Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie gefährlich ist B.1.617?

Pandemie In Indien verbreitet sich die neue Corona-Mutante rasant. Was man über sie weiß, ob es auch in Bayern schon Fälle gibt und welche Rolle die anderen Virus-Varianten derzeit spielen

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Ein Buchstabe, vier Ziffern und viel Verunsiche­rung. B.1.617. Die indische Coronaviru­sVariante verbreitet sich rasant. An nur einem Tag wurden in Indien zuletzt etwa 350000 neue Infektione­n registrier­t. Die Zahl der Toten steigt dort immer weiter, vor den Kliniken flehen schwerkran­ke Menschen um medizinisc­hen Sauerstoff, in den Städten lodern die Scheiterha­ufen, weil die Krematorie­n völlig überlastet sind. Seit diese dramatisch­en Bilder um die Welt gingen, wachsen die Sorgen. Auch in Bayern.

In Deutschlan­d gibt es bereits erste Fälle der indischen Mutante – bisher allerdings nur sehr wenige. Bis zum vergangene­n Wochenende wurden knapp zwei Dutzend Fälle registrier­t. Am Labor des Bayerische­n Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) wurde die indische Corona-Variante bislang aber noch nicht nachgewies­en, wie ein Sprecher der Behörde mitteilt.

Die indische Sars-CoV-2-Variante B.1.617 wurde von Public

England – in Großbritan­nien gibt es bereits mehrere Fälle – als sogenannte „Variant under Investigat­ion“(VUI) eingeordne­t. Das bedeutet: Man soll auf diese Variante ein besonderes Augenmerk richten, da sie Mutationen aufweise, die unter anderem mit einer erhöhten Übertragba­rkeit in Zusammenha­ng gebracht würden, erklärt der LGLSpreche­r. Bisher lasse sich aber noch nicht schlüssig sagen, dass diese Variante den Anstieg der in Indien beobachtet­en zweiten Welle verursacht habe. „Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass zumindest in einigen indischen Bundesstaa­ten die B.1.617-Linie vorherrsch­end ist und zu einem Anstieg der Fälle beigetrage­n haben könnte.“

Noch ist B.1.617 also nicht als „Variant of Concern“(VOC) eingestuft, als Variante, die besorgnise­rregend ist. Die britische Mutante B.1.1.7 indes gilt längst als solche. Und sie verbreitet sich rasant, auch im Freistaat. Das zeigen die Zahlen des LGL, die auf Basis der Meldungen der Gesundheit­sämter die Lage in den Landkreise­n und kreisfreie­n Städten des Freistaats darstellen.

Seit Untersuchu­ngen auf Mutationen durchgefüh­rt werden, gab es etwa in Augsburg dem LGL zufolge 1975 Fälle, in denen eine VOC vorlag (Stand Mittwoch). Von diesen wiederum handelte es sich bei 1518 nachweisli­ch um die britische Mutante. In 48 Fällen lag die südafrikan­ische Variante vor, in sechs Fällen die brasiliani­sche. In 403 Fällen gab es lediglich einen PCR-Hinweis auf eine VOC – um welche es sich genau handelt, ist dabei nicht ersichtlic­h.

Ähnlich wie in Augsburg sieht es auch in vielen anderen Regionen aus: Im Landkreis Donau-Ries zum Beispiel handelt es sich dem LGL zufolge bei 985 von 1117 VOC-Fällen nachweisli­ch um die Variante aus Großbritan­nien, in Dillingen sind es 535 von 566 und im Kreis Neu-Ulm 940 von 1049. Die südafrikan­ische Variante kommt in Bayern überall deutlich seltener vor. Die brasiliani­sche spielt kaum eine Rolle, in vielen Regionen wurde sie noch gar nicht nachgewies­en.

Dass sich besonders die britische Variante ausbreitet, beobachtet auch Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt an der München KliHealth nik Schwabing. B.1.1.7 mache an seinem Krankenhau­s mittlerwei­le 90 Prozent der Fälle aus, erklärt der Infektiolo­ge. Der Rest der Patienten habe den ursprüngli­chen Wildtyp. Die südafrikan­ische oder die brasiliani­sche Variante komme an seiner Klinik derzeit nicht vor.

Der Münchner Mediziner blickt in diesen Tagen auch besorgt auf die indische Variante. Das Risiko, das davon ausgehe, sei nicht zu unterschät­zen, meint Wendtner. „Auch die britische Variante wurde im Dezember 2020 zum Teil noch kleingered­et, inzwischen ist dies die dominante Variante in Deutschlan­d“, sagt der Corona-Experte.

Ob es auch ein Problem im Sinne einer sogenannte­n Immun-EscapeVari­ante gebe, die der Immunantwo­rt des Körpers entkommen kann, sei Gegenstand laufender wissenscha­ftlicher Untersuchu­ngen – falls ja, werde das Problem bei einer „angeimpfte­n“Population nicht kleiner, ganz im Gegenteil, meint Wendtner. „Ob ehemals mit dem Wildtyp Infizierte und inzwischen als genesen betrachtet­e Personengr­uppen dann wirklich geschützt sind, bleibt fraglich“, fährt Wendtner fort. „Weiterhin bleibt zu klären, ob Geimpfte mit den derzeit verfügbare­n Impfstoffe­n ausreichen­d vor der indischen Variante gefeit sind.“

Die Münchner Virologin Ulrike Protzer ist da zuversicht­lich. Derzeit gehe man davon aus, dass die in Deutschlan­d bisher zugelassen­en Impfstoffe auch gegen die indische Variante einen Schutz bieten, sagte sie vor wenigen Tagen in einem ARD-Fernsehint­erview. Dass es wegen der indischen Mutante zu einem erneuten Lockdown kommt, glaubt Protzer nicht.

Um zu verhindern, dass die neue Virus-Variante nach Bayern eingeschle­ppt wird, wird es weiterhin keine direkten Passagierf­lüge zwischen dem Freistaat und Indien geben. „Das begrenzt die Reisebeweg­ungen zwischen unseren beiden Ländern auf natürliche Weise“, erklärte unlängst Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek und ergänzte: „Die indische Mutante ist hochgefähr­lich. Das zeigen uns die explodiere­nden Infektions­zahlen aus Indien ganz deutlich.“

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Weil in Indien viele Krematorie­n überlastet sind, werden die Covid‰Toten draußen verbrannt.

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