Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie gefährlich ist B.1.617?
Pandemie In Indien verbreitet sich die neue Corona-Mutante rasant. Was man über sie weiß, ob es auch in Bayern schon Fälle gibt und welche Rolle die anderen Virus-Varianten derzeit spielen
Augsburg Ein Buchstabe, vier Ziffern und viel Verunsicherung. B.1.617. Die indische CoronavirusVariante verbreitet sich rasant. An nur einem Tag wurden in Indien zuletzt etwa 350000 neue Infektionen registriert. Die Zahl der Toten steigt dort immer weiter, vor den Kliniken flehen schwerkranke Menschen um medizinischen Sauerstoff, in den Städten lodern die Scheiterhaufen, weil die Krematorien völlig überlastet sind. Seit diese dramatischen Bilder um die Welt gingen, wachsen die Sorgen. Auch in Bayern.
In Deutschland gibt es bereits erste Fälle der indischen Mutante – bisher allerdings nur sehr wenige. Bis zum vergangenen Wochenende wurden knapp zwei Dutzend Fälle registriert. Am Labor des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wurde die indische Corona-Variante bislang aber noch nicht nachgewiesen, wie ein Sprecher der Behörde mitteilt.
Die indische Sars-CoV-2-Variante B.1.617 wurde von Public
England – in Großbritannien gibt es bereits mehrere Fälle – als sogenannte „Variant under Investigation“(VUI) eingeordnet. Das bedeutet: Man soll auf diese Variante ein besonderes Augenmerk richten, da sie Mutationen aufweise, die unter anderem mit einer erhöhten Übertragbarkeit in Zusammenhang gebracht würden, erklärt der LGLSprecher. Bisher lasse sich aber noch nicht schlüssig sagen, dass diese Variante den Anstieg der in Indien beobachteten zweiten Welle verursacht habe. „Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass zumindest in einigen indischen Bundesstaaten die B.1.617-Linie vorherrschend ist und zu einem Anstieg der Fälle beigetragen haben könnte.“
Noch ist B.1.617 also nicht als „Variant of Concern“(VOC) eingestuft, als Variante, die besorgniserregend ist. Die britische Mutante B.1.1.7 indes gilt längst als solche. Und sie verbreitet sich rasant, auch im Freistaat. Das zeigen die Zahlen des LGL, die auf Basis der Meldungen der Gesundheitsämter die Lage in den Landkreisen und kreisfreien Städten des Freistaats darstellen.
Seit Untersuchungen auf Mutationen durchgeführt werden, gab es etwa in Augsburg dem LGL zufolge 1975 Fälle, in denen eine VOC vorlag (Stand Mittwoch). Von diesen wiederum handelte es sich bei 1518 nachweislich um die britische Mutante. In 48 Fällen lag die südafrikanische Variante vor, in sechs Fällen die brasilianische. In 403 Fällen gab es lediglich einen PCR-Hinweis auf eine VOC – um welche es sich genau handelt, ist dabei nicht ersichtlich.
Ähnlich wie in Augsburg sieht es auch in vielen anderen Regionen aus: Im Landkreis Donau-Ries zum Beispiel handelt es sich dem LGL zufolge bei 985 von 1117 VOC-Fällen nachweislich um die Variante aus Großbritannien, in Dillingen sind es 535 von 566 und im Kreis Neu-Ulm 940 von 1049. Die südafrikanische Variante kommt in Bayern überall deutlich seltener vor. Die brasilianische spielt kaum eine Rolle, in vielen Regionen wurde sie noch gar nicht nachgewiesen.
Dass sich besonders die britische Variante ausbreitet, beobachtet auch Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt an der München KliHealth nik Schwabing. B.1.1.7 mache an seinem Krankenhaus mittlerweile 90 Prozent der Fälle aus, erklärt der Infektiologe. Der Rest der Patienten habe den ursprünglichen Wildtyp. Die südafrikanische oder die brasilianische Variante komme an seiner Klinik derzeit nicht vor.
Der Münchner Mediziner blickt in diesen Tagen auch besorgt auf die indische Variante. Das Risiko, das davon ausgehe, sei nicht zu unterschätzen, meint Wendtner. „Auch die britische Variante wurde im Dezember 2020 zum Teil noch kleingeredet, inzwischen ist dies die dominante Variante in Deutschland“, sagt der Corona-Experte.
Ob es auch ein Problem im Sinne einer sogenannten Immun-EscapeVariante gebe, die der Immunantwort des Körpers entkommen kann, sei Gegenstand laufender wissenschaftlicher Untersuchungen – falls ja, werde das Problem bei einer „angeimpften“Population nicht kleiner, ganz im Gegenteil, meint Wendtner. „Ob ehemals mit dem Wildtyp Infizierte und inzwischen als genesen betrachtete Personengruppen dann wirklich geschützt sind, bleibt fraglich“, fährt Wendtner fort. „Weiterhin bleibt zu klären, ob Geimpfte mit den derzeit verfügbaren Impfstoffen ausreichend vor der indischen Variante gefeit sind.“
Die Münchner Virologin Ulrike Protzer ist da zuversichtlich. Derzeit gehe man davon aus, dass die in Deutschland bisher zugelassenen Impfstoffe auch gegen die indische Variante einen Schutz bieten, sagte sie vor wenigen Tagen in einem ARD-Fernsehinterview. Dass es wegen der indischen Mutante zu einem erneuten Lockdown kommt, glaubt Protzer nicht.
Um zu verhindern, dass die neue Virus-Variante nach Bayern eingeschleppt wird, wird es weiterhin keine direkten Passagierflüge zwischen dem Freistaat und Indien geben. „Das begrenzt die Reisebewegungen zwischen unseren beiden Ländern auf natürliche Weise“, erklärte unlängst Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und ergänzte: „Die indische Mutante ist hochgefährlich. Das zeigen uns die explodierenden Infektionszahlen aus Indien ganz deutlich.“