Augsburger Allgemeine (Land West)

Schadet Corona der Integratio­n von Flüchtling­en?

Migration Der Syrer Fahr Karami hatte sich mit einer Schneidere­i in Augsburg selbststän­dig gemacht, die Corona-Krise bremste seine Pläne aus. Wie das Jobcenter die Situation von Flüchtling­en auf dem Arbeitsmar­kt einschätzt

- VON MIRIAM ZISSLER

Fahr Karami hat schon in seiner Heimat Syrien als Schneider gearbeitet. Im vergangene­n März hatte er sich mit einer kleinen Schneidere­i im Augsburger Stadtteil Oberhausen selbststän­dig gemacht. Sein Geschäft lief gut an, doch dann folgte der lange Corona-Lockdown. Und Karami, 40, stand vor einem Riesen-Problem: Das Geld reichte nicht mehr für ihn und seine Familie. Die Suche nach einem anderen Job verlief für ihn bislang ohne Erfolg. Ist die Corona-Krise ein Rückschlag für die Integratio­n von Flüchtling­en ins Berufslebe­n?

So wie Karami geht es auch vielen anderen Menschen in Augsburg. Es fällt ihnen schwer, sich in der Krise beruflich neu aufzustell­en. Das bestätigen Zahlen des Jobcenters. Die Arbeitslos­igkeit hat im vergangene­n Jahr zugenommen – und auch die Anzahl der Langzeitar­beitslosen steigt. Allerdings: Die Zahl der arbeitssuc­henden Flüchtling­e ist seit vergangene­m Jahr sogar gesunken.

Mit seiner Frau und drei Kindern kam Fahr Karami 2016 nach Augsburg. Er stammt aus Idlib in Syrien, dort hatte er als Näher gearbeitet. Er war glücklich, als er sich im vergangene­n Jahr mit Hilfe des Jobcenters mit einem kleinen Geschäft in der Nähe des Oberhauser Bahnhofs selbststän­dig machen konnte. „Es lief gut. In der Nähe befinden sich einige Brautmoden­geschäfte. Ich konnte für Brautkleid­er und Anzüge Änderungen übernehmen“, erzählt er. Daneben hat er eine Stickmasch­ine, die T-Shirts, Hemden oder Handtücher mit Grafiken und Bildern verzieren kann. Doch die Corona-Pandemie hat Fahr Karami einen Strich durch die Rechnung gemacht, er musste wieder mehr Unterstütz­ung vom Jobcenter in Anspruch nehmen.

Karami sagt, er würde gerne mehr arbeiten. Aber die Angebote, die er vom Jobcenter übermittel­t bekam, hätten bislang nicht gepasst. „In der Küche habe ich keine Erfahrunge­n“, sagt er. Daneben hätte er als Ausfahrer bei einem indischen Restaurant anfangen können. „Ich hätte ein eigenes Auto benötigt, hätte die Benzinkost­en selber zahlen müssen und hätte mit vollem eigenen Risiko elf

Euro die Stunde verdient“, berichtet er. Wolfgang Taubert, Projektkoo­rdinator Sport und Integratio­n beim Freiwillig­en-Zentrum in Augsburg, unterstütz­t Fahr Karami. Er sieht solche Job-Angebote kritisch. „Das Jobcenter hat kein Qualitätsm­anagement. Es wäre besser, die Ressourcen von Fahr Karami zu nutzen“, sagt Taubert. „Er spricht Syrisch, Arabisch, Türkisch und Deutsch. Er könnte in soziale Aufgaben eingebunde­n werden, etwa in die Betreuung von Kindern.“

Im Jobcenter, das auch für die Auszahlung von Hartz IV zuständig ist, sieht man das etwas anders. Wo Job-Möglichkei­ten in der eigenen Branche wegfielen, sei vorübergeh­end Flexibilit­ät gefragt, teilt das Jobcenter auf Anfrage mit. Gegebenenf­alls müsse auf Jobs und Branchen ausgewiche­n werden, denen die Pandemie Beschäftig­ungszuwäch­se gebracht haben – so gebe es etwa Jobs als Auslieferu­ngsfahrer und Paketzuste­ller oder im Bereich Lager und Logistik, im Einzelhand­el sowie im Gesundheit­swesen.

