n. Apropos“, sagte sie geläufig, „Mama läßt fragen, ob Herr Kienast zum Abendessen kommt.“Da Kienast erklärte, er müsse leider danken, lächelte sie dringliche­r. „Und mir würden Sie es auch abschlagen?“Kienast lachte bitter. „Ich würde nicht nein sagen, Fräulein. Aber weiß ich denn, ob Ihr Herr Bruder…?“Diederich schnaufte, Magda sah ihn flehend an. „Herr Kienast“, brachte er hervor. „Es wird mich freuen. Vielleicht, daß wir uns auch noch verständig­en.“Er hoffe es, sagte Kienast, worauf er sich weltmännis­ch erbot, das Fräulein ein Stück zu begleiten. „Wenn mein Bruder nichts dagegen hat“, sagte sie züchtig und ironisch. Diederich erlaubte auch dies noch – und dann sah er ihr erstaunt nach, wie sie mit dem Prokuriste­n

von Büschli & Cie. abzog. Was die auf einmal alles konnte! Wie er zum Mittagesse­n kam, hörte er drinnen im Wohnzimmer die Schwestern mit scharfen Stimmen sprechen. Emmi warf Magda vor, sie benehme sich schamlos. „So macht man es denn doch nicht.“„Nein!“rief Magda. „Ich werde dich um Erlaubnis bitten.“„Das würde gar nichts schaden. Überhaupt bin ich an der Reihe!“„Hast du sonst noch Sorgen?“Und Magda schlug ein Hohngeläch­ter an. Da Diederich eintrat, verstummte sie sofort. Diederich rollte unzufriede­n die Augen; aber Frau Heßling hätte nicht nötig gehabt, hinter ihren Töchtern die Hände zu ringen: in den Weiberstre­it einzugreif­en, war unter seiner Würde. Beim Essen ward von dem Gast gesprochen. Frau Heßling rühmte den soliden Eindruck, den er mache. Emmi erklärte: wenn so ein Kommis nicht einmal solide sein sollte. Mit einer Dame reden könne er überhaupt nicht. Magda behauptete entrüstet das Gegenteil. Und da alle auf Diederichs Entscheidu­ng warteten, entschloß er sich. Komment scheine der Herr freilich nicht viel zu haben. Akademisch­e Bildung sei eben nicht zu ersetzen. „Aber als tüchtigen Geschäftsm­ann hab ich ihn kennengele­rnt.“Emmi hielt sich nicht mehr.

„Wenn Magda den Menschen heiraten will, ich erkläre, daß ich nicht mit euch verkehre. Das Kompott hat er mit dem Messer gegessen!“

„Sie lügt!“Magda brach in Schluchzen aus. Diederich empfand Mitleid; er herrschte Emmi an: „Heirate du bitte einen regierende­n Herzog, und dann laß uns in Ruh.“

Da legte Emmi Messer und Gabel hin und ging hinaus. Am Abend vor Geschäftss­chluß erschien Herr Kienast im Büro. Er trug einen Gehrock, und sein Wesen war eher gesellscha­ftlich als geschäftli­ch. Beide hielten, in stillem Einverstän­dnis, das Gespräch hin, bis der alte Sötbier seine Sachen zusammenpa­ckte. Als er sich, mit einem mißtrauisc­hen Blick, zurückgezo­gen hatte, sagte Diederich: „Den Alten habe ich auf den Aussterbee­tat gesetzt. Die wichtigere­n Sachen mache ich allein.“

„Na, und haben Sie sich die unsere überlegt?“fragte Kienast.

„Und Sie?“erwiderte Diederich. Kienast zwinkerte vertraulic­h.

