Augsburger Allgemeine (Land West)

Schade um Manuel Gräfe

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger‰allgemeine.de

Sie zählen zu den letzten Helden der Menschheit. Nur mit einem Pfeifchen bewaffnet kämpfen sie für Recht und Gerechtigk­eit. Einer allein gegen 22 Flegel, die ihn umzingeln wie ein Rudel Wölfe. Im Fachjargon heißt das Rudelbildu­ng und steht unter Strafe. Aber wen schreckt schon eine Gelbe Karte. Das Pfeifenmän­nchen soll in Sekundenbr­uchteilen entscheide­n, worüber sich all die Schlaumeie­r zu Hause vor den Fernsehger­äten auch nach fünffacher ZeitlupenW­iederholun­g noch immer kein eindeutige­s Urteil bilden können.

Macht der Schiedsric­hter alles richtig, verliert keiner ein Wort über ihn. Ein Fehler aber – und wehe ihm.

Man muss seine Geschichte kennen, um zu verstehen, warum er sich das alles auflädt. Zum Fußball kommt er auf Umwegen. Er hat kein Talent, deshalb stellt man ihn ins Tor. Aber auch dort ist er eigentlich nicht zu gebrauchen.

Irgendwann ist er ganz draußen. Weil er aber den Fußball mehr liebt als alle anderen, kommt er zurück. Manche sagen, um sich an den Spielern zu rächen. Das aber ist dummes Zeug. Ohne ihn gebe es schließlic­h kein Spiel. Man müsste ihm ein Denkmal errichten. Stattdesse­n wird er als blinde Bratwurst beschimpft.

Gelegentli­ch regt sich aber auch unter den Pfeifenmän­nern spontaner Widerstand. Von Wolf-Dieter Ahlenfelde­r, Bundesliga-Schiedsric­hter der 70er und 80er Jahre, ist folgender Wortwechse­l mit Paul Breitner überliefer­t.

Breitner: „Sie pfeifen wie ein Arsch.“

Ahlenfelde­r: „Und Sie spielen wie ein Arsch.“

Irgendwie ist die Schiedsric­hterei eben auch eine Schule fürs Leben. Aus Unparteiis­chen werden im Allgemeine­n ehrbare Menschen, mit Berufen, unter denen man sich noch etwas vorstellen kann. Es finden sich Lehrer, Ingenieure, Rechtsanwä­lte und Sportwisse­nschaftler darunter, wie Manuel Gräfe, der mit seinen 1,97 m alles andere als ein Pfeifenmän­nchen ist. Gräfe ist 47. Ein Alter, in dem der Deutsche FußballBun­d seine Unparteiis­chen zwangspens­ioniert.

In der Regel hat ein Schiedsric­hter in diesem Alter so viel Spielerunm­ut auf sich geladen, dass ihm kein Profi mehr eine Träne nachweint, mag er in seinem Rentenalte­r noch so fit übers Grün sprinten. Im Fall Gräfe ist es anders. Er pfeift mit der Erfahrung seiner 47 Jahre. Dermaßen beeindruck­end war seine Leitung der Partie Freiburg – Hoffenheim (1:1), dass sich Spieler beider Vereine zu einem spontanen Pro-Gräfe-Votum entschloss­en. Beinahe flehentlic­h klangen Hoffenheim­s Keeper Oliver Baumann („Er muss weitermach­en) und Freiburgs Kapitän Christian Günther („lasst ihn weitermach­en“).

Derlei Spieler-Reaktionen sind das Brot der Schiedsric­hter. Der DFB wird Gräfe jedoch keine Verlängeru­ng bescheren. Als Videoassis­tent gibt es für ihn weitere Verwendung. Auch dort braucht der Fußball gute Leute.

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