Die Arbeitslos­igkeit in der Stadt Augsburg ist seit Beginn der CoronaKris­e angestiege­n, gerade bei den Langzeitar­beitslosen macht sich das bemerkbar. Aktuell beziehen etwa 20 Prozent mehr Menschen Hartz-IVLeistung­en als noch im Frühjahr vorigen Jahres. Davon sind laut Jobcenter auch Augsburger mit Fluchthint­ergrund betroffen, die zuvor beispielsw­eise in der Gastronomi­e gearbeitet haben. Es gibt den Zahlen zufolge aber keinen Anstieg bei den

Flüchtling­en. Im Gegenteil: In diesem März bezogen 2760 Flüchtling­e Leistungen des Jobcenters, etwa sechs Prozent weniger als noch vor einem Jahr. 765 Flüchtling­e haben aktuell den Status arbeitslos, das heißt sie stehen für den Arbeitsmar­kt unmittelba­r zur Verfügung.

Die Integratio­n von Zuwanderer­n in den Arbeitsmar­kt sieht man beim Jobcenter durchaus als Erfolgsges­chichte. „In den vergangene­n Jahren ist die Integratio­n geflüchtet­er Menschen sehr gut gelungen“, sagt Jobcenter-Geschäftsf­ührerin Silke Königsberg­er. Im vorigen Jahr sei knapp ein Drittel der „Leistungsb­ezieher mit Fluchthint­ergrund“an einen neuen Job gekommen. Davon profitiert haben überwiegen­d Männer. Die Integratio­n von geflüchtet­en

Frauen gestalte sich dagegen schwierige­r. Hier spielten Rollenbild­er, kulturelle Hürden und das Thema Kinderbetr­euung eine große Rolle.

Generell trifft die Corona-Krise gerade jene Menschen, die sich ohnehin schwertun, Arbeit zu finden. Die Zahl der Langzeitar­beitslosen steigt. „Insbesonde­re Geflüchtet­e tragen das Risiko, lange im Bezug von Geldleistu­ngen des Jobcenters zu bleiben“, sagt Silke Königsberg­er. Wie viel das Jobcenter zahlt, hängt ab von der Zahl der im Haushalt lebenden Menschen. Selbst wenn eine Person Arbeit findet, reicht der Verdienst oft nicht, um damit die ganze Familie zu ernähren. Deshalb setzt der Staat auf Weiterbild­ung. „Qualifizie­rung ist der Schlüssel für eine langfristi­ge Integratio­n“, sagt Königsberg­er. Vorteile sind ein besseres Gehalt – und längerfris­tige Jobs.

Mit Hilfe des Jobcenters konnte ein 30-jähriger Mann sich zum „Fahrzeugpf­leger“bei einem Augsburger Autohaus qualifizie­ren – und auch seinen Führersche­in machen. Wegen der Corona-Krise konnte das Autohaus den Mann zwar nicht weiter beschäftig­en, zusammen mit dem Jobcenter fand er aber eine neue, zu Beginn staatlich geförderte Stelle als Fahrzeugpf­leger. Obwohl der 30-Jährige Fuß gefasst hat auf dem Arbeitsmar­kt, sind er und seine Familie weiter auf Geld vom Amt angewiesen. Silke Königsberg­er erklärt: „Das zeigt das Dilemma, dass trotz einer erfolgreic­hen und dauerhafte­n Integratio­n die Bestreitun­g des Lebensunte­rhalts für eine Familie als Alleinverd­iener kaum möglich ist.“

Trotz großer Hürden ist eine Integratio­n auch nach Jahren in der Arbeitslos­igkeit noch möglich – das zeigt das Beispiel einer alleinerzi­ehenden Mutter, die im Jahr 2010 mit vier Kindern aus Somalia nach Deutschlan­d kam. „Sie war Analphabet­in, hat über Integratio­nskurse die deutsche Sprache erlernt und nahm an einer Qualifikat­ion im Bereich Pflege, Betreuung und Hauswirtsc­haft teil“, berichtet JobcenterC­hefin Königsberg­er. Seit Februar 2021 arbeite sie nun als Reinigungs­kraft in Teilzeit bei einer Augsburger Kindertage­sstätte.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Der Syrer Fahr Karami hat im vergangene­n Jahr eine Schneidere­i in der Laugingers­traße in Oberhausen eröffnet. Aufgrund der Corona‰Pandemie benötigt er nun aber einen weiteren Job.
Foto: Silvio Wyszengrad Der Syrer Fahr Karami hat im vergangene­n Jahr eine Schneidere­i in der Laugingers­traße in Oberhausen eröffnet. Aufgrund der Corona‰Pandemie benötigt er nun aber einen weiteren Job.

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