Augsburger Allgemeine (Land West)
Wo der Mensch zum Wesentlichen findet
Architektur Alexander von Branca verwirklichte in seinen Sakralbauten ein spirituelles Konzept besonderer Art
Er hat Ikonen der neuen Architektur geschaffen: die Neue Pinakothek in München, die Oberpostdirektion in Freiburg, die Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom. Mehr noch hat sich Alexander Freiherr von Branca (1919–2011) jedoch mit seinen sakralen Bauten hervorgetan. Im Bistum Augsburg hinterließ er seit den 1960ern markante Spuren, die der Kölner Architektur- und Kunsthistoriker Thomas van Nies im Akademischen Forum der Diözese nun mit neuen Forschungsergebnissen vorstellte.
Gründliche, tiefe Kenntnis der Architekturgeschichte, die Branca auf Italienreisen sich erwarb, prägten seine Auffassung. „Er wollte das Wesentliche, das hinter dem Sichtbaren steht, zum Vorschein bringen“, erklärte Nies. Was ihm in detailliert durchdachten Raumkonzepten und einer raffinierten Lichtführung oft gelang. Im Sakralbau strömt es meist indirekt von oben herab, um den Menschen in seine religiöse Innerlichkeit zu führen. So ist es in der zentral gelegenen Kapelle im Haus St. Ulrich ebenso wie im Priesterseminar St. Hieronymus, die noch dazu als achteckige Räume maximal den Menschen in der Mitte sammeln und dem Geheimnis Gottes im Raumeindruck zuführen.
Früh hatte der in Schwabing geborene Münchner, der bei Hans Döllgast, einem Protagonisten des Neuen Bauens nach 1918, und später in Zürich an der EidgenössischTechnischen Hochschule studierte, Kontakt zum Bistum Augsburg aufgenommen. In Bischof Joseph Freundorfer fand er einen kunstsinnigen, aufgeschlossenen Bauherrn, der schon vor der katholischen Liturgiereform des II. Vatikanums (1962–1965) „unglaublich moderne“Kirchenplanungen zuließ. Orientiert an frühchristlichen Basiliken entstanden 1958 die neue Pfarrkirin Greifenberg beim Ammersee und 1959 in Rohrbach in der Hallertau, beide mit säulengestützten Umgängen eingefasst. In Rohrbach erhebt sich zudem über dem Altar auf himmelhohen Stützen ein Lichtbaldachin, der auf die halbrunde Apsis hin den Blick konzentriert. Ein Vorbild fand Branca in der Lombardei; freilich: „Branca kopiert nicht, sondern anverwandelt die klassischen Formen in die Moderne“, so Nies.
Sein Meisterstück sollte das Haus St. Ulrich werden, gebaut von 1971 bis 1975. Die Aufgabe war herausfordernd: Der Komplex sollte die Funktionen Seelsorgeamt, Akademie und Gästehaus in sich vereinen. Ein aufwendiges Planungsverfahren wurde angesetzt, Branca fiel Bischof Josef Stimpfle dabei als „ungewöhnlich begabter Architekt“auf, der mit seinem Entwurf die Begegnung der Kirche mit der Welt im Geermöglichte. Branca vermied, so Nies, falsche Monumentalität durch die Betonung der Horizontale im gesamten Baukörper. Die Fensterbänder treten zurück gegenüber den gotischen Lanzettfenstern der Basilika St. Ulrich und Afra und sorgen für eine klosterähnliche Geschlossenheit der Anlage, die im Inneren durch Atrien und Lichthöfe in unterschiedliche Bereiche gegliedert ist. Im großen Foyer verwirklichte der Architekt die kühne Idee, geistige Auseinandersetzung und geistliche Versenkung zusammenzuführen, indem er die Halle direkt in die Kapelle fortsetzte. Die Vielfalt der eingesetzten architektonischen Formen ging manchen Kritikern fast zu weit. Die gestalterische Durchbildung bis ins kleinste Detail war in Brancas Entwurf unübersehbar.
Denselben Ansatz verfolgte der Architekt im 1983 bis 1987 errichteche ten Priesterseminar an der Haunstetter Straße. Heftig wurde um die geeignete Gestalt in der Planungsphase gerungen. Erst der zweite Entwurf Brancas konnte die Jury überzeugen. „Stimpfles Wehrburg“wurde gestichelt, weil sich die Anlage durchaus hermetisch von ihrer Umgebung abschließt. „Aber dieser Entwurf ist viel mehr“, meinte Thomas van Nies. Gleichzeitig verbinde er Offenheit und Geschlossenheit, bilde die Spannung aus Askese und Freiheit ab. Den damaligen Regens Rudolf Kopold überzeugte, dass in der Anlage die erforderliche Stille und Konzentration auf den geistlichen Mittelpunkt verwirklicht werde. Branca selbst schrieb einmal, als Architekt wolle er „die Elemente der Vernunft mit den Regungen des Herzens in Einklang bringen“.
Unter dem Eindruck der Barbarei der Nationalsozialisten war der junspräch ge Branca zum Katholizismus konvertiert. „Wir können den Architekten nicht von dem gläubigen Christen trennen“, betonte Nies. Es ging ihm darum, in den Räumen das Wesentliche sichtbar zu machen. Selbst in der Bayerischen Raiffeisenzentralbank am Schießgraben von 1984 ließ Branca das Licht von oben „weihevoll und würdig“auf die Geldgeschäfte herabfließen. Anstelle der bisher im Werkverzeichnis gelisteten 29 Kirchen identifizierte Nies über 80 Sakralbauten, darunter auch das Pfarrzentrum St. Thomas Morus in Neusäß. Trotz gewaltiger Massen vermied Branca dabei den damals üblichen Betonbrutalismus, behandelte vielmehr den Beton wie einen Naturstein und gestaltete ihn spielerisch aufgegliedert. Auch hier begegnete sich das Sakrale mit dem Säkularen, die Räume sind multifunktional ineinander verzahnt.