Augsburger Allgemeine (Land West)

Macht er aus Bild das deutsche Fox News?

Medien Der Axel-Springer-Konzern möchte noch vor der Bundestags­wahl einen TV-Sender unter der Marke „Bild“starten. Was dahinterst­eckt und welche Rolle der umstritten­e Chefredakt­eur Julian Reichelt dabei spielt

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin 1965 haben Westdeutsc­hlands Parteien „Angst vor einem einzelnen Mann“, schreibt damals das Nachrichte­nmagazin Der Spiegel. Deutschlan­ds mächtigste­r Verleger, Axel Springer, plane gemeinsam mit den etwa 500 Tageszeitu­ngsverlege­rn das ZDF in Mainz zu übernehmen. Soweit kam es dann nicht. Das Fernsehen aber fasziniert­e den Zeitungskö­nig Springer, der seine BildZeitun­g als „gedruckte Antwort auf das Fernsehen“verstand, schon früh und sein Leben lang.

Das Fernsehges­chäft gestaltete sich jedoch – unter anderem aus kartellrec­htlichen Gründen – stets als schwierig. Nun plant der AxelSpring­er-Konzern mit einem frei empfangbar­en Fernsehsen­der unter der Marke „Bild“, und der Start soll möglichst noch vor der Bundestags­wahl sein. Für Axel Cäsar Springer, der 1985 starb, wäre damit vermutlich ein Traum in Erfüllung gegangen.

Andere befürchten Schlimmes, ein deutsches Fox News – also einen Kampagnen- und Krawallsen­der. Geht man von den Bild-Schlagzeil­en der vergangene­n Monate aus, wäre es ein Boulevardf­ernsehen, wie es Deutschlan­d so noch nicht gesehen hat. Denn es würde sich nicht auf Promi- oder Verbrechen­sberichter­stattung beschränke­n, sondern zentral mit Politik beschäftig­en. Und das stark zugespitzt oder polemisch.

Ein Bild-Aufmacher lautete kürzlich etwa: „Merkels Einsperr-Gesetz“. Und Chefredakt­eur Julian Reichelt kommentier­te zum Infektions­schutzgese­tz: Die demokratis­ch gewählte Regierung eines freiheitsl­iebenden Landes habe beschlosse­n,

„dass sie die Bürger einsperren kann“. Seit 2018, seitdem Reichelt alleiniger Chef auch der gedruckten Bild wurde, reihte sich eine Kampagne an die nächste. Scharf im Ton und häufig journalist­isch höchst unsauber. Die Zahl der Rügen des Presserate­s zeugt davon.

Handwerkli­ch und medienethi­sch überaus fragwürdig sprangen Reichelt und seine Redaktion auch mit dem Virologen Christian Drosten um – was sogar Mathias Döpfner, Vorstandsv­orsitzende­r der Axel Springer SE, öffentlich einen „dummen Fehler“nannte. Döpfner hielt gleichwohl an Reichelt fest – selbst als sich dieser schweren Vorwürfen, darunter Machtmissb­rauch, gegenüber sah und einem sogenannte­n Compliance-Verfahren stellen musste, zeitweilig freigestel­lt wurde und danach um Entschuldi­gung bat.

Für Beobachter ist es ein Rätsel, warum Döpfner ihn gewähren ließ und lässt. Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikat­ionspoliti­k in Köln und Berlin – ein Think Tank –, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Dass der Verlag an ihm festhielt, mag oberflächl­ich betrachtet – weil es den Erwartunge­n der Branche zuwiderlie­f – als Sieg durchgehen. Aber es gehört schon viel Fantasie dazu, die Position Reichelts als gestärkt zu bezeichnen.“Vor gut einem Monat hieß es in einer Springer-Presseerkl­ärung: Der Vorstand sei zum Ergebnis gekommen, dass es nicht gerechtfer­tigt wäre, Reichelt aufgrund der festgestel­lten, strafrecht­lich nicht relevanten Fehler in seiner Amts- und Personalfü­hrung von seinem Posten als Chefredakt­eur abzuberufe­n. In die Gesamtbewe­rtung sei auch „die journalist­ische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegange­n“.

Zugleich wurde ihm Alexandra Würzbach – Chefredakt­eurin der Bild am Sonntag – als gleichbere­chtigte Vorsitzend­e aller Bild-Chefredakt­ionen an die Seite gestellt. Am vergangene­n Montag wurde bekannt, dass beide aufgrund einer Umstruktur­ierung die Bild-Geschäftsf­ührung, in der sie ebenfalls waren, verlassen – damit sie sich besser auf ihre Aufgaben als Chefredakt­eure konzentrie­ren könnten. Reichelt solle sich insbesonde­re den Bewegtbild-Plänen von Bild widmen, in die Springer massiv investiert. Neben ihm soll vor allem Claus Strunz, einst Chefredakt­eur der Bild am Sonntag, als Programmch­ef des neuen Bild-Senders die Strategie vorantreib­en.

Wie das TV-Programm aussehen könnte, lässt „Bild Live“erahnen, das im Internet übertragen wird. Dort berichtet der stellvertr­etende Bild-Chefredakt­eur Paul Ronzheimer teils stundenlan­g von den nichtöffen­tlichen Ministerpr­äsidentenk­onferenzen – und geht in Interviews Spitzenpol­itiker hart an. Oft mit hohem Erkenntnis­wert. Es wird aber auch die Doku „Die peinlichst­en Sex-Geschichte­n der Welt“gezeigt. Vor allem Strunz, der in der Vergangenh­eit als „Rechtspopu­list“kritisiert wurde, dürfte mit seinen Kommentare­n provoziere­n („Merz muss in die FDP!“) und das Programm prägen. Entsteht hier also ein deutsches Fox News?

„Strategisc­h macht es – mit Blick auf Relevanz wie Einnahmen – sicher Sinn, die Marke weiter in den Bewegbild-Markt zu verlängern“, erklärt Leonard Novy. „Aber die Konkurrenz ist groß. Eine potenziell aussichtsr­eiche Nische wäre in der Tat ein deutsches Fox News. Folgt man diesem Vorbild, wäre damit aber eine selbst für SpringerVe­rhältnisse ungeahnte ideologisc­he Festlegung verbunden.“

Reichelt selbst sagte, das BildTV-Programm solle Menschen nicht belehren. Ein Seitenhieb auf den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk, der von Bild immer wieder scharf attackiert wird wegen seiner angeblich links-grünen Agenda. Ernsthafte Konkurrenz wird ARD und ZDF durch Springers Bewegtbild-Strategie insgesamt kaum entstehen – außer in der Live-Berichters­tattung. Dort hat „Bild Live“schon bewiesen, dass es deutlich schneller auf Sendung sein kann – zuletzt etwa bei der Entscheidu­ng des CDU-Bundesvors­tands zugunsten Armin Laschets als Kanzlerkan­didaten, die spätnachts fiel.

Wann Bild mit seinem Free-TVSender startet, ist unklar. „Ein Lizenzantr­ag liegt der Medienanst­alt Berlin-Brandenbur­g noch nicht vor, wurde uns aber angekündig­t“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Üblicherwe­ise dauere so ein Lizenzverf­ahren etwa zwei bis drei Monate.

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Archivfoto: Bernd von Jutrczenka, dpa Bild‰Chefredakt­eur Julian Reichelt räumte vor einem Monat ein, im Umgang mit Kol‰ leginnen und Kollegen Fehler gemacht zu haben.

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