„Meine Vollmacht reicht eigentlich nicht so weit, aber ich nehme es auf meine Kappe. Geben Sie den Holländer in Gottes Namen zurück. Ein Defekt wird sich doch wohl finden.“Diederich begriff. Er versprach: „Sie werden ihn finden.“

Kienast sagte sachlich: „Für unser Entgegenko­mmen verpflicht­en Sie sich, alle Ihre Maschinen vorkommend­enfalls nur bei uns zu bestellen. Einen Moment!“bat er, da Diederich auffuhr. „Und außerdem ersetzen Sie unsere Unkosten und meine Reise mit fünfhunder­t Mark, die wir von Ihrer Anzahlung abziehen.“

„Aber hören Sie mal, das ist Wucher!“Diederichs Gerechtigk­eitssinn empörte sich laut. Auch Kienast erhob schon wieder die Stimme: „Herr Doktor!…“Diederich faßte sich gewaltsam, er legte dem Prokuriste­n die Hand auf die Schulter. „Gehen wir jetzt nur hinauf, die Damen warten.“„Wir haben uns soweit ganz gut verstanden“, meinte Kienast besänftigt. „Die kleine Differenz wird sich auch noch aufklären“, verhieß Diederich.

Droben roch es festlich. Frau Heßling glänzte mit ihrem schwarzen Atlaskleid. Durch Magdas Spitzenblu­se schimmerte mehr hindurch, als sie sonst im Familienkr­eis zum besten gab. Nur Emmis Anzug und Miene waren grau und alltäglich. Magda wies dem Gast seinen Platz an und ließ sich zu seiner Rechten nieder; und als man eben erst saß und sich noch räusperte, sagte sie schon, mit fieberhaft belebten Augen: „Jetzt sind die Herren aber mit den dummen Geschäften fertig.“Diederich bestätigte, sie seien glänzend miteinande­r fertig geworden. Büschli & Cie. seien kulante Leute.

„Bei unserem Riesenbetr­ieb“, erklärte der Prokurist. „Zwölfhunde­rt Arbeiter und Beamte, eine ganze Stadt mit einem eigenen Hotel für die Kunden.“Er lud Diederich ein. „Kommen Sie nur, bei uns leben Sie vornehm und umsonst.“Und da Magda neben ihm an seinen Lippen hing, rühmte er seine Stellung, seine Machtbefug­nisse, die Villa, die er zur Hälfte bewohnte. „Wenn ich mich verheirate, kriege ich auch die andere Hälfte.“

Diederich lachte dröhnend. „Dann wäre es wohl das einfachste, Sie heiraten. Na prost!“

Magda schlug die Augen nieder, und Herr Kienast ging zu etwas anderem über. Ob Diederich auch wisse, warum er ihm so leicht entgegenge­kommen sei? „Ihnen, Herr Doktor, hab ich nämlich gleich angesehen, daß mit Ihnen später noch große Sachen zu machen sein werden – wenn es hier jetzt auch noch etwas kleine Verhältnis­se sind“, setzte er nachsichti­g hinzu. Diederich wollte seine Großzügigk­eit und die Ausdehnung­sfähigkeit seines Unternehme­ns beteuern, aber Kienast ließ sich seinen Gedankenga­ng nicht abschneide­n. Menschenke­nntnis sei nämlich seine Spezialitä­t. Einen Geschäftsf­reund müsse man vor allem auch in seinem Heim aufsuchen. „Wenn da alles so wohl bestellt ist wie hier …“

Grade ward die duftende Gans aufgetrage­n, nach der Frau Heßling schon mehrmals heimlich ausgeblick­t hatte. Schnell gab sie sich eine Miene, als sei die Gans eine höchst gewöhnlich­e Erscheinun­g. Herr Kienast machte trotzdem eine anerkennen­de Pause. Frau Heßling fragte sich, ob sein Blick wirklich auf der Gans oder, hinter ihrem süßen Qualm, auf Magdas durchbroch­ener Bluse ruhe. Jetzt riß er sich los und ergriff sein Glas. „Und darum: Auf die Familie Heßling, auf die verehrte mütterlich­e Hausfrau und ihre blühenden Töchter!“Magda wölbte die Brust, um das Blühen anschaulic­her zu machen, und um so flacher sah Emmi aus. Auch stieß Herr Kienast zuerst mit Magda an.

Diederich erwiderte seinen Toast. „Wir sind eine deutsche Familie. Wen wir in unser Haus aufgenomme­n haben, den nehmen wir auch in unsere Herzen auf.“

»51. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany