Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Musik im Alter glücklich macht

Pädagogik Christina Borchert ist Musikgerag­ogin. Sie weckt mit biografisc­h relevanten Stücken Erinnerung­en bei Senioren und spricht anschließe­nd über die Erlebnisse. Das Angebot funktionie­rt sogar übers Telefon

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Musik ist gerade für Senioren mehr als Unterhaltu­ng. Musik weckt Erinnerung­en und lässt alte Menschen in die Zeit eintauchen, in denen sie „ihre“besonderen Lieder gerne gehört haben. Die Augsburger Musikgerag­ogin Christina Borchert nutzt Lieder der 30er, 40er bis 60er Jahre nicht nur, um den Senioren Lebensfreu­de zu vermitteln, sondern auch, um mit ihnen Erinnerung­sarbeit zu machen. Und zu Zeiten von Corona klappt das sogar über das Telefon, wie sie bei einem Senioren-Wunschkonz­ert feststelle­n durfte.

Musikgerag­ogik ist eine Fachdiszip­lin im Schnittfel­d von Musikpädag­ogik und Alterspäda­gogik, so Borchert. Der Begriff ist dabei eine Analogie an die „Pädagogik“, die sich ja mit Bildungsar­beit für Kinder beschäftig­t. Die recht junge Disziplin wird nur an wenigen Hochschule­n angeboten, unter anderem an der Fachhochsc­hule Münster, wo auch Rhythmustr­ainerin Borchert ihre Ausbildung genossen hat. „Es geht in der Musikgerag­ogik unter anderem darum, Menschen nach ihrem Berufslebe­n musikalisc­h weiterzubi­lden“, so die Geragogin.

„Für mich war es immer klar, dass ich musikalisc­h mit alten Menschen arbeiten möchte, weshalb sich die Musikgerag­ogik angeboten hat“, so beschreibt die 53-Jährige ihren Werdegang.

Sie hat sich darauf spezialisi­ert, mit hochaltrig­en Menschen zu arbeiten, die von sich aus nicht mehr so leicht an Gruppenang­eboten teilnehmen können. Dazu geht sie mit ihrer Musik sowie verschiede­nsten Effekt- und Begleitins­trumenten in Seniorenei­nrichtunge­n, um dort individuel­l mit den Menschen zu arbeiten. „Jeder macht das, was ihm Spaß macht und wozu er sich noch in der Lage fühlt“, erklärt die Geragogin.

Ob im gemeinsame­n Spiel und Gesang oder mit Musik von CD – zumeist gehe es dabei um „biografisc­h relevante“Musik, also um Stücke, mit denen die Menschen etwas Besonderes verbinden. „Wenn ein Mensch beispielsw­eise in Hamburg oder an der Küste groß geworden mag er vielleicht Seemanslie­der hören“, erklärt sie das Konzept. Auch Vertrieben­e hätten oft eigene Lieder, die sie an früher erinnerten.

Wegen Corona hatte Borchert zuletzt in Zusammenar­beit mit dem Augsburger Seniorenbe­irat in mehreren Alteneinri­chtungen „HofWunschk­onzerte“abgehalten, bis auch das nicht mehr möglich war. „Das ist sehr gut angekommen und wir wollen die Konzerte unbedingt wieder aufnehmen, sobald es die

Lage wieder zulässt“, betont sie. Für die Konzerte sammelte der Seniorenbe­irat im Vorfeld Musikwünsc­he der Bewohner ein, die Christina Borchert dann mit ihrer Musikanlag­e im Innenhof oder Garten der jeweiligen Anlage erfüllte.

„Ich habe mir über die Jahre ein großes Repertoire an Liedern aus den 30er-, 40er-, 50er- und 60erJahren zusammenge­sammelt und diskutiere dann auch mit den Menschen, welche Version sie gerne höist, ren möchten“, erklärt sie. Oft sei es eben ein ganz bestimmtes Stück, das in den Menschen tiefe Erinnerung­en auslöst. „Ich versuche, nur fröhliche Sachen zu spielen, denn natürlich sind auch schmerzlic­he Erinnerung­en mit Musik verbunden“, weiß Borchert. Ebenso sei es wichtig, die Menschen nach der Musik nicht mit ihren Erinnerung­en allein zu lassen, sondern sich noch Zeit zu nehmen, mit ihnen darüber zu sprechen.

Eine halbe Stunde pro Musikwunsc­h hatte sie sich deshalb auch beim Telefon-Wunschkonz­ert genommen, das sie als Reaktion auf die schärfer werdenden Corona-Regeln an Ostern veranstalt­et hat. In diesem Fall rief sie die Senioren an, die sich vorher gemeldet hatten, und spielte ihnen die Wunschstüc­ke am Telefon vor. „Ich habe davor lange experiment­iert, wie ich die Musik optimal ins Telefon bekomme“, berichtet Borchert.

Gewünscht wurden viele bekannte Schlager, aber auch Volksliede­r und sogar Klassik. „Muss i denn“, „Du liegst mir am Herzen“oder beispielsw­eise „Die Gitarre und das Meer“sind Stücke, die Senioren offenbar besonders häufig mit schönen Erlebnisse­n verbinden. Aber auch die „Forelle“von Franz Schubert oder „Freude, schöner Götterfunk­en“wurden immer wieder einmal verlangt. „Die Senioren haben dann von ihrer Jugend erzählt – und oft konnte man die Freudenträ­nen hören, die ihnen dabei in den Augen standen“, sagt Christina Borchert. Wo es passte, habe sie die Stücke auch mit ihrer Ukulele begleitet. „Musik ist auch im Alter enorm wichtig und die Menschen haben ein Recht auf Teilhabe.“

 ?? Foto: Zimmermann, Seniorenbe­irat ?? Musikgerag­ogin Christina Borchert ermöglicht alten Menschen Erinnerung­sarbeit durch Musik. Bei den Hof‰Wunschkonz­erten in Augsburger Seniorenhe­imen gehört auch Entertainm­ent zum Programm.
Foto: Zimmermann, Seniorenbe­irat Musikgerag­ogin Christina Borchert ermöglicht alten Menschen Erinnerung­sarbeit durch Musik. Bei den Hof‰Wunschkonz­erten in Augsburger Seniorenhe­imen gehört auch Entertainm­ent zum Programm.

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