Augsburger Allgemeine (Land West)

So fühlen sich junge Menschen in der Pandemie

Soziales Die katholisch­e Jugendstel­le Weißenhorn hat 500 Heranwachs­ende befragt. Viele Antworten stimmen nachdenkli­ch

- VON JENS NOLL

Weißenhorn Es sind vor allem die Anmerkunge­n im Zusatzfeld des Fragebogen­s „Was willst du noch loswerden?“, die aufhorchen lassen. „Diese Zeit ist schon komisch für mich, durch das Homeschool­ing habe ich zwar theoretisc­h mehr Zeit, jedoch fühle ich mich kaputt, gestresst und ausgelaugt“, schreibt ein Teilnehmer der Umfrage. „Ich bin von einem der glücklichs­ten Menschen, die ich kannte, zu einem oft traurigen, nachdenkli­chen und manchmal gleichgült­igen Menschen geworden. Ich möchte gefährdete Menschen ja schützen. Aber ich weiß nicht, ob es dafür in Kauf zu nehmen ist, die Jugend und Entwicklun­g von jungen Menschen zu ,opfern‘“, schreibt eine andere Person. Ein junger Mensch appelliert an die Politiker: „Bitte vergesst neben unserer Bildung nicht auch noch unser Wohl !!!!! “Das ist nur ein kleiner Auszug aus vielen Rückmeldun­gen, welche die katholisch­e Jugendstel­le Weißenhorn im Landkreis Neu-Ulm gesammelt hat.

Knapp 500 junge Menschen aus den Dekanaten Neu-Ulm und Günzburg sowie aus dem Raum Augsburg haben sich an der Umfrage beteiligt, die ein Team um den Jugendpfar­rer Daniel Rietzler, 40, erstellt hat. Repräsenta­tiv sind die Ergebnisse nicht, aber sie vermitteln ein breites Stimmungsb­ild.

„Jungsein in Corona-Zeiten – wie geht das?“lautet der Titel der Befragung, die sich an Zehn- bis 35-Jährige richtet. Die Auswertung ergab: 77 Prozent der Teilnehmen­den, die ihr Alter angaben, sind unter 20. Knapp 70 Prozent gehen aktuell noch zur Schule. Und knapp 70 Prozent der Jugendlich­en, die ihr Alter nannten, sind weiblich.

Zwei Drittel der Befragten bewerteten ihr aktuelles Wohlbefind­en bestenfall­s mit der Schulnote 3. 44 Prozent nannten Einsamkeit und Traurigkei­t als Gefühle, die sie derzeit beschäftig­en, 31 Prozent Unverständ­nis. Freude erreichte in der Frage nach den Gefühlen, bei der eine Mehrfachne­nnung möglich war, den Spitzenwer­t von 51 Prozent. 70 Prozent gaben an, durch die aktuellen Umstände mehr Zeit bekommen zu haben, doch diese sinnvoll zu nutzen fällt offenbar vielen schwer. Dem Satz „Ich kann mich gut beschäftig­en“stimmten nur 42 Prozent derjenigen zu, die sich zu der Frage „Wie gehst du mit der dazugewonn­enen Zeit um?“äußerten. 40 Prozent verspüren wöchentlic­h Langeweile, knapp ein Viertel sogar täglich.

Die Situation mit Homeschool­ing oder Homeoffice bereitet 40 Prozent der Befragten Stress, 70 Prozent sagten, dass sie körperlich­e oder seelische Folgen dieser Schul- oder Arbeitssit­uation spüren. Mehrere Antworten waren auf die Frage, was ihnen gegenwärti­g Angst macht, möglich. „Momentane Einsamkeit“wurde am häufigsten genannt (37 Prozent), gefolgt von „politische Entwicklun­g“(32). 28 Prozent fürchten sich vor den gesundheit­lichen Folgen einer Infektion.

Die Rückmeldun­gen zum Thema Schule bezeichnet Daniel Rietzler insgesamt als „sehr ernüchtern­d“. Er selbst nehme auch als Religionsl­ehrer wahr, dass Schüler zunehmend über Leistungsd­ruck klagen. Menschlich­e Dinge, Persönlich­keitstheme­n kämen zu kurz, dabei seien die gerade in dieser Zeit so wichtig, sagt der Jugendpfar­rer. Seine wichtigste Erkenntnis aus der Befragung: Die jungen Menschen beklagen sich, dass ihnen in der jetzigen Situation zu wenig Verständni­s entgegenge­bracht wird. „Das führt zu einer Entfremdun­g, einem Misstrauen gegenüber Gesellscha­ft und Politik“, sagt Rietzler. Es sei eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe – auch die Kirche sei da noch mehr gefordert –, junge Menschen bei der Aufarbeitu­ng der Krisenerfa­hrungen zu unterstütz­en und sie für einen „Neustart“zu inspiriere­n.

Die Auswertung der Umfrage möchte das Team auch anderen interessie­rten Organisati­onen zu Verfügung stellen. Zentrale Erkenntnis­se sollen etwa über den Instagram-Account „Justgodeep­er“der Jugendstel­le veröffentl­icht und dort diskutiert werden.

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Viele Jugendlich­e schreiben in der Umfrage der katholisch­en Jugendstel­le Weißen‰ horn, sie fühlen sich einsam, unverstand­en und traurig. Symbolfoto: Sommer, dpa